Babendiekstraße
Blankenese (1947): Otto Babendiek. Romanfigur von Gustav Frenssen
In Blankenese, wo der Schriftsteller Gustav Frenssen (19.10.1863 Barlt/Dithmarschen – 11.4.1945 Barlt) zwischen 1906 und 1912 gewohnt hat, sind noch weitere Straßen nach seinen Romanfiguren benannt:
Siehe: Guldtweg
Siehe: Jörn-Uhl-Weg
Siehe: Anna-Hollmann-Weg
Zuvor hieß die Straße Weddigenstraße, benannt 1915 nach Otto W. (1882-1915), U-Bootkapitän im Ersten Weltkrieg (Motivgruppe: Namen aus dem Ersten Weltkrieg: Marine). Ihre Umbenennung in Babendiekstraße erfolgte 1947, weil der damalige Senat die Weddigenstraße als militärisch und damit umzubenennen einstufte. Gustav Frenssen selbst wurde damals noch nicht als eine umstrittene Persönlichkeit gesehen. (vgl.: Bericht über Umbenennungen von Straßennamen in Hamburg seit 1918, März 1987, Staatsarchiv Hamburg, S. 18.) Nach ihm wurde 1928 eine Straße in Blankenese benannt, die zuvor Fritz- Reuter-Straße hieß.

1986 kam es wegen der nach Gustav Frenssen benannten Straße zu Protesten in der Bevölkerung. In einer Kleinen Anfrage des SPD-Abgeordneten Bodo Schümann vom 8. November 1984 an den Senat betreffs Umbenennung von öffentlichen Straßen, Plätzen und Wegen, hatte der Abgeordnete darauf hingewiesen, dass Gustav Frenssen: „schon vor 1920 für die Vernichtung ‚unwerten‘ Lebens eintrat, die Vertreibung und Vernichtung von Juden befürwortete und einer ‚Rassenreinheit‘ das Wort redete“.[1] Auch der damalige Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, hielt es für: „‚unerträglich, einen Mann wie Frenssen heute noch zu ehren‘. Dohnanyis Vater war von den Nazis als Widerstandskämpfer hingerichtet worden. Altonas SPD, die Grün-Alternative Liste und der Erste Bürgermeister der Hansestadt stimmten darin überein, die Frenssen-Straße umzubenennen. Die CDU sowie Anwohner der betroffenen Straße lehnten dies ab. So kam es im März 1985 zu einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf grundsätzlich konträre Positionen nicht überwunden werden konnten. Für eine Umbenennung sprachen sich u. a. aus – Prof. Dr. Barbara Vogel, Historikerin an der Universität Hamburg: ‚Bei der Ehrung einer Person mit einer Straße geht es doch um die Fragen ‚Was könnte Frenssen heute für uns bedeuten? Und ‚was bedeutete er in der Zeit, in der er lebte?‘ Heute gibt es keinen Streit über seine erschreckend demokratiefeindliche Einstellung.‘ (…) Martin Müller, CDU-Fraktionsvorsitzender, Altona: ‚Nach allem, was wir gehört haben, wird sich meine Fraktion gegen eine Umbenennung der Frenssenstraße aussprechen. Wenn derart strenge Maßstäbe wie bei der Frenssenstraße angelegt werden, müßten auch andere Hamburger Straßen neue Namen erhalten. Was Frenssen politisch geschrieben hat, billigen wir natürlich nicht.‘ (…) Am 18. Februar 1986 beschloß dann der Hamburger Senat, die Frenssen-Straße in Blankenese und den Frenssenweg in Eimsbüttel umzubenennen. Erstere bekam den Namen Anne-Frank-Straße. Von ihr abzweigende Straßen tragen weiterhin die Titel von Erzählungen Gustav Frenssens: so der Anna-Hollmann-Weg, der Jörn-Uhl-Weg und die Babendiekstraße,“ schreibt Frank Trende in seinem Aufsatz: „ ‚… und dann wußten wir auch, daß es Frenssens Bücher in vierzig Sprachen gab und über dreimillionenmal‘. Wer hat Angst vor Gustav Frenssen? Ein Rückblick auf fünf Jahrzehnte.“[1]
