Lavaterweg
Othmarschen (1952): Johann Kaspar Lavater (15.11.1741 Zürich – 2.1.1801 Zürich), protestantischer Pfarrer, Philosoph, Schriftsteller.
Siehe auch: Klopstockstraße
Siehe auch: Bernstorffstraße
Siehe auch: Musäusstraße
Lavater war der Sohn von Regula Lavater, geborene Escher, die aus einer einflussreichen Züricher Familie stammte, und des Arztes Johann Heinrich Lavater. Horst Weigelt beschreibt in seiner Biografie über Lavater die Mutter als „geistig sehr regsam, religiös beweglich und auf Reputation bedacht“. 1) Lavater soll in seiner Kindheit und Jugend „stark unter dem Einfluß seiner Mutter, die in der Familie zweifelsohne die dominierende Rolle spielte“2) gestanden haben.
Nach Beendigung seiner Schulausbildung studierte Lavater ab 1754 Theologie. 1762 wurde er ordiniert. Daraufhin „unternahm Lavater zusammen mit dem befreundeten Johann Heinrich Füssli eine Bildungsreise nach Norddeutschland, um sich bei dem aufgeklärte Reformtheologen Johann Joachim Spalding in Barth in Schwedisch-Pommern weiter für das geistliche Amt auszubilden. In Barth, wo er acht Monate zubrachte, begann er seine schriftstellerische Laufbahn zunächst mit kritischen Arbeiten.“ 3)
Zurückgekehrt nach Zürich erhielt Lavater zunächst keine Pfarramtsstelle, denn es herrschte damals Pfarrerüberschuss. Für Lavater bedeutete dies kein finanzielles Desaster, denn er wurde von seinen Eltern unterstützt und konnte bei ihnen wohnen. So hatte er Zeit und Muße sich seiner literarischen Neigung zu widmen und u. a. Zeitschriftenbeiträge, geistliche Lieder und Gedichte zu verfassen. Daneben wurde er in verschiedenen Gesellschaften aktiv, so in der patriotisch ausgerichteten Helvetisch-vaterländischen Gesellschaft zur Gerwir und in der Asketischen Gesellschaft.
1766 heiratete Lavater nach einem halbjährigen Kennenlernen die ein Jahr jüngere Kaufmanns- und Fabrikantentochter Anna Schinz. Horst Weigelt schreibt über Lavaters Liebesleben und bringt dabei auch die von ihm bereits erwähnte dominante Mutter ins Spiel: „Zuvor hatte er allerdings schon an einige andere gedacht. Aus verschiedenen Gründen kam es jedoch zu keiner ehelichen Verbindung; hierbei sind offensichtlich auch Bedenken oder sogar Einsprüche der Mutter von Gewicht gewesen.“ 4) Inwieweit Lavaters Mutter in der Familie tatsächlich dominant gegenüber ihrem Sohn aufgetreten ist, oder ob ein selbstbewusstes Verhalten ihrerseits als negatives Dominanzgebaren betrachtet wurde, da es mit der gesellschaftlich sanktionierten Rollenerwartung an eine Mutter nicht vereinbar war, soll an dieser Stelle zu bedenken gegeben werden.
Lavater beschrieb seine Ehefrau folgendermaßen: „Meine Frau (…) ist ein gutes, herzgutes, sanftes, daubenähnliches, lang u. zart u. reinlich gebildetes, geduldiges, unschuldiges Herzenslämmchen – ein edles, stilles, friedsames, in meinen Armen unaussprechlich anmuthvolles – mich unaussprechlich beglückendes Weibchen; ungelehrt, ungestutzt, ohne Koketerie und Prätension.“5)
Lavater bekam mit seiner Frau acht Kinder. Nur drei Kinder überlebten den Vater. Horst Weigelt bemerkt: „Die Erziehung der Kinder hat er mehr oder weniger seiner Frau überlassen. Wegen seiner vielfältigen Arbeiten, der unzähligen Besucher in seinem Haus und nicht zuletzt wegen seiner häufigen Reisen“6) sahen ihn seine Kinder kaum. (Zu den Aufgaben einer Pfarrersfrau, siehe unter: Thunstraße.)
