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Lenaustraße

Hohenfelde (1899): Nikolaus Lenau, eigentlich Nikolaus Franz Niembsch, (seit 1820) Edler von Strehlenau (13.8.1802 Csatád/Ungarn – 22.8.1850 Oberdöbling/Wien), Dichter.


Siehe auch: Paganiniweg

„Lenau ist der wichtigste deutschsprachige Dichter des Weltschmerzes und Pessimismus, einer europaweit umgreifenden Stimmung in der Restaurationszeit, die in der Philosophie ihren Ausdruck in Arthur Schopenhauers [siehe: Schopenhauerweg] Die Welt als Wille und Vorstellung finden sollte und in der deutschen Literatur in Friedrich Hebbel [siehe: Hebbelstraße] einen weiteren Vertreter unter den Schriftstellern fand. Als Skepsis und Verlust metaphysischer Welterklärungen wie Einsicht in die Unbehaustheit des modernen Subjekts handelt es sich hierbei nicht um ein Abbild der Schwermut, sondern um eine Anschauung, welche die Transformation in der Moderne als metaphysische Verzweiflung reflektiert. Dies schloss bei Lenau beispielsweise die Idealisierung Savonarolas mit ein, ein Schwanken zwischen Pantheismus und Christentum wie das Einsehen in die unaufhaltsame politische Entwicklung.

Der Spätromantiker gilt neben dem an der Klassik sich orientierenden Grillparzer [siehe: Grillparzerstraße] als der bedeutendste Dichter Österreichs im 19. Jahrhundert. Zu seinem hervorragenden Werk zählen die Schilflieder, einige Sonette und Lieder,“ heißt es in Wikipedia. 1)

Nikolaus Lenau war der Sohn von Theresia Niembsch, geborene Maygraber und des Offiziers und Rentamtsschreibers Franz Niembsch.

Der Vater war ein Spieler und starb 1807, als Nikolaus fünf Jahre alt war. Die Restfamilie blieb verarmt zurück. Nicolaus‘ Mutter heiratete 1811 erneut. Sie ermöglichte ihrem Sohn den Besuch das Gymnasiums in Pest, indem sie dafür ihr Erbe angriff.

Günter Häntzschel schreibt in der Neuen Deutschen Biographie über Lenau: „Nach Abschluß des deutschsprachigen Piaristengymnasiums in Pest siedelt er 1818 zu den wohlhabenden Großeltern Niembsch nach Stockerau b. Wien über und beginnt im folgenden Jahr in Wien Philosophie zu studieren. Er schreibt seine ersten Gedichte. Ein 1821 begonnenes und noch mehrere Jahre dauerndes Verhältnis mit Bertha Hauer, der unehelichen Tochter einer Haushälterin, führt zu Auseinandersetzungen mit den Großeltern.“2)

Resultat dieser Liebesbeziehung soll ein Kind gewesen sein.

1822 begann Lenau Jura zu studieren, wechselte noch im selben Jahr zum Studium der Landwirtschaft an die Landwirtschafts-Akademie in Ungar.-Altenburg. Ein Jahr später brach er auch dieses Studium ab, kehrte 1823 nach Wien zurück, wo seine Eltern lebten, und widmete sich nun der Philosophie. 1824 studierte er erneut Jura, 1825 dann Medizin, was er 1830 abbrach. „Seit 1828 veröffentlicht er in Almanachen, Zeitungen und literarisch-kulturellen Zeitschriften Gedichte, 1830 erstmals unter dem Pseudonym Nikolaus Lenau, das er von nun an beibehält.

Eine Erbschaft nach dem Tode seiner Großmutter ermöglicht L. ein unabhängiges Leben als freier Schriftsteller. Er reist nach Süddeutschland und wird 1831 in Stuttgart mit Gustav Schwab [siehe: Gustav-Schwab-Straße] bekannt, der ihm Gedicht-Veröffentlichungen in Cottas ‚Morgenblatt für gebildete Stände‘ und einen Vertrag über einen Gedichtband in Cottas Verlag vermittelt. Der Band ‚Gedichte‘ erscheint 1832 und erlebt mehrere Auflagen. (…). Eine Liebesbeziehung zu Charlotte Gmelin, einer Nichte von Schwabs Frau, der L. seine ‚Schilflieder‘ widmet, vertieft die Harmonie dieser Jahre, kann jedoch L.s latente Schwermut nicht überwinden. Symptom für seine innere Unausgeglichenheit ist das abermalige Aufnehmen – und Abbrechen – des Medizinstudiums in Heidelberg 1831/32, mehr noch eine 1832 – nach der Trennung von Charlotte Gmelin – ohne lange Vorbereitung angetretene, für damalige Verhältnisse außergewöhnliche Reise nach Nordamerika mit dem Ziel der Auswanderung.“3)