Auch in anderen norddeutschen Städten hießen Straßen nach Gustav Frenssen, so dass auch hier darüber kontroverse Diskussionen geführt wurden, so z. B. 1999 in Bad Oldesloe. Dazu schreibt Pastor Dietrich Stein: „Anfang 1999 kam es in Bad Oldesloe zu einer öffentlichen Auseinandersetzung um die Gustav-Frenssen-Straße. Bürgerworthalterin Ilse Siebel unternahm einen Vorstoß zur Änderung des Namens, da ein Autor, der in der NS-Zeit eindeutig politische Propaganda gemacht habe, heute nicht mehr auf diese Weise geehrt werden dürfe. Zur Information der ggf. betroffenen Anlieger fand am 11. März ein Informationsabend mit Kay Dohnke und Dietrich Stein – Herausgeber eines wissenschaftlichen Studienbandes zum umstrittenen Schriftsteller – statt; das Bemühen um Aufklärung wurde mit erregten Ausrufen und Unmutsbekundungen quittiert. Spontan bildete sich nach der Veranstaltung eine Bürgerinitiative ‚Gustav-Frenssen-Straße‘, die eine Beibehaltung des Namens forderte.
Wir sind seinerzeit nach Bad Oldesloe gekommen, um das Sachgespräch zu fördern, die sehr unterschiedlichen Seiten im Werk und in der Persönlichkeit des Autors zu benennen. Denn Frenssen ist ein Stück Literatur- und Zeitgeschichte nicht allein Schleswig-Holsteins, wo er gern noch als harmloser und politikferner Heimatdichter behandelt wird. Die Gustav-Frenssen-Straße war für mich kein Thema – das ist Sache Bad Oldesloes. Trotzdem sind Kay Dohnke und ich sofort von Gegnern der Straßenumbenennung mit Vorurteilen überhäuft und ins rechte Feindbild eingepaßt worden. Eine solche Mißachtung des fairen Gesprächs und der sachlichen Auseinandersetzung ist schwer zu verstehen.
Gegen den von Kay Dohnke und mir 1997 herausgegebenen Studienband Gustav Frenssen in seiner Zeit. Von der Massenliteratur in der Kaiserzeit zur Massenideologie im Nationalsozialismus (Heide 1997; vgl. ISHZ Heft 32/ 1997, S. 94ff.) ist vor allem seitens der Bürgerinitiative ‚Gustav-Frenssen-Straße in Bad Oldesloe‘ in unglaublicher Weise gehetzt worden. Das ist für die Autoren und die Autorin dieses Bandes ehrverletzend und rufschädigend; es geht nicht an, dass Fachleute für ihre sachliche und wissenschaftliche Arbeit so niveaulos beschimpft und unseriös angegangen werden.
Durch die besagte Bürgerinitiative wurde die Auseinandersetzung um Frenssen von vornherein auf diesen Ausschnitt der Ideologieverfallenheit des Schriftstellers enggeführt und versucht, mit falschen Behauptungen ihn zu einem harmlosen Heimatdichter zu machen: So wurde in der Bürgerfragestunde am 5. Juli behauptet, dass Gustav Frenssen ‚bekanntermaßen Gegner der 'Nazis' war und niemals ihr Wegbereiter‘.