„1769 wurde Johann Caspar Lavater Diakon, 1775 Pfarrer an der Waisenhauskirche, 1778 Diakon und 1786 Pfarrer an der St.-Peter-Kirche in Zürich.“ 7)
Lavaters kirchliche wie gesellschaftspolitische Einstellung in den ersten Jahren seiner Tätigkeit als Pfarrer und Schriftsteller beschreibt Horst Weigelt wie folgt: „Seine Position war gekennzeichnet durch Opposition gegen starre Systeme, verkrustete Konventionen und vor allem gegen gesellschaftspolitische Ungerechtigkeiten. All dies war aber die Folge seiner immer stärker werdenden Anteilnahme an der sich immer mehr Bahn brechenden Hochschätzung des Gefühls. Diese Gefühlskultur ließ Lavater gegen den Rationalismus Front machen und offen werden für neue der Vernunft nicht mehr zugängliche transzendente Welt. (…) für ihn [wurde] Christus zum alles beherrschenden Zentrum seines Denkens und Wirkens. Durch ihn kann, so meinte er, der einzelne Mensch in der Immanenz sensitive Transzendenzerfahrung machen und schon hier und jetzt himmlische Kräfte teilhaftig werden“ 8)
Lavater nahm Kontakt zu Personen auf, die meinten, medial veranlagt zu sein und deshalb Kranke heilen oder mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen könnten. 9)
Auch literarisch schlug sich diese Einstellung bei Lavater nieder, so in seinem in Briefform verfassten vierbändigen Werk „Aussichten in die Ewigkeit“ (erschienen zwischen 1775 bis 1778).
Als Lavater Diakon an der St-Peter-Kirche in Zürich war, entstanden seine in verschiedenen Sprachen übersetzten und in vielen Ländern Europas populär gewordenen „‘Physiognomischen Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe‘ (4 Bände, 1775–78) (…), in denen er Anleitung gab, verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu erkennen. Lavaters Theorie der Physiognomik wurde in der damaligen Zeit lebhaft diskutiert, (…) bekannte Künstler wie Daniel Chodowiecki, (…) lieferten Vorlagen für seine Sammlung Physiognomik.“ 10)
Lavater verfasste auch: „die Schweizerlieder (1767), (…) das Geheime Tagebuch. Von einem Beobachter Seiner Selbst und die Unveränderten Fragmente aus dem Tagebuche eines Beobachters seiner Selbst, verschiedene theologische, pädagogische und patriotische Werke. Weiter wurde er für seine zahlreich publizierten Predigten bekannt und aufgrund mehrerer religiös geprägter epischer Dichtungen wie Jesus Messias, oder die Zukunft des Herrn (1780) und Joseph von Arimathea (1794) sowie des religiösen Dramas Abraham und Isaak (1776)“, 11) heißt es in Wikipedia.
Seine literarische Bekanntheit führte dazu, dass Lavater eine große Anzahl von Freundschaften und Bekanntschaften aufbaute. Hunderte Briefe wurden jährlich geschrieben, was immense Portokosten verursachte. Und Lavater wurde häufig besucht bzw. unternahm viele Reisen, um seine Freunde und Korrespondenzpartnerinnen und -partner zu besuchen. Horst Weigelt nennt drei Frauen, mit denen Lavater eine intensive Bekanntschaft pflegte: Elisabeth von der Recke, Freifrau Sophie Löw von und zu Steinfurth und Maria Antonie Marquise von Branconi. 12) Mit Elisabeth von der Recke verband Lavater das starke Interesse an übernatürlichen Erfahrungen, mit Sophie Löw von und zu Steinfurth die Frömmigkeit im „Geist der Herrnhuter Brüdergemeinde“ 13) und mit der Marquise von Branconi hatte Lavater eine sehr intime vertrauliche Beziehung.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zogen sich allerdings diverse Freunde und Bekannte – so auch Goethe – von Lavater zurück. Dafür gab es verschiedene Gründe, einer davon war – so Horst Weigelt – Lavaters Indiskretion; er plauderte vielfach aus, was man ihm unter dem Mantel der Verschwiegenheit anvertraut hatte. Ein anderer Grund war „sein hartnäckiges Drängen auf reale Transzendenzerfahrung (…).“ 14) Die Freundschaft zu Elisabeth von der Recke zerbrach, als sie erkannte, dass der Okkultist Alessandro Cagliostros (1743-1795), den sie und Lavater bisher verehrt hatten, ein Scharlatan war. Diese Erkenntnis veröffentlichte sie in ihrem Buch „Nachricht von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau“, in dem sie auch Lavater erwähnte. 15)
