Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Geschwister-Scholl-Straße

Eppendorf, seit 1947, benannt nach Sophie und Hans Scholl (Sophie: 9.5.1921 Forchtenberg/Kocher – hingerichtet am 22.2.1943 in München-Stadelheim, (Hans: 22.9.1918 Ingersheim/Jagst – hingerichtet am 22.2.1943 in München-Stadelheim). Gegner des Nationalsozialismus, die für die Freiheit des Geistes kämpften, Widerstandskreis „Weiße Rose“


Siehe auch: Elisabeth-Lange-Weg
Siehe auch: Margarete-Mrosek-Bogen
Siehe auch: Weiße Rose
Siehe auch: Sophie-Scholl-Straße
Siehe auch: Leipeltstraße, Wilhelmsburg (1964): Hans Leipelt (1921-1945), Student, Mitglied des nach der Zeit des Nationalsozialismus bezeichneten Hamburger Kreis der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“.

Im Jahre 1947 wurde erstmals in Hamburg einer Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus auf einem Straßenschild gedacht: Geschwister-Scholl-Straße. Doch in den folgenden Jahren gab es hier aus mehreren Gründen Gedächtnis-Verluste, denn bis in die 1970er-Jahre wurde keine weitere Straße nach Widerstandskämpferinnen benannt. Erst seit den 1980er-Jahren werden in größerer Anzahl Straßen nach ihnen und Gegnerinnen des NS-Regimes benannt.

Ähnlich - mit Ausnahme der 1960er-Jahre - sieht es bei den nach Widerstandskämpfern benannten Straßen aus.

Warum in den 1960er-Jahren, in einer Zeit, in der diverse Straßen zwischen 1960 und 1965 nach Widerstandskämpfern benannt wurden, keine Straße nach einer Widerstandskämpferin eingeweiht wurde, lässt sich u. a. aus dem in den 1960er-Jahren noch vorherrschenden Frauenideal der treusorgenden Hausfrau und Mutter herleiten. Widerstandskämpferinnen passten da nicht ins Bild, wie auch die Theater- und Literaturwissenschaftlerin Eva Krivanec feststellt, die den Gründen für das Ausblenden der Widerstandskämpferinnen nicht nur in Deutschland nachforscht: „Der Widerstand von Frauen gegen das NS-Regime – in den verschiedensten Formen und aus sehr unterschiedlichen Positionen heraus – wurde lange Zeit nicht als solcher wahrgenommen oder in seiner Bedeutung gering geschätzt. Auch die Rolle von Frauen bei der Flucht und im Exil – in vielen Fällen waren sie wesentlich an der Organisation der Flucht und an der Existenzsicherung im Zufluchtsland beteiligt – war zunächst kein Thema der zeitgeschichtlichen Forschung. (…) Das gilt in besonderer Weise für die akademische Geschichtsschreibung in Deutschland und Österreich, die durch jahrzehntelanges beharrliches Schweigen ihren Beitrag zu Verdrängung und Verleugnung leistete. Es gilt aber größtenteils auch für die Organisationen des Widerstands und der Überlebenden. Auch hier werden Frauen – mit Ausnahme einzelner ‚Heldinnen‘ – eher am Rande oder in helfender, zuarbeitender Position erwähnt. Sie kamen vielfach auch nicht in den Genuss von Ehrungen oder Entschädigungen. (…)“ 1)