Ein Grund für die Reise nach Amerika war eine Fehlspekulation an der Börse, durch die Lenau die Hälfte seines Erbes verloren hatte. Deshalb beschloss Lenau, in den USA Land zu kaufen und Pächter für sich arbeiten zu lassen. Aber: „Enttäuscht von seinen Eindrücken und Erfahrungen in Baltimore, Pennsylvanien, Ohio und an den Niagarafällen kehrt L. voller Heimweh nach einem Jahr zurück. Weder hatte er das erhoffte Land der Freiheit finden, noch sich durch Landkauf materiell sichern können. Auch für seine Poesie hatte Amerika nur wenig Anreize gegeben.“4)

Als Lenau aus Amerika zurück nach Deutschland kam, stellte er fest, dass er in seiner Abwesenheit zu einem literarischen Star geworden war.

„1833, ein Jahr nach Goethes Tod, beginnt er sein episch-dramatisches Gedicht ‚Faust‘, das 1836 erscheint und Ausdruck einer bei ihm zu dieser Zeit überwiegenden nihilistischen Weltanschauung ist. Bei seinen von nun an häufigen Aufenthalten in Wien lernt er 1834 Sophie Löwenthal, seit 1829 Ehefrau eines hohen österr. Beamten und Cousine seines Jugendfreundes Fritz Kleyle, [25.10.1810 Wien - 9.5.1889 Wien] kennen.“5)

Sophie von Löwenthal war Mutter von drei Kindern und unglücklich verheiratet. Sie vollzog nicht den Schritt, sich sozial zu emanzipieren und sich von den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien. Gleichwohl war sie die Muse des Poeten, eine „Seelenverwandte des Dichters (…), zur Melancholie disponiert und dem Dichter auf eigene, enigmatisch verborgene Weise verbunden. (…) [Lenau] lebt (…) das Leiden dieser unglücklichen, unerfüllten Liebesbeziehung im masochistischen Vergnügen: Wenn das Schicksal die unglückliche Konstellation nun einmal herbeigeführt hat, dann nehme ich sie hin wie andere Schicksalsschläge auch, wie eine Krankheit und die Todesgewissheit, im ‚Amor fati‘, weil es keine Alternative dazu gibt.‘

Jahrelang verharrte Lenau in emotionaler Unfreiheit, einfach deshalb, weil er sich nicht befreien wollte, und weil ihm, das Süße Leiden in der ewig traurigen melancholischen Situation eine eigene Lust verschaffte und die Trauerpoesie sprudeln ließ.“ 6)

In dieser Zeit erschien 1837 das Werk „Savonarola“, „in dem Freiheit von politischer und geistiger Tyrannei als wesentliches Merkmal des Christentums dargestellt wird. Seine Neueren Gedichte, die 1838 erschienen, sind zum Teil von seiner hoffnungslosen Leidenschaft für Sophie von Löwenthal geprägt.“7)
Und ebenfalls in dieser Zeit entbrannte er in Liebe zu der Opernsängerin Karoline Unger (28.10.1803 Wien – 23.3.1877 Florenz). Sie war der „Gegenentwurf zu der gesellschaftlich angepassten, nicht rebellierenden Sophie von Löwenthal – die Frau von Welt, emanzipiert und selbstbewusst, kunstsinnig und tiefsinnig, bereit, zu leben und zu genießen: Caroline Unger, die Diva und Primadonna, als Mensch und Künstlerin ein scharfer Kontrast zu der Biedermeier-Gestalt Sophie, die in den Augen Lenaus zeitweise eine perfekte Schöpfung darstellte, wert, übermenschlich erhöht und fast an die Stelle Gottes gerückt zu werden.“8)

