Julius-Leber-Straße
Altona-Nord (1951): Dr. Julius Leber (16.11.1891 Biesheim/Elsass – 5.1.1945 Berlin), Hauptschriftleiter des Lübecker Volksboten, Reichstagsabgeordneter (SPD), Freimaurer, Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, hingerichtet.
Siehe auch: Dahrendorfweg
Siehe auch: Ruscheweyhstraße
Früher hieß die Straße Lessingstraße, benannt 1893. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
Julius Leber wuchs in einer Kleinbauernfamilie im Elsass auf. Seine Mutter war Katharina Schubetzer, sein Vater vermutlich Xaver Stentz. Vier Jahre nach der Geburt von Julius Leber war Katharina Schubetzer eine verheiratete Leber.
„Nach dem Einjährig-Freiwilligen-Examen (Obersekundareife) an der Großherzoglichen Höheren Bürgerschule in Breisach absolvierte er 1908–1910 eine Kaufmannslehre und trat dann in die Unterprima der Rotteck-Oberrealschule in Freiburg ein, wo er 1912 das Abitur machte.“ 1). Im selben Jahr trat er der SPD bei. Julius Leber studierte „Volkswirtschaft in Straßburg und Freiburg. Im August 1914 unterbrach er sein Studium, um sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Er wurde 1915 Leutnant, wurde mehrfach verwundet und ausgezeichnet. Nach Kriegsende blieb L. Soldat und wurde im Grenzschutz im Osten eingesetzt. Bei Belgard in Hinterpommern erlebte er den Kapp-Putsch, den er mit den ihm unterstellten Soldaten und in Zusammenarbeit mit der Belgarder Arbeiterschaft bekämpfte. Nach Niederschlagung des Putsches wurde er wegen Gehorsamsverweigerung belangt, während die am Putsch Beteiligten nur milde bestraft wurden.
Enttäuscht über die Mißachtung republikanischer Gesinnung in der Armee nahm L. wieder sein Studium in Freiburg auf und schloß es am 3.12. 1920 mit der Promotion ab,“ 2) schreibt Dorothea Beck in ihrer Biografie über Julius Leber.
Ein Jahr später wurde er Chefredakteur des sozialdemokratischen „Lübecker Volksboten“. Gleichzeitig wurde er Abgeordneter der Lübecker Bürgerschaft, der er bis 1933 angehörte. 1924 zog er als SPD-Abgeordneter in den Reichstag ein, dem er als wehrpolitischer Sprecher seiner Fraktion bis 1933 angehörte.
„In seiner ideologischen Einstellung verstand er sich zunächst als radikal im Parteisinne, ging also von einer marxistischen Grundorientierung sozialdemokratischer Programmatik aus. (…). Von der Wiedervereinigung mit der USPD 1922 versprach er sich eine deutlich links orientierte aktivistischere Politik seiner Partei. Erst allmählich wuchs in ihm die Erkenntnis, daß es gerade die Bindung an die Marxsche Lehre war, die die politische Aktivität der Sozialdemokraten hemmte. Seit 1924 entwickelte er in Ansätzen Überlegungen zu einer ideologischen Neuorientierung der SPD. Aus der Rückbesinnung auf freiheitliche Traditionen in der neueren Geschichte Deutschlands und Europas, insbesondere auf die bürgerlichen Freiheitsbewegungen des 19. Jh., sollte die Sozialdemokratie gewissermaßen als Erbe des Bürgertums eine freiheitliche Komponente entwickeln und durch das Soziale ergänzen. Die Forderung nach einer neuen sozialen Ordnung, in der an die Stelle des Besitzes als bestimmendes Element die Arbeit treten sollte, bildete den Kern seines politischen Denkens. Hinzu kam bei ihm eine deutlich nationale Komponente; für L. war, anders als für viele seiner Parteifreunde, die Bindung der Sozialdemokratie an die Nation unabdingbar. (…)
Daß sich seine Partei so schwer tat, ihm darin zu folgen, daß zwischen Arbeiterschaft, Republik und Reichswehr ein gemeinsames Fundament bestehen müsse, erlebte er auch als persönliche Niederlage. (…) Als Pragmatiker mit ausgeprägtem Gespür für politische Machtfragen betonte L. auch die Notwendigkeit aktiven demokratischen Führertums und kritisierte das Verhältniswahlrecht der Weimarer Republik, weil es verhindere, daß kämpferische Persönlichkeiten mit starker Ausstrahlungskraft die Politik bestimmten. Demokratie war für L. auch Mittel zur Führungsauslese,“ 3) schreibt Dorothea Beck in ihrer Biografie über Julius Leber.
1927 hatte Julius Leber, der damals Chefredakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung „Lübecker Volksbote“ war, Annedore Rosenthal (18.3.1904 Berlin – 28.10.1968 Berlin) geheiratet. Sie hatte nach dem Abitur fünf Semester Jura studiert, das Studium aber abgebrochen, um Schneiderin zu werden. Die Ausbildung schloss sie mit der Meisterprüfung ab. Das Paar bekam zwei Kinder und lebte in Lübeck. Annedore und die Kinder blieben dort auch wohnen, nachdem Julius Leber Abgeordneter des Reichstages in Berlin geworden war.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 wurde Leber am 23.3.1933 kurz vor der Reichstagssitzung, in der über das Ermächtigungsgesetz abgestimmt werden sollte, verhaftet und wurde erst im Sommer 1937 aus dem KZ Sachsenhausen entlassen. Die Freilassung war dem Bemühen von Annedore Leber zu verdanken, die unermüdlich immer wieder bei den höchsten Dienststellen in Berlin um die Freilassung ihres Mannes vorstellig gewesen war. In dieser Zeit kümmerte sich Annedores Mutter um die zwei Kinder, geboren 1929 und 1931.