Erschreckend war und ist zu sehen, welche Lügen und Unwahrheiten – hauptsächlich von besagter Bürgerinitiative – auch über Gustav Frenssen verbreitet worden sind. Damit wird Frenssen als Mensch und Schriftsteller nicht mehr ernst genommen und zu einem Popanz gemacht. Ein paar grundlegende Feststellungen sind um Frenssens willen unumgänglich:
1. Frenssen war engagierter Anhänger nationalsozialistischer Ideologien. In seinem 1940 erschienenen Lebensbericht (z. B. S. 315f.) geht es ihm darum, sich mit seinen Anschauungen ganz in den Nationalsozialismus hineinzustellen. Er gehörte dessen radikaler Richtung an, die die bürgerliche Gesellschaft ablehnte.
2. Frenssen vertrat die nationalsozialistische Euthanasie. Noch in der Lebenskunde (erschienen 1942) fordert er Euthanasie für Behinderte, Arbeitsunwillige, Herumstreicher, Volksfeinde, Kriminelle und andere, die er als krank einstuft (S. 50-55). Wer solche Ansichten Frenssens einfach beiseite wischt, muss sich fragen, wie er den Opfern der T4-Euthanasie-Aktion gegenüberstehen will. Zwischen Januar 1940 und August 1941 wurden allein im Sanatorium Sonnenstein in Pirna 13.720 Menschen vergast, ehe Adolf Hitler aufgrund der mutigen Predigten des Bischofs von Münster, Graf Galen, diese Mordaktion einstellte, weil er den Unmut der Bevölkerung fürchtete. Frenssen verbreitete seine radikalen nationalsozialistischen Anschauungen ebenfalls im dritten Band seiner Grübeleien, der unter dem Titel Vorland 1937 erschien (S. 49-70). Weiteres findet sich in anderen Schriften und Zeitungsbeiträgen.
Frenssen kann in seiner Person und in seinem Werk nicht auf seine nationalsozialistischen Anschauungen eingeschränkt werden. Es geht da um viele andere, sehr interessante Aspekte. Offenbar aber bringt die Auseinandersetzung mit ihm immer noch die gleichen Probleme mit sich wie die Auseinandersetzung mit der Zeit des Kaiserreichs, der Weimarer Republik und der NS-Diktatur.
Mit Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom Sommer 1999 wurde die Frenssen-Straße in Ernst-Barlach-Straße umbenannt. Trotzdem: Ich hoffe darauf, dass in Bad Oldesloe doch noch einmal Gelegenheit zum Gespräch sein wird, ohne dass es von Geschichtsklitterung und durch Zudecken unangenehmer Tatsachen erstickt wird. Bei der Frage einer Straßenumbenennung geht es letztlich darum, ob es sinnvoll ist, einen Namensgeber auf diese Weise zu ehren und als gesellschaftliches Vorbild hinzustellen. Diskussionen darüber – und es sind unvermeidlich politische Diskussionen – müssen jeweils vor Ort geführt werden, aber immer mit der nötigen Fairness und Verantwortung.
Frenssens Bedeutung hängt nicht an einem Straßennamen. Ob die, die sich so lautstark als Frenssens Verteidiger ausgaben, doch bereit sind, sich einmal ernsthaft mit ihm zu beschäftigen? Ich würde mich freuen, dann mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Vielleicht gibt es dann doch den Dialog.
Veröffentlicht in den Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte Heft 36 (1999) S. 102-104.
Der Verfasser: Dietrich Stein (Jahrgang 1948) ist Pastor in den Dithmarscher Gemeinden Barlt und Windbergen. Seit den achtziger Jahren befasst er sich kritisch mit Gustav Frenssens Leben und Werk; er ist Mitherausgeber eines Studienbandes über den Schriftsteller (Heide 1997).“[2]
Zur Person Gustav Frenssen, siehe auch im Eintrag zum Emmy-Beckmann-Weg.