Als die Französische Revolution 1789 begann, befürwortete Lavater diese zunächst, da er den Freiheitsgedanken unterstützte. Doch die Auswirkungen der Revolution: Morde, Abschaffung des Königtums ließen seine Meinung ändern. Seine Abscheu gegenüber den vorgenommenen Hinrichtungen während der Französischen Revolution artikulierte er auch in Briefen an Bekannte und Freunde, so in einem Brief an Klopstock (siehe: Klopstockstraße), der ein Freund der Französischen Revolution war. „So forderte er (…) Klopstock, den die Generalversammlung wegen seines begeisterten Eintretens für die Französische Revolution durch die Übersendung des Bürgerdiploms geehrt hatte, indirekt, aber unmissverständlich auf, diese zurückzugeben. Er schrieb: ‚ich hoffe (…), daß Sie auf das Ihnen angebottne und geschenkte französische Bürgerrecht keinen grossen Werth mehr sezen werden. (…) Sie werden sich mit Abscheu (…) von aller Theilnahm an einem Bürgerrechte mit Menschen zurückziehen, die den allerheiligsten Rechten der Bürger und der Menschen – mit einer beyspiellosen Kälte und schaamlosen Mordsucht hohnsprechen (…).‘ Klopstock war über diese unerbetene Belehrung, wie er ‚über die französische Revoluzion denken müße‘, entrüstet und weigerte sich, Lavater zu empfangen, als dieser ihn am 5. Juni 1793 in Hamburg besuchen wollte. Nur auf inständiges Drängen seiner Frau Johanna Elisabeth und deren Freundin ließ er sich dann doch dazu bewegen; allerdings verlief die Begegnung seitens Klopstocks ausgesprochen kühl,“16) schreibt Horst Weigelt.
Neben seinem politischen Interesse bestand bei Lavater weiterhin eine große Affinität zum Okkultismus. So stand Lavater in brieflichem Kontakt mit Andreas Peter Graf von Bernstorff (siehe: Bernstorffstraße) und dessen Ehefrau Auguste Louise. Bernstorff gehörte in Kopenhagen um 1789 einem kleinen Geheimbund an, der glaubte, mit Christus in einer medialen Verbildung zu stehen. Außerdem war der Geheimbund der Ansicht, dass Auguste Louise in einem früheren Leben Maria Magdalena gewesen sei. 17)
Als am 27.4.1797 französische Truppen Zürich besetzten, wandte sich Lavater in einem Schreiben an die Kommandantur und protestierte darin „gegen die Schärfe der Besatzungsmaßnahmen (…).“ 18) Dieses Schreiben mit dem Titel „Ein Wort eines freyen Schweizers an die große Nation“ wurde als Flugblatt verbreitet. „L.s Protest gegen die Deportation von 14 ehemaligen Zürcher Ratsmitgliedern während des 2. Koalitionskrieges führte am 16.5.1799 zu seiner eigenen Verhaftung und Überstellung nach Basel; in seinen ‚Freymüthigen Briefen über das Deportationswesen und meine eigene Deportation nach Basel‘ (1800/01) gab er eine Schilderung seiner Erlebnisse. Erst am 16.8.1799 zurückgekehrt, wurde er bei der zweiten Einnahme Zürichs durch Masséna von einem Soldaten angeschossen; da die Kugel nicht entfernt werden konnte, starb L. nach langem Leiden am 2.1.1801,“19) schreibt Wolfgang Proß in der Neuen Deutschen Biographie.
Horst Weigelt fasst Lavaters Intention seines Wirkens wie folgt zusammen: „Mit seinem umfangreichen und breitgefächerten Oeuvre und seinen sonstigen vielfältigen Aktivitäten verfolgte Lavater im Grund ein einziges Anliegen: die manifeste Erfahrbarkeit des Göttlichen. Die Sehnsucht nach einer solchen immanenten Transzendenzerfahrung – für ihn letztlich immer mit Christuserfahrung identisch – war es, die ihn unablässig umgetrieben hat. ‚Mit Jesu Christo in eine reelle correspondenzmäßige Connexion zu kommen und einige Auserwählte in eine solche zu bringen, ist der Zweck meines Lebens. (…)‘. Diese sensitive Erfahrung des Göttlichen führt nach Lavaters Ansicht beim Menschen zu einer Steigerung seiner Subjektivität und eröffnet ihm grundsätzlich die Möglichkeit seiner Gottwerdung.“ 20)