Gleich zu Beginn seiner Liebesbeziehung mit Karoline Unger schrieb Lenau „an Sophie von Löwenthal einen Brief, der ihre Eifersucht wecken musste. (…) ‚Mein Gefühl für Sie‘, schrieb der Dichter, ‚bleibt ewig und unerschüttert, aber Carolines Hingebung hat mich tief ergriffen. Es ist an Ihnen, Menschlichkeit zu üben an meinem zerrissenen Herzen. Caroline liebt mich grenzenlos. Sie hat mir geschrieben. Verstoße ich sie, so mache ich sie elend und mich zugleich, denn sie ist werth, daß ich sie liebe. Entziehen Sie mir Ihr Herz, so geben Sie mir den Tod; sind Sie unglücklich, so will ich sterben. [...] ich wollte, ich wäre schon Todt!‘ Was Lenau wollte, ist klar: die Liebe beider Frauen. Und er will von Löwenthals Zustimmung zu seinem Verhältnis mit Unger. Um sie zu erlangen schreckt er auch vor einer Suiziddrohung nicht zurück. (…)‘.“9)

Nach Beendigung der Beziehung mit Karoline Unger – in Wikipedia wird als Grund für die Auflösung der Beziehung angegeben: Lenau, der wesentlich weniger Geld besaß als Karoline Unger, wollte sich nicht von ihr aushalten lassen; und auch ihr Angebot, sie wolle ihm zuliebe auf ihre Karriere verzichten, lehnte er ab.10) - wandte sich Lenau erneut einer Liebschaft zu. „Diesmal schrieb er jedoch keinen Eifersucht erweckenden Brief an von Löwenthal, sondern (…) schwieg von Löwenthal gegenüber, so dass sie von Lenaus Heiratsabsicht aus der Zeitung erfahren musste. Von ihr zur Rede gestellt droht er auch diesmal mit Selbstmord: ‚wenn Sie's wünschen, verheirathe ich mich nicht; ich erschieße mich dann aber auch.‘“ 11)

1844 verlobte sich Lenau mit Marie Behrends (geboren 1811). Er hatte sie in Baden-Baden kennengelernt, wo er seinen „Don Juan“ zu Ende schreiben wollte. „(…) sie war keine Schwärmerin, kein phantastisches Mägdelein, sondern eine ernste, sinnige und sanfte Dame, schon über die ersten Mädchenjahre hinaus und im Kampfe des Lebens durch eine trübe, an dem Krankenbett des geliebten Vaters verbrachte Jugend erfahren und gefestigt. Der erste Eindruck, den sie auf Lenau machte, war gleichwohl – oder vielleicht gerade darum – ein ausgezeichneter. (…)“!, 12) heißt es in einem Artikel in der „Gartenlaube“ aus dem Jahr 1889.

Darin ist weiter zu lesen: „Er hatte die Gewißheit, daß seine Liebe erwidert wurde, erlangt; und nun sproßte ein neuer Blüthenfrühling in ihm auf. Er machte Pläne für die Zukunft und schwärmte im Ausmalen eines still abgeschlossenen Lebensglückes. (…); sein ganzes Sinnen und Trachten war auf die künftige Gestaltung seines Lebens gerichtet. Es ist aber bezeichnend, daß bei all’ diesen Plänen eine durchaus verständige, ja fast nüchterne Berechnung vorherrschte. Lenau schien geradezu praktisch geworden zu sein. Wer ihn nicht schon gekannt, hätte ihn am Ende gar für geizig halten müssen. Denn neben der Freude an dem neu gefundenen Liebesglück spielte das Behagen eine wesentliche Rolle, nunmehr einen festen Halt und eine materiell gesicherte Lebensstellung zu erlangen. Ja, so klug war Lenau diesmal, daß er in seinen Briefen nach Wien – namentlich an Sophie – auch nicht ein Jota von seinen Plänen schrieb. Er handelte diesmal rasch und entschlossen, er berechnete alle Umstände geschickt und vernünftig – aber es war schon zu spät. Und er selbst fühlte es, als er nachher sagte: ‚Mein ganzes Unglück ist ein verfehltes Rechenexempel. Ich habe mich verrechnet. Ich wollte noch glücklich sein, und als ich das Glück erkannt, es mir schnell sichern . . . aber die alten Bande lassen mich nicht los.‘

Schnell hatte Lenau, (…) den Entschluß gefaßt, sich zu verloben und die Freundin in Wien mit einer vollendeten Thatsache zu überraschen. Er reiste nach Frankfurt und dort fand die Verlobung statt. ‚Ueber mein ganzes Leben ist ein freudiger Friede gekommen,‘ schrieb er von da aus an seine Stuttgarter Freunde, (…).