Das Unsichtbarmachen von Widerstandskämpferinnen „liegt zu einem großen Teil am hartnäckigen Fortbestand der Kategorisierung in ‚aktiven‘ und ‚passiven‘ Widerstand, die nicht nur falsche Einteilungen produziert, sondern auch eine Wertung nahelegt. Das Paradigma des ‚aktiven Widerstands‘ ist ein militärisches: der Kampf mit der Waffe in der Hand. Hier wiederum sind jene Frauen, die sich an bewaffneten Aktionen direkt beteiligt haben, mit dem Stigma des Unweiblichen, des nicht Vorzeigbaren konfrontiert und aus diesen Gründen aus den Bildern der Erinnerung gelöscht, während selbst innerhalb des ‚bewaffneten Widerstands‘ jene strategisch unverzichtbaren Aufgaben wie das Herstellen der Verbindung zwischen einzelnen Gruppen, das Auskundschaften, die Beschaffung und der Transport von Waffen, Lebensmitteln oder illegalen Druckschriften, die vielfach von Frauen übernommen wurden, kaum Beachtung finden. Jene Formen illegaler Aktivitäten, die sich darauf konzentrierten, Juden und Jüdinnen sowie andere Verfolgte zu retten, mussten sich nach 1945 erst mühsam um Anerkennung bemühen. Gerade hier waren Frauen unter enormem persönlichem Einsatz und unter großer Gefährdung ihrer eigenen Existenz und jener ihrer Familien aktiv tätig. Sie suchten, teils individuell, teils in organisierten Netzwerken, Unterkünfte und Verstecke für jüdische Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene, die nicht flüchten konnten. Sie leisteten Fluchthilfe und organisierten Fluchtwege und versorgten die im Untergrund Lebenden mit den allernötigsten Lebensmitteln.“ 2)

Erst Ende der 1970er-Jahre wurden die Erinnerungsräume geöffnet: „Wesentliche Beiträge zur Geschichte der Frauen als NS-Opfer und als Aktivistinnen im Widerstand entstanden im deutschsprachigen Raum seit Anfang der 80er-Jahre. Pionierinnenarbeit auf diesem Gebiet leistete unter anderem Hanna Elling, selbst Widerstandskämpferin und Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Moringen, deren Buch ‚Frauen im deutschen Widerstand 1933-1945‘ bereits 1979 erschienen ist,“ 3) schreibt Eva Krivanec weiter.

Die Ergebnisse der Forschungen zum weiblichen Widerstand gegen den Nationalsozialismus, die Ende der 1970er-Jahre begannen, bildeten ab den 1980er-Jahren die Grundlage für die Benennung diverser Straßen in Hamburg nach Widerstandskämpferinnen. (Siehe zu den nach Widerstandskämpfern benannten Straßen unter: Haubachstraße).

Sophie und Hans Scholl waren die Kinder von Magdalena, geb. Müller (1881-958) und Robert Scholl (1891-1973). Die Eltern hatten sich während des Ersten Weltkriegs 1915 in einem Lazarett kennen und lieben gelernt, wo Magdalena als Diakonisse und Krankenschwester tätig war und der Jurist Robert Scholl wegen zivilen Ungehorsams eine Strafe abarbeiten musste. Magdalena trat aus dem Haller Mutterhaus aus und das Paar heiratete 1916. Während ihrer Ehe bekam es sechs Kinder.

Der politisch liberal eingestellte Robert Scholl wurde Bürgermeister in Ingersheim an der Jagst, dann in Forchtenberg, später ab 1930 Leiter der Handelskammer in Stuttgart und ab 1932 betrieb er in Ulm, wohin er mit seiner Familie gezogen war, eine Kanzlei für Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung.4)

Die Eltern, die ihre Kinder stets liberal und christlich erzogen hatten und von Anfang an das NS-Regime ablehnten, hatten größte Schwierigkeiten mit der anfangs begeisterten Haltung ihrer Kinder Hans und Sophie zum Nationalsozialismus. Hans Scholl war in der Hitlerjugend (HJ), Sophie Scholl Mitglied im Bund Deutscher Mädel (BDM) und hatte dort auch Führungsaufgaben.

1937 wurden beide zum ersten Mal von der Gestapo kurzzeitig verhaftet, weil sie, bestärkt durch ihre Eltern, ihre „bündische Jugendarbeit“ fortgesetzt hatten. (Die Bündische Jugend war von den Nationalsozialisten verboten worden). „Ein Jahr später verliert Sophie ihren Rang als Gruppenführerin. Zunehmend entdeckt sie Widersprüche zwischen der parteigesteuerten Fremdbestimmung und dem eigenen liberalen Denken.“ 2) So schrieb sie wenige Tage nach Kriegsbeginn im September 1939 an ihren Freund Fritz Hartnagel, den sie als 16-Jährige kennengelernt hatte und der nun angehender Berufssoldat war: „Ich kann es nicht begreifen, daß nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist für´s Vaterland." 5)