Zum Roman „Otto Babendiek“
Über den Roman „Otto Babendiek“ und Gustav Frenssen schrieb Tilman Spreckelsen am 16.3. 2003 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen: „Fast sein gesamtes Leben lang war ihm Chaos unheimlich, erst im Alter warf er sich vor, seine animalische Natur immer allzu ängstlich unterdrückt zu haben. Da blickte er schon auf eine ganze Reihe von gründlich mißlungenen Büchern zurück, die im günstigsten Fall nur trivial, im ungünstigsten völkisch schwer verwirrt sind. Von den Nationalsozialisten ließ sich der Bestsellerautor denn auch feiern, pries munter Blut, Boden und alles Germanische, und wer wollte, konnte derlei leicht schon im ersten Erfolgsbuch des Autors entdecken, im ‚Jörn Uhl‘ [siehe: Jörn-Uhl-Weg, benannt 1979 in Blankenese] von 1901. Da war Gustav Frenssen schon fast vierzig und ließ, nachdem er wenig später sein Amt als Pfarrer niedergelegt hatte, fortan Buch auf Buch erscheinen, das meiste davon in so ungesund hoher Auflage verbreitet, daß Antiquare die Bände allenfalls in der Wühlkiste dulden. Einen Roman aber wird man lange suchen müssen: ‚Otto Babendiek‘, 1926 erschienen, ist Frenssens einziges gutes Buch und gleich so außergewöhnlich gelungen, daß man den Autor so vieler trivialer Romane gar nicht wiedererkennt - ein dickleibiger Entwicklungsroman, deutlich nach dem Muster des ‚David Copperfield‘ gearbeitet, aber erheblich realistischer und düsterer, ein Buch, das den Leidensweg eines frühverwaisten dithmarscher Handwerkersohns durch Schulen und Elendsquartiere beschreibt, bis er sich schließlich als Schriftsteller etablieren kann.“[3]
Thomas Krömmelbein schreibt über Babendiek in seinem Beitrag „Babendiek gleich Copperfield? Betrachtungen rund um Frenssens opus magnum“: „Otto Babendiek erzählt aus der Perspektive des erwachsenen Protagonisten die Geschichte seiner Entwicklung vom Tage seiner Geburt bis in die reifen Mannesjahre, (…).“ [4] Und weiter heißt es bei Krömmelbein: „Auffällig sind (…) die vielen Dickens-Motive im Babendiek: Kinder in ihrer ungesicherten Existenz, die um Liebe und Anerkennung kämpfen, das Waisenhaus und der Mißbrauch in jungen Jahren (Kinderarbeit, Schule), der Dualismus von Gut und Böse (Balle Bohnsack contra Dutti Kohl; die Leidenszeit Ottos beim sadistischen Onkel Peter), die kriminellen Machenschaften falscher Repräsentanten und ihre Entlarvung (der ehrlose Dieb und Vaterlandverräter Fritz Hellebek, der kriminelle Dutti Kohl und sein verlogener Vater, der seine naiven Kunden nach Strich und Faden ausnimmt); (….). Der Babendiek ist eine romanhafte Autobiographie, die ihren besonderen Reiz daraus bezieht, daß Frenssen Charles Dickens‘ David Copperfield seiner Handlung und seinen Romanfiguren zugrunde legte (…)
Die Inhaltsangabe des Babendiek liest sich wie ein norddeutscher ‚Remake‘ des David Copperfield. Da sind die Tanten, die herzensgute Lene Bornhold und die überhebliche Sara Mumm, die kurz bei der Geburt des Helden anwesend sind und später eine wichtige Rolle spielen werden, da ist das frühe Waisentum und die Fremdbestimmung durch böse Verwandte, die Durchbrechung des Mißstands und Aufnahme bei einer wohlgesinnten Tante, die die weitere Existenz Orros respektive Davids sichert. Da ist der anfänglich bewunderte Jugendfreund Fritz Hellebek respektive Steerforth, die sich als Bösewichter entlarven. Da ist die jeweilige erste Ehe mit einer im häuslichen Bereich völlig unfähigen Frau, und der Durchbruch zum Schriftsteller.“[5]