Aber dieser Friede war leider nur von kurzer Dauer, (…). Zuerst war es die Sorge um die Zukunft, die seinen Liebesfrieden störte. Zwar hatte er mit Georg v. Cotta einen Vertrag abgeschlossen, der ihm 20 000 Gulden Honorar für seine Gedichte sicherte. Aber diese Summe reichte doch nicht hin, einen geordneten Hausstand zu begründen. Da war denn alle Hoffnung auf das Vermögen der Braut gerichtet. Leider erwies sich diese Hoffnung nur zu bald als trügerisch. ‚Eine Eröffnung der Brautmutter, welche einer unter gewöhnlichen Umständen reichlichen, unter den obwaltenden aber keineswegs ausreichenden Mitgift erwähnte, riß Lenau zu einer Zeit, wo an einen Rücktritt nicht mehr zu denken war, aus seiner Hoffnung auf eine vollkommen gesicherte Zukunft.‘ (…)..

Dazu kam aber noch ein anderes und zwar das Wichtigste: die Furcht vor Wien. Es war eine recht traurige Reise, die der arme Bräutigam bald nach seiner Verlobung antreten mußte. Am 14. August war er in Wien und ging sofort zu Sophie. Ihre erste Frage lautete: ‚Niembsch, ist es wahr, was die Zeitungen von Ihnen melden?‘ ‚Ja!‘ erwiderte er, ‚doch wenn Sie es nicht wünschen, verheirathe ich mich nicht, ich erschieße mich dann aber auch!‘

Es dauerte mehrere Tage, während welcher Lenau mit Sophie und ihrer Familie in Lainz bei Wien lebte, ehe eine Verständigung erzielt wurde. Nachdem er aber diese erreicht, war er von einer wahrhaft ‚funkelnden Freudigkeit‘, die den Freunden allerdings schon befremdend erschien. Es blickte manchmal durch, als wäre die Lust und Laune etwas erzwungen. Er schien entschlossen, alle Hindernisse der Religion (Marie war protestantisch), des Vermögens etc. gewaltsam zu beseitigen. Als ihm ein Freund die verschiedenen Bedenken gegen diese Ehe vorhielt, stampfte er mit dem Fuße auf und rief: ‚Ich will aber glücklich sein!‘ (…)

Schon in seinem ersten Brief vom Schiffe aus gibt er den wehmüthigen Trennungsgedanken poetischen Ausdruck: ‚Wenn man von was recht Liebem geschieden ist und um das Verlorene trauert, so ist es gut, in einen Strom zu schauen, wo alles wogt, rauscht und schwindet, wie das Beste des Lebens. Diese Wehmuth hätte sich mir zu bitterer Qual gesteigert, wäre mir nicht mit den Wellen auch der Gedanke zugeschwommen, daß ich ja selbst bald auch so verrauschen werde und vergehen!‘ (…).

In den nächsten Briefen änderte sich allerdings wieder die Stimmung. Bald ist er voll freudiger Hoffnung auf ein volles Eheglück, bald von düsteren Ahnungen und schwarzen Gedanken erfüllt; heute will er endgültig abschreiben, morgen geht ein zärtlicher Liebesbrief an die Braut ab. Nur in hellen Stunden fühlt er es klar: Ein schlechter Ehekandidat bin ich jedenfalls!‘“13)

