Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Luthergrund

Bahrenfeld (1963), in Anlehnung an Lutherhöhe und hier Anlehnung an Lutherkirche, an Martin Luther.


Siehe auch: Lutherhöhe
Siehe auch: Martin-Luther-Straße
Siehe auch: Cranachstraße
Siehe auch: Bei der Lutherbuche
Siehe auch: Bugenhagenstraße
Siehe auch: Melanchthonstraße
Siehe auch: Martin-Luther-King-Platz
Siehe auch: Johann-Wenth-Straße

Der ehemalige Mönch und spätere Reformator Martin Luther (10.11.1483 Eisleben – 18.2.1546 Eisleben) heiratete im Alter von 42 Jahren die damals 26-jährige ehemalige Nonne Katharina von Bora (29.1.1499 Lippendorf - 20.12.1552 Torgau), und zwar, wie er behauptete, um sich „der Verlassenen zu erbarmen“.
Katharina von Bora entstammte einem sächsischen verarmten Adel. Nachdem die Mutter früh verstorben war, gab ihr Vater sie im Alter von zehn Jahren ins Kloster Nimbschen bei Grimma. Dort lernte sie Lesen, Schreiben und etwas Latein, aber vor allem Demut, Gehorsam und Beten. Über ihr dortiges Leben und ihre Flucht daraus heißt es in der Publikation „Katharina von Bora, in: 500 Jahre Reformation: Von Frauen gestaltet. Hrsg. von Evangelische Frauen in Deutschland (EFiD) im evangelischen Zentrum Frauen und Männer“: „Behütet von ‚Muhme Lene‘, ihrer Tante und zudem Siechenmeisterin des Klosters, wuchs Katharina zu einer gebildeten und in der Heilkunde erfahrenen jungen Frau heran (…). Am 8. Oktober 1515 leistete sie das Gelübde als Braut Christi und schwor damit Besitzlosigkeit, Keuschheit und Gehorsam gegenüber ihren Oberen. In der weißen Kutte mit dem schwarzen Schleier der Zisterzienserinnen bekräftigte sie 1518 ihren Entschluss mit dem ewigen Gelübde. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie mit ihrem Schicksal haderte (…).

1517 aber trat Martin Luther (1483-1546) in die Öffentlichkeit und er verkündete Dinge, die Katharina wohl nie auch nur zu denken gewagt hätte. Als eine Folge seiner Argumentation gegen das Klosterleben wurden 1522 die ‚Wittenberger Beschlüsse‘ gefasst, die es jedermann freistellten, ein Kloster zu verlassen. Diese Vorgänge stießen auch in Nimbschen auf fruchtbaren Boden, obgleich die Wege der Nachrichtenverbreitung weitgehend im Dunkeln liegen. Ostern 1523 flohen zwölf Nonnen aus dem Kloster Mariathron, unter ihnen Katharina von Bora, die damit ihr Schicksal in die eigene Hand nahm, ohne zu wissen, wohin es sie führen würde. Ihr Glück war es, dass sie ihr Fluchthelfer, der Kaufmann und Lutherfreund Leonhard Koppe aus Torgau, in das aufgeklärte Wittenberg brachte, das Zentrum der Reformation. (…) Auch Martin Luther selbst, der theologische Kopf der Reformation, lebte und lehrte hier. Zu ihm ins Schwarze Kloster kam Katharina am 7. April, zusammen mit den acht Nonnen aus Nimbschen, die, wie sie selbst, nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten, stand doch im albertinischen Sachsen auf Klosterflucht die Todesstrafe. Spätestens seit Oktober 1523 lebte Katharina im Haus Lukas Cranachs d. Ä. (1472/75-1553), [siehe: Cranachstraße] einem weltoffenen Haus, geführt von der selbstbewussten und umsichtig agierenden Barbara (1477/85-1540), der Ehefrau des Malers. Sie wurde ihre Lehrmeisterin, Beraterin und Freundin. (…) Für Katharina eröffnete sich ein völlig neuer Lebensraum. Offensichtlich lernte sie manche der Gäste persönlich kennen. (…) Dabei lernte sie den Nürnberger Patriziersohn Hieronymus Baumgärtner (1498-1565), ihre erste Liebe, kennen. Seine Eltern aber waren gegen die Heirat, standen doch entflohene Nonnen in keinem guten Ruf. Sie hatten ihr Gelübde gebrochen, waren arm und ohne männlichen Schutz mancherlei Gefahren ausgesetzt. In Wittenberg scheint dies jedoch anders gewesen zu sein. Katharina soll in den Kreisen um Luther sogar wegen ihrer Klugheit – in Anlehnung an die Heilige gleichen Namens – ‚Katharina von Siena‘ genannt worden sein, ehe sie als Lutherin, die Frau an Luthers Seite, selbst zu den bekannten Persönlichkeiten der Stadt gehörte.“ 1)