Annedore Leber war bereits 1935 nach Berlin zurückgekehrt, wo sie sich eine kleine Existenz aufbaute. „Sie arbeitete, wie seit 1933 schon in Lübeck, als Schneidermeisterin, eröffnete auch ein kleines Geschäft [ein Modeatelier mit zehn Näherinnen, 4) und konnte so den Unterhalt für sich und ihre Kinder aufbringen.“ 5)
Nachdem Julius Leber 1937 auf dem KZ entlassen worden war, arbeitete er in Berlin zunächst als selbstständiger Kohlenhändler, nahm jedoch schon bald Kontakt zu seinen sozialdemokratischen Genossen auf. Später trat er auch in Verbindung mit dem Kreisauer Kreis. Im Sommer 1944 ließ er den Kontakt mit dem Kommunisten Franz Jacob wieder aufleben [siehe: Katharina-Jacob-Weg]: Die beiden Oppositionellen hatten sich im KZ Sachsenhausen kennengelernt. Jacob zählte zu den führenden Mitarbeitern der Widerstandsgruppe um Anton Saefkow. Die Gruppe plante, Julius Leber nach einem gelungenen Umsturz zum Reichskanzler oder Innenminister zu machen, doch dann denunzierte ihn ein Spitzel der Geheimen Staatspolizei. So wurde Leber am 5. Juli 1944 verhaftet, am 20. Oktober 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und schließlich am 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Frauke Geyken beschreibt in ihrer Abhandlung „Wir standen nicht abseits. Frauen im Widerstand gegen Hitler“ über Annedore Leber: „Annedore Leber trug die Entscheidung ihres Mannes mit. Sie machte ihm keine Vorwürfe, sie verlangte keine Veränderung; sie glaubte an ihn und seine Ideen, die auch die ihren waren, und tat alles, um ihn zu stützen. Beide Eheleute waren sehr diszipliniert, wollten stark sein und dem jeweils anderen so wenig Sorgen wie nur möglich bereiten. Er schrieb ihr: ‚Was mich anbetrifft, will ich alles gern und stark tragen.‘ Sie versicherte ihm, wie viel schwieriger es für sie hinzunehmen sei, ‚dass ein anderer Mensch, den man liebt, Unrecht erleiden soll, als wenn man selbst das Opfer eines Unrechts ist.‘ Sie beruhigte sich und ihn mit der Aussicht, auch diese Zeit werde vergehen, ‚und wir werden so viel aus ihr gelernt haben, daß wir sie vielleicht gar nicht mehr aus unserer Erinnerung streichen wollen‘. Sie werde für beide eine ‚Bereicherung‘ darstellen, schrieb sie im Juni 1933,“ 6) als Julius Leber wieder einmal von den Nationalsozialisten inhaftiert worden war.
Nachdem Julius Leber 1944 von der Gestapo verhaftet und zum Tode verurteilt worden war, wurden seine Frau und die Kinder von August bis Ende September 1944 in „Sippenhaft“ genommen. Annedore Leber kam ins Untersuchungsgefängnis Moabit, ihre Kinder nach Dessau.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Annedore Leber, die der Westzonen-SPD angehörte, 1946 in die Berliner Stadtverordnetenversammlung entsandt. In dieser Zeit begann auch ihre publizistische Tätigkeit. In Wikipedia heißt es: „Arno Scholz konnte sie, zusammen mit dem ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Löbe, als Lizenzträgerin für die SPD-nahe Zeitung Telegraf gewinnen. Es erschienen einige Ausgaben der Frauenzeitschrift Mosaik in dessen Verlagsgruppe Arani. 1947 gründete sie in der ehemaligen Kohlenhandlung den Mosaik Verlag (1961 umbenannt in Verlag Annedore Leber), in dem vorwiegend politische und pädagogische Bücher herausgegeben wurden. Mit ihren Veröffentlichungen machte sie den Widerstand in der NS-Zeit bekannt. (…) 1950 verkaufte sie ihre Verlagsanteile an Scholz und gab auch die Lizenz zurück. Der erste Band ihrer Sammlung von Widerstands-Biografien, die sie zusammen mit Willy Brandt (siehe: Willy-Brandt-Straße) und Karl Dietrich Bracher seit Kriegsende zusammengetragen hatte, erschien 1953 im Mosaik-Verlag. (…) Annedore Leber blieb auch weiterhin politisch aktiv. Von 1954 bis 1962 war sie Bezirksverordnete von Berlin-Zehlendorf und von 1963 bis 1967 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin. Nach der Gründung der Bundeswehr 1955 wurde sie eines von 38 Mitgliedern des Personalgutachterausschusses für die Streitkräfte. Sie war Vorstandsmitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Delegierte der beratenden Versammlung des Europarates sowie Mitglied der Deutschenh UNESCO-Kommission und des Kulturpolitischen Beirates des Auswärtigen Amtes.“ 7)