Ende September 1844 erlitt Lenau einen Schlaganfall. Am 8. Oktober schrieb er seiner Verlobten Marie: „... Der Unfall, der mich getroffen gerade in der Zeit, wo ich mit den letzten Vorkehrungen zu meiner Vermählung beschäftigt war, erschien mir und erscheint mir noch immer als ein absprechendes Verhängnis, ein schauerlicher Protest des Schicksals gegen mein Glück und alle meine Anstalten dazu. Ich selbst erscheine mir wie ein vom Tode bezeichneter; er hat seine Hand an mich gelegt, wie der Förster im Walde diejenigen Bäume anhaut und zeichnet, die bald gefällt werden sollen ... So steht es um meine Seele, so um meinen Leib. O Marie, wie muß ich beklagen, daß ich den Frieden Deiner schönen und lieben Seele gestört, gebrochen habe! Nichts kann ich zu meiner Entschuldigung, nicht einmal meine redliche Absicht anführen, daß ich, Dir Liebe und Ehre weihend mein Leben lang, Dein Glück habe begründen wollen; denn der Vorwurf steht und ist nicht wegzubringen: ich hätte mich selbst besser kennen sollen.“ 14)

Wenig später brach bei ihm eine Entzündung des zentralen Nervensystems als Folge einer Syphilis-Erkrankung aus, die er sich Jahre zuvor zugezogen hatte.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Oktober erlitt Lenau seinen ersten Tobsuchtsanfall und wollte sich das Leben nehmen; auch traten Wahnvorstellungen auf.

Wahnvorstellungen und klare Gedanken wechselten sich ab. In seinen klaren Momenten schrieb er z. B. an Sophie von Löwenthal: „‘In dieser Nacht hab’ ich in einer schauerlichen Beleuchtung des Schicksals bis auf den Grund meines Herzens gesehen, daß meine ganze Seele Ihnen gehört auf ewig,‘ (…). Soviel Kraft hatte er noch, den Anfall zu bewältigen. Freilich, auch diese Kraft nahm immer mehr ab und der Wahnsinn trat ein, der entsetzliche Wahnsinn, der nur selten noch lichteren Zwischenpausen Platz machte. In einem solchen lichten Augenblick, unmittelbar nach einem Aderlaß, rief er ein paarmal aus: ‚Heute kommt meine Braut!‘ Niemand konnte daran denken, denn die Aerzte hatten wegen der befürchteten Aufregung davon abgerathen, der Braut irgend welche Mittheilung zu machen. Aber wie seltsam! Am selben Abend traf die Braut mit ihrer Mutter in Stuttgart ein. Auf die Kunde von Lenaus Erkrankung war sie im Eilwagen von Frankfurt abgereist. In Heidelberg mußte der Wagen auf die von Karlsruhe kommende Post warten, die Damen gingen in den Gasthof, Marie nahm eine Zeitung zur Hand, und ihr erster Blick fiel auf die lakonische Mittheilung: ‚Der Dichter Lenau ist wahnsinnig geworden und liegt in der Zwangsjacke.‘“ 15)
Lenau wurde in die Heilanstalt Winnenthal b. Stuttgart eingewiesen; drei Jahre später kam er in die Anstalt Oberdöbling b. Wien. Dort lebte er noch drei weitere Jahre. „Sophie von Löwenthal besuchte ihn hier bis zu seinem Tod 1850 mit steter Regelmäßigkeit zweimal im Monat. Zunächst verweigerte man ihr jedoch den Zutritt zu dem Kranken. Lenaus Schwager Anton Xaver Schurz begründete das ihr gegenüber damit, dass man sie für ‚eine Art Zirze‘ halte, deren ‚Zauberstab‘ Lenau ‚willenlos‘ gehorche. Zwar wolle er sich gelegentlich ‚aufraffen und dem ihn fest umschlingenden Netze sich entreißen, allein vergeblich! er verwickelt sich dabei nur noch mehr darin‘. (…).“ 16)

Sophie von Löwenthal wurde als die Schuldige, als das Weib, das den Mann verhext, ihn in seinen Klauen hält und nicht loslässt, beschrieben und von Teilen der Umwelt so gesehen. Ein „Argument“, dass seit „Eva und der Sündenfall“ immer wieder gerne bis heute herangezogen wird, um den Mann als den Unschuldigen in Liebesdingen darzustellen. Sophie von Löwenthal kannte diese Schuldzuweisungen und so schrieb sie: „‘Ihr alle habt eine ebenso übertriebene Meinung von meiner Macht als von meiner Schuld‘.“ 17)

