Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Gilbertstraße

St. Pauli (1948): Max Winterfeld (11.2.1879 Hamburg- 20.12.1942 Buenos Aires), Pseudonym Jean Gilbert, Komponist und Dirigent


Siehe auch: Linckestraße
Siehe auch: Paul-Dessau-Straße
Siehe auch: Kolloweg

Vor 1948 hieß die Straße Gustavstraße, benannt 1846 nach dem Grundeigentümer (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).

In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Christian-Andresen-Straße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1948 bei Gustavstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)

Jean Gilbert wurde als Max Winterfeld geboren. Im Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit heißt es über Gilberts Lebensweg u. a.: „Sein Vater war der jüdische Kaufmann David Winterfeld, seine Mutter [Caroline] eine geborene Dessau. In ihrer Familie gab es eine lange Tradition von Synagogensängern und -kantoren. Ihr Bruder Bernhard Dessau war Konzertmeister der königlichen Oper in Berlin, ihr Bruder Sally Dessau Vater des Komponisten Paul Dessau [siehe: Paul-Dessau-Straße]. Gilbert wurde musikalisch gefördert, erhielt Klavierunterricht und debütierte mit 15 Jahren als Pianist. 1894-1897 studierte er Musik in Kiel, Sondershausen, Weimar und am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin.

Bereits mit 18 Jahren trat er in Bremerhaven seine erste Theaterstelle als Kapellmeister an. Ein Jahr später wechselte er an das renommierte Hamburger Carl-Schultze-Theater. 1900 folgte er Leo Fall am dortigen Centralhallen-Theater nach. Dessen Direktor Ernst Drucker beauftragte ihn 1901 mit seinem ersten Bühnenwerk, der Vaudeville-Operette ‚Das Jungfernstift‘. Um deren Erfolgsaussichten zu steigern, gab er seinem Kapellmeister einen französischen Künstlernamen: aus Max Winterfeld wurde Jean Gilbert. Der Erfolg gab ihm Recht, auch wenn Gilberts erste Operetten über Hamburg nicht hinauskamen. Den Künstlernamen Gilbert behielt der Komponist jedoch von nun an bei (mit einer vorübergehenden Unterbrechung zu Beginn des Ersten Weltkriegs.“ 1)

Im Alter von 21 Jahren heiratete er 1899 Rosa Wagner (6.9.1871 Hamburg -11.6.1957 Muralto. Das Paar bekam zwei Kinder, geboren: 1899 (Robert Gilbert, Textdichter, Komponist), 1901 (Henry Winterfeld, Kinder- und Jugendbuchautor).

„Nach einer Kapellmeisterstation am Berliner Apollo-Theater, wo er Paul Lincke [siehe Linckestraße] kennenlernte und dessen Operetten dirigierte, unternahm er als Konzertdirigent eine große Tournee durch Deutschland, Italien, Frankreich und Skandinavien. 1908 ging er nach Düsseldorf und begann wieder für die Bühne zu komponieren. 1909 kam in Cottbus seine Vaudeville-Posse Polnische Wirtschaft heraus. 1910 ließ er sich in Berlin nieder. Seine bekannteste Operette ist Die keusche Susanne (1910), sein bekanntestes Lied Puppchen, du bist mein Augenstern (1912) aus der dreiaktigen Posse mit Gesang und Tanz Puppchen. 1913 wurde er für kurze Zeit von der Filmproduktionsfirma Literaria Film unter Vertrag genommen.“ 2)

Über die Operette „die keusche Susanne“ äußert Engelbert Tamino: „Um den Inhalt zu fixieren, zieht man zweckmäßig nicht die Bibel heran, denn mit dem Alten Testament hat die Berliner Familiengeschichte nichts zu tun. Susanne ist die Gattin des Parfumfabrikanten Fleuron. Verliebt ist sie in René und nach Sex mit überspannten Senioren steht ihr nicht der Sinn. Die Familienführung hält auf Anstand. Um nicht dem gleichen Missgeschick der biblische Susanne ausgesetzt zu sein, schließt Frau Susanne nach einem Besuch des häuslichen Badezimmers die Tür immer hinter sich zu.“ 3)

Rund 60 Operetten und Schauspiele mit Musik wurden von Jean Gilbert komponiert. Seine Lieder schrieb er, wie er einmal sagte: ‚für die Höfe und Kaschemmen‘.