Über Frenssens Erzählstil äußert Thomas Krömmelbein: „So wichtig wie das Erzählte selbst sind in Frenssens Romanen die Kommentare des Erzählers; Es ist die (Un) Art des Verfassers, bei solchen Unterbrechungen der Handlung auch immer eine Sentenz anzubringen, dem Leser eine quasi Lebensregel mit auf den Weg zu geben, denn für Frenssen gibt es keine Kunst in einem zweckfreien Raum, sondern sie gerät immer auch zur ‚Lebenshilfe‘, womit seine Romanfiguren nur allzu oft Träger von Weltanschauungen werden. (…) Frenssen führt vor, daß jede Verletzung des Ordo – oder was er dafür hält – eine entsprechende Strafe nach sich zieht. Wer Unrecht tut, geht auch daran zugrunde (…), wer sich redlich bemüht, (…) der findet auf Erden auch sein Glück. (…) Ottos Aufstieg aus kleinsten ärmlichen Verhältnissen zum erfolgreichen Schriftsteller, der es zu bürgerlichem Ansehen bringt, gelingt, weil Otto dem Moralkodex der wilhelminischen Gesellschaft folgt: Fleiß, Bescheidenheit und Selbstverleugnung sind die Tugenden, die den Aufstieg ermöglichen.“ [6]
Frenssens Eheleben
Frenssen, der als Sohn des Tischlermeisters Hermann Frenssen (1829–1919) und dessen Frau Amalie, geb. Hansen (1827–1897) geboren wurde, wurde um 1890 Pastor und heiratete 1890 die Lehrerstochter Anna Walter aus Meldorf, die er seit seiner Gymnasialzeit kannte. Das Paar bekam keine leiblichen Kinder. Doch nahm es von 1900 bis 1907 als Pflegekind den Professorensohn Fritz Hansen auf. 1910 kam dann das kleine Mädchen Wiebke zu dem Ehepaar und wurde von ihm adoptiert. 1941 verstarb Wiebke, was vom Ehepaar Frenssen zutiefst betrauert wurde.
Nach dem Tod Frenssens, „kümmerte sich zunächst die Witwe Anna Frenssen [um seinen Nachlass], die von ihrem – nach dessen Angaben parapsychologisch begabten – Ehemann Gustav Frenssen schrieb, er sei immer in Angst gewesen, besonders vor Tieren und Geistern, und seine Phantasie habe ihn permanent gequält und beunruhigt.“[7]
Frenssen und sein Frauenbild
In seiner Rezension über das Werk von „Kay Dohnke / Dietrich Stein (Hrg.): Gustav Frenssen in seiner Zeit. Von der Massenliteratur im Kaiserreich zur Massenideologie im NS-Staat. Heide, 1997“, geht der Rezensent Lawrence D. Stoke auch auf: „die Studie über ‚Das Frauenbild und die Funktion von Sexualität in Gustav Frenssens Werk‘ von Kornelia Küchmeister [ein], der Betreuerin seines in der Kieler Landesbibliothek aufbewahrten Nachlasses (…). Nach einer äußerst feinfühligen Zerlegung der Darstellungen von den Protagonistinnen in den Romanen Frenssens, bei der Küchmeister u. a. die gemeinsame Ablehnung der Berufsausbildung der Frauen vom Autor sowie von der NSDAP (S. 417ff.) und Frenssens Übernahme des ‚Zuchtprinzips‘ in bezug auf die Frauenrolle in der Gesellschaft aufdeckt, wobei Frenssen auf theoretischer Ebene der Praxis der ‚Lebensborn‘-Organisation zuvorkam (S. 424, 430f.), kommt die Wissenschaftlerin zu einem vernichtenden Urteil über die Wirkung des Schriftstellers: Sein Werk ‚liefert unter ideologischem Aspekt den signifikantesten Beweis für die Instrumentalisierung des Frauenbildes in der Literatur des Nationalsozialismus. [...] Frenssen muß als Schriftsteller in die Reihe jener gestellt werden, die den Nationalsozialismus kulturell flankiert und für eine massenhafte Verbreitung zugrundliegender Ideen gesorgt haben‘ (S. 432)."[8]