Sowohl Sophie von Löwenthal als auch Lenau litten schuldlos an ihrer unglücklichen Liebe zueinander. „In einem Brief an Schurz verleiht von Löwenthal ihrem Leiden Ausdruck: ‚Und als dann dieser Freund [Lenau] kam, der nach seiner Liebelei mit der Sgra Ungher, viel Zeit und Athem daran gewendet hatte mich wieder in den Glauben an seine ewige Treue hineinzureden, [...] hätte da mein Herz nicht bluten, nicht verzagen sollen?‘" (…).“18)

Nach dem Tod Lenaus: „widmete sie sich ganz ihrer Familie, später auch der Förderung elternloser Pfleglinge im Kinderheim Traunkirchen. L. (…), bekannte sich in den ihr auferlegten Schranken nach wie vor zu Lenau. Sie diente ihm noch viele Jahre nach seinem Tod durch Förderung der Buchausgaben und Smlg. aller ihr erreichbaren Veröff. über den Dichter und sein Werk. L.s eigene Fähigkeit, durch das Wort zu wirken, erweisen vor allem ihre Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Ihre posthum hrsg. Erzählung hat vor allem autobiograph. Wert.“ 19)

Lenaus politische Einstellung
Als die bürgerliche Revolution von 1848 begann, lag Lenau krank darnieder und konnte sich dazu nicht mehr äußern. Aber zu dieser Revolution hatte es Vorboten gegeben, die sich in den 1820er Jahren in liberal- und national-motivierten Bewegungen gezeigt hatten. Lenau war Anhänger der Pressefreiheit, war Kosmopolit und vertrat den Standpunkt der allgemeinen Freiheit. Niels Marvin Schulz schreibt dazu: „Nikolaus Niembsch musste sich gezwungenermaßen zeitlebens mit der Zensur auseinandersetzen, da seine freiheitlichen Gedanken eine Gefahr für das Metternichsche System und den Bestand des Kaiserreichs Österreich darstellten. (…). Bereits als Student an der Universität Wien, an der Niembsch zahlreiche Studienfächer belegte, nahm der spätere Dichter das repressive Geistesklima wahr: Seine an der Aufklärung und am Frühliberalismus orientierten Professoren in Religionswissenschaft (Vincenz Weintridt) und Philosophie (Leopold Rembold), die durch kritische Äußerungen, ihre Nähe zu den verbotenen Burschenschaften und Abweichungen von den Lehrvorgaben auffielen, wurden 1820 bzw. 1824 aus dem Lehrbetrieb entfernt, was auf Niembsch einen prägenden Eindruck hinterließ. Auch in den 1820ern sollte sich Niembsch deshalb ein Pseudonym zulegen. (…).

Durch die Publikation der eigenen Werke im Königreich Württemberg umging Lenau die weitaus striktere österreichische Zensur, was ihn im Sommer 1836 in das Zentrum der Aufmerksamkeit der kaiserlich-königlichen Zensur- und Polizeibehörden geraten ließ. Niembsch wurde von der Wiener Oberpolizeidirektion unter dem Verdacht, dass es sich bei dem unter dem Pseudonym Nikolaus Lenau schreibenden Autor um ihn handelte, zum Verhör vorgeladen. (…).“ 20) Das Zensurverfahren gegen Lenau wurde ein Jahr vor Lenaus Schlaganfall eingestellt.

„Niembsch thematisierte in seinen Werken meist die sich gegen die etablierten Herrschaftssysteme auflehnenden religiösen, sozialen und nationalen Außenseiter und Minderheiten. Durch die Perspektive, der an der Peripherie Angesiedelten stellte der Dichter bewusst die bestehende Ordnung infrage und spiegelte auf diese Weise die vormärzliche Sensibilisierung für nationale Emanzipationsbewegungen wider.“21)

Lenau und Antisemitismus
Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „Lenau verfasste unter anderem das Gedicht ‚Ahasver, der ewige Jude‘ in Anlehnung an die antijüdische Tradition und bedient darin gängige (früh-) antisemitische Klischees.“ 22) Sassmannshausen gibt die Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „Recherche, gegebenenfalls Kontextualisierung. “ 23)