Neben seiner Tätigkeit als Kapellmeister arbeitete Jean Gilbert auch als Unternehmer. Dazu steht im Lexikon der verfolgten Musiker und Musikerinnen: „Seit 1914 war Gilbert auch als sein eigener Unternehmer tätig, zum einen mit einer eigenen Jean-Gilbert-Tournee, die zeitweise mit sechs Reiseensembles unterwegs war, zum anderen mit dem Bremer Tivoli-Theater, das er 1926 mit neu erworbenen Bühnen in Dresden, Hamburg und Frankfurt am Main zu einem Theaterkonzern zusammenschloss. Nach einem halben Jahr ging er jedoch Bankrott und übersiedelte nach New York, wo er ein Jahr lang für den Theatertrust der Shubert Brothers arbeitete. Nach seiner Rückkehr konnte sich Gilbert von seinem finanziellen Zusammenbruch auch künstlerisch nicht mehr erholen, obwohl er vor allem mit seinem als Textdichter sehr erfolgreichen Sohn Robert Gilbert weiterhin produktiv war.“4)

1924 hatte sich das Ehepaar Gilbert scheiden lassen. Im selben Jahr heiratete Jean Gilbert Gerda Stehlick (16.10.1897 Berlin -10.10.1980), mit der er bereits drei Kinder hatte, geboren: 1916, 1918, 1920.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrierte Gilbert mit seiner Familie, da er jüdischer Herkunft war, nach Madrid, dann 1939 über Paris nach Argentinien. Dort übernahm er die Leitung der Rundfunkstation LR 1 Radio El Mundo.

Im Lexikon der verfolgten Musiker und Musikerinnen ist nachzulesen: „Als nach Hitlers ‚Machtergreifung‘ ein Großteil seines übrig gebliebenen Vermögens, darunter sein Anwesen am Wannsee, eingezogen wurde, war Jean Gilbert klar, dass er Deutschland verlassen musste. Da die offizielle Emigration mit erdrückenden Steuern und bürokratischen Schikanen verbunden war, nahm er die Wiener Uraufführung seiner letzten Operette, ‚Die Dame mit dem Regenbogen‘, zum Anlass, um auszureisen. In einer gemieteten Limousine passierte er mit seinen Söhnen Henry und Robert Gilbert, der sich überdies politisch exponiert hatte, im April 1933 die Grenze. Seine zweite Frau Gerda, vormals Tänzerin, folgte mit den drei Töchtern per Bahn. Da in Wien keine Perspektiven bestanden und zudem seine deutschen Tantiemen beschlagnahmt wurden, nahm er 1936 eine Stelle als Kapellmeister in Barcelona an. In Spanien war er auch beim Film tätig (…) und knüpfte erste Kontakte nach Argentinien. Doch die Wirren des Bürgerkriegs vertrieben ihn 1937 nach Paris, wo gerade seine ‚Keusche Susanne‘ verfilmt wurde. Nach einem entbehrungsreichen Jahr versuchte er sein Glück in London. Inzwischen war er im November 1938 aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen worden. 1939 gelangte er schließlich nach Buenos Aires. Dort übernahm er die Leitung des neu gegründeten Orchesters der Radiostation El Mundo und gewann 1941 mit der Verfilmung von ‚La Casta Susanna‘ den ersten Preis für die beste argentinische Filmmusik.

Sein seit der Emigration angeschlagener Gesundheitszustand verschlechterte sich in Argentinien zunehmend, bis Arthritis und Herzschwäche das Dirigieren unmöglich machten. Am 20. Dez. 1942 erlag der Komponist im Alter von 63 Jahren einem Gehirnschlag.“5)