Sophie erlangte immer mehr eine Abneigung gegen den NS-Staat, hilfreich waren dabei der Einfluss ihrer Eltern und die Eindrücke, die Sophie während ihres Arbeits- und Kriegshilfsdienstes gewann. Sophie Scholl, die nach dem Abitur im März 1940 eine Ausbildung zur Kindergärtnerin begann, und damit hoffte, nicht zum Reichsarbeitsdienst eingezogen zu werden, musste dennoch den Reichsarbeitsdienst absolvieren und „durfte erst im Mai 1942 zum Biologie- und Philosophiestudium nach München ziehen. Dort wird Sophie schnell in den Freundeskreis ihres Bruders Hans [der Medizin studiert] aufgenommen.“ 5) Auch dieser musste erst den Krieg miterleben und in einem Feldlazarett arbeiten, um sich in den Widerstand zu begeben.

„Die jungen Leute besuchen die Vorlesungen des Philosophieprofessors Kurt Huber und diskutieren philosophische und religiöse Fragen, etwa inwiefern Christen als politisch denkende und handelnde Menschen gefordert sind. Die Gruppe, aber besonders Sophie wird von den Arbeiten des katholischen Publizisten Theodor Haecker beeinflusst, der unter den Nationalsozialisten nicht mehr veröffentlichen darf. Und schließlich eint die Freunde, dass sie Hitler und sein Regime ablehnen. Inwieweit Sophie im Sommer 1942 bereits an den Flugblatt-Aktionen ihres Bruders und seines Freundes Alexander Schmorell beteiligt ist, ist heute ungewiss.“ 5)

In der leidenschaftlichen Sprache der Empörung riefen die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter in ihren Flugblättern zum Sturz des NS-Regimes und zur Beendigung des Krieges auf.

1942, als im Mai/Juni 1942 die ersten vier Flugblätter der „Weißen Rose“ herausgebracht wurden, die dann im November 1942 an der Münchener Universität verteilt wurden, wurde Robert Scholl, der Vater der Geschwister Scholl, wegen einer kritischen Äußerung über Hitler zu vier Monaten Haft verurteilt und erhielt Berufsverbot.

„Im Januar 1943 engagiert Sophie sich bei der Herstellung und Verbreitung des fünften Flugblatts; ihr Freund Fritz kämpft derweil in Stalingrad. Das sechste ist bereits gedruckt, als sie von einem Eltern-Besuch nach München zurückkehrt. Am 18. Februar legt sie gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Flugblätter in der Uni aus und wirft dabei einen Stoß Blätter von einer Brüstung in den Lichthof hinab. Beide werden entdeckt und verhaftet. In den Verhören kann Sophie den Gestapo-Beamten Robert Mohr zunächst von ihrer Unschuld überzeugen, doch dann ist die Beweislast erdrückend.

Sie gesteht ihre Mitarbeit und versucht, sich und Hans als Hauptakteure darzustellen. Vier Tage nach ihrer Festnahme findet die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof statt.“ 2) Der Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler fällte um 12.45 Uhr das Todesurteil. Die Eltern Scholl stellten daraufhin sofort das Gnadengesuch (Quelle: BArch, ZC 13267/Bd.12)

Robert und Lisa Scholl
München, den 22. Februar 1943

Betrifft: Gnadengesuch für Hans und Sofie Scholl und Christoph Probst.

An den
Volksgerichtshof
z.Zt. München 35

Wir, die Eltern, der beiden zum Tode Verurteilten Geschwister Scholl kamen heute hierher, um unsere beiden Kinder zu besuchen. Zu unserem Entsetzen erfuhren wir, dass bereits die Verhandlung gegen unsere Kinder vor dem Volksgerichtshof stattfand.