Frenssen vertrat eine freie Sexualität. „Für Frauen hieß das 1903 nach Frenssen, auch unverheiratet Mutter zu werden; für Männer, sich außerehelich sexuell ausleben zu ‚dürfen‘. Frenssens weibliche Figuren lehnen es ab, ihr Dorf zu verlassen oder einen Beruf zu erlernen. (…) Mit seinen Forderungen nach sexueller Freiheit legte Frenssen Frauen auf Mutterschaft als weibliche Bestimmung fest.“[9]
Und Georg Brand schreibt zu diesem Thema: „Auffallend häufig ging er (…) speziell auf die Thematik unverheirateter Frauen ein und bedauerte immer wieder deren Kinder- und Mannlosigkeit. ‚Die bürgerliche und kirchliche Sitte, welche dem dritten Teil unsrer jungen Weiber, und durchaus nicht dem wertlosesten, verbietet, Kinder zu haben, beraubt sie in grausamer, widernatürlicher Weise der Blüte wie der Frucht‘ (Möwen und Mäuse, S. 26 f). Er war der Ansicht, daß das ganze Gebiet des Sexuellen aus dem sittlichen in den biologischen Bereich verschoben werden müsse. Immer wieder kommt er auf Menschenzucht zu sprechen, die er als erstrebenswerte Perspektive der Zukunft ansieht. ‚Gesunde‘ – und vor allem auch bedeutende – Männer beispielsweise von der Art eines Goethe sollten zur Fortpflanzung gezwungen werden. Entsprechendes habe für Frauen zu gelten: ‚Es müssen z. B. alle gesunden, wohlgebauten Weiber verpflichtet werden, wenigstens drei Kinder zu gebären, und es müssen die kranken und unwirtschaftlichen gehindert werden, beliebig Kinder in die Welt zu setzen.‘ (Möwen und Mäuse, S. 301).“[10]
Siehe mehr zum Thema auch im Eintrag zum Emmy-Beckmann-Weg.
Frenssen und Kolonialismus
Dazu schreibt Georg Brand in seinem Beitrag „Frenssen, Gustav (1863-1945)“: „Mit der Erzählung ‚Peter Moors Fahrt nach Südwest‘ wurde Frenssen neben Hans Grimm zum bekanntesten und bedeutendsten Vertreter der deutschen Kolonialliteratur. Von dem zum ‚Volksbuch‘ gewordenen Kolonialroman wurden bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges rund zweihunderttausend und bis zum Zweiten Weltkrieg fünfhunderttausend Exemplare verkauft. Unter Berücksichtigung der Ausleihen in Büchereien muß allein in Deutschland von einer Mehrmillionenleserschaft ausgegangen werden. Frenssen schilderte in diesem Kriegsroman die Teilnahme des Handwerkersohnes Peter Moor an den Kämpfen gegen die Hereros in Südwestafrika. In der Erzählung präsentiert sich eine radikal rassenorientierte Perspektive, die entschieden von der biologischen und kulturellen Höherwertigkeit der Weißen gegenüber der einheimischen farbigen Bevölkerung überzeugt ist. Daß den Weißen als den angeblich ‚Tüchtigeren‘ und ‚Frischeren‘ die Welt gehören soll und die Farbigen physischer Vernichtung anheim fallen dürfen, erscheint dabei nicht nur in einem sozialdarwinistischen Sinn angemessen, sondern wird auch theologisch als Ausdruck von Gottes Gerechtigkeit gerechtfertigt. Mit dieser Sichtweise stand Frenssen zwar einerseits etlichen Autoren aus anderen europäischen Kolonialstaaten nahe, übertraf sie aber teilweise noch durch die Deutlichkeit seiner Apologie des weißen Imperialismus.“[11]