Wir bitten, die so schwere Strafe in eine Freiheitsstrafe umzuwandeln. Dadurch ist unsern Kindern und dem anderen Angeklagten doch noch die Möglichkeit geboten, sich in Zukunft als nützliche Glieder der Volksgemeinschaft zu erweisen. Bei unseren Kindern handelt es sich um arglose Idealisten, die noch nie in ihrem Leben irgend jemand etwas Unrechtes zugefügt haben. Sowohl in der Schule waren sie als beste Schüler immer wohl gelitten und auch nachher haben sie überall ihre Pflicht erfüllt. Was das jetzige Unglück über sie herbeigeführt hat, ist allein der Umstand, dass sie weltanschaulich andere Ideale hegten, als es heute gut ist. Die Erregung meiner Kinder ist vielleicht auch dadurch etwas verständlich, dass der Bräutigam unserer Tochter Sophie als aktiver Hauptmann in Stalingrad lag.

Wir bitten doch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Verurteilten noch um blutjunge Menschen ohne Lebenserfahrung handelt. Unsere Familie hatte innerhalb der letzten Jahre schwere Schicksalsschläge durchzumachen. Der Ernährer der Familie kam wegen einer unbedachten, unter vier Augen einer vertrauten Angestellten gegenüber, gemachten Äusserung vor das Sondergericht. Daraufhin wurde ihm dann die Zulassung zu seinem Beruf entzogen und dadurch die Existenzgrundlage für die ganze Familie genommen. Da die Familie unter sich sehr verbunden ist, liessen sich die Geschwister Scholl in eine Erbitterung hineinsteigern, die wahrscheinlich das Motiv ihrer jetzigen Verfehlungen bildete.

Unserem Sohn Hans hat während seiner aktiven Militärdienstzeit sein Schwadronchef H. Rittmeister Skubin in Stuttgart-Cannstadt das Zeugnis ausgestellt, er sei der beste Soldat seiner Schwadron. Unser jüngster Sohn Werner liegt als Gefreiter im Mittelabschnitt der Ostfront. Er kam vorgestrigen Samstag überraschend zu einem dreiwöchigen Heimaturlaub nach Hause. Auch für ihn ist es furchtbar, was er jetzt über seine beiden so geliebten Geschwister heute erfahren musste. Er war auch bei der Gerichtsverhandlung zugegen und schliesst sich als Frontsoldat gleichfalls dem Gnadengesuch an.

Durch eine Begnadigung wäre unserem Sohn Hans die Möglichkeit geboten, sich freiwillig an die Ostfront zu melden. Er stand während des Westfeldzugs im Jahre 1940 an der Seite des Obersten SA-Arztes von Deutschland im Felde. Dieser war begeistert von ihm, und nannte ihn nur seinen "Schatten". Soviel wir wissen, steht er auch heute noch mit ihm im Briefwechsel. Seine militärische Führung, sowie seine militärische Qualifikation seiner jeweiligen Dienstvorgesetzten sind ein Beweis dafür, dass er seine ganze Person einsetzte, um sich als echt Deutscher zu erweisen und dies auch in Zukunft stets tun würde. Gleichzeitig bitten wir um eine Sprecherlaubnis für unsere beiden Kinder Hans und Sofie Scholl.

Robert Scholl
Vater

Lisa Scholl
Mutter

Werner Scholl
Bruder u. Gefr. der Einheit Feldpostnummer: 32 063. 4)

Das Gnadengesuch fand kein Gehör. Noch am selben Tag, vier ¼ Stunden nach der Verkündung des Gerichtsurteils, wurden um 17 Uhr die Geschwister Scholl durch das Fallbeil hingerichtet.

„Zurück bleiben die Eltern Scholl bei Kriegsende mit ihren Töchtern Inge und Elisabeth. Thilde ist im Kindesalter verstorben, Hans und Sophie sind hingerichtet worden und Werner ist seit 1944 in Russland vermisst. Einzig der Stolz auf den Mut ihrer Kinder kann ihnen ein Trost sein. Noch am Morgen des 22. Februars 1943, kurz bevor ihn die Gefängniswärter in Fesseln zum Gerichtssaal bringen, hat Hans mit einem Bleistift eine Notiz an der Zellenwand hinterlassen: ‚Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten‘. Das Goethe-Zitat ist ein letzter Gruß von Hans und gilt seinen Eltern. Es ist die Losung der Familie Scholl.“ 6)

Nach der Verhaftung seiner Kinder wurde Robert Scholz wegen Hörens ausländischer Sender zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.