Nachdem Katharina von Bora den Wittenberger Studenten Hieronymus Baumgartner nicht hatte heiraten dürfen und einen von Luther vorgeschlagenen Ehekandidaten abgelehnt hatte, gestaltete sich ihre Verheiratung als schwierig. Zu diesem Zeitpunkt war auch Luther noch Junggeselle. Damals hatte er ein Auge auf eine Frau geworfen, die ihn verschmähte. Katharina jedoch hätte Luther gern zum Ehemann gehabt. Und so wurden die beiden 1525 ein Ehepaar.

„Der Haushalt wurde in dem alten, verwahrlosten Augustinerkloster in Wittenberg eingerichtet (…). Katharinas Fleiß und Tüchtigkeit machten es bewohnbar. Sie bewirtschaftete umfangreiche Ländereien mit Gemüseanbau, betrieb Viehzucht und Bierbrauerei (…), um die vielen Studenten und Gäste, die zu Luther kamen, zu beköstigen,“ 2) schreibt Luise Pusch.

Katharina Luthers Aufgaben als Ehefrau waren vielfältig: sie betreute in Pestzeiten Kranke, kümmerte sich um den finanziellen Teil zur Drucklegung der Lutherschriften und brachte ihrem zu Depressionen neigenden Ehemann besondere Zuwendung entgegen. Auch übernahm sie die Erziehung und Aufzucht der sechs Kinder (geboren: 1526, 1527, 1529, 1531, 1533, 1534. Zwei der Kinder starben im Kindesalter.)

Darüber hinaus nahm sie an Luthers berühmten Tischgesellschaften teil und las die von Luther übersetzte Bibel.

„Ihrer beider Briefe bezeugen, dass selbst theologische Fragen zwischen den Eheleuten besprochen wurden. Luther bezog seinen ‚lieben Herrn Katharina Lutherin, Doktorin, Predigerin zu Wittenberg‘ mitunter in gerade anstehende Diskussionen ein, ob es der Abendmahlsstreit mit Zwingli war oder die Augsburger Religionsgespräche. Gelegentlich übermittelte Käthe selbst Sachinformationen an Kollegen und Freunde ihres Mannes.“ 3)

Nach dem Tod Luthers 1546 geriet Katharina in große Not. Sie war nun „mit den verbliebenen vier Kindern auf sich allein gestellt. Weil Luther aber – in Überschätzung seiner Autorität – das Testament, das Katharina zu seiner Erbin und zum Vormund ihrer Kinder bestimmte, ohne Notar erstellt hatte, wurde es nicht anerkannt. Das sächsische Recht schloss Frauen vom Erbe an Grund und Boden aus und so wurden Käthe und ihre Kinder unter Vormundschaft gestellt. Doch Katharina konnte und wollte sich dieser Entscheidung nicht fügen. Nach zähen Verhandlungen mit dem Kurfürsten Johann Friedrich I. (1503-1554) und seinem Kanzler Brück überließ man ihr schließlich die Verantwortung für die Kinder, erlaubte ihr die eigenständige Verwaltung des Besitzes und das Wohnen im Schwarzen Kloster. Gegen alle Widerstände mehrte sie sogar den Grundbesitz für die Kinder. Resigniert hatte Melanchthon, einer der Vormunde, zugestimmt. Die Frau ließe sich nicht beraten, ‚sondern ihr Gutdünken und Meinung müsse alleweg vorangehen.‘“ 4)

Als Witwe musste Katharina „zweimal mit den Kindern in Kriegswirren aus Wittenberg flüchten, ihr Eigentum wurde zerstört. (…) Sie verunglückte und starb an den Folgen des Unfalls 1552.“ 5)

Luther und Antisemitismus
Über Luther ist so viel geschrieben worden, dass in diesem Beitrag das Hauptaugenmerk auf Luther und seine antijüdische Einstellung gelegt werden soll, denn damit beschäftigen sich diverse Expertenkommissionen, die in verschiedenen Städten gebildet wurden, um sich mit dem Thema Benennung und Umbenennung von Straßennamen zu widmen.

Die Expertenkommission zu Straßennamen in Graz, wo es ebenfalls eine Lutherstraße gibt, schreibt: „in seinen frühen Schriften plädiert Luther für die soziale und wirtschaftliche Reintegration der jüdischen Bevölkerung; vor allem seine Spätwerke darunter ‚Wider die Sabbather‘ (1538), ‚Von den Juden und ihren Lügen‘ und ‚Vom Schem Hamphoras‘ (beide 1543) stellen einen Tiefpunkt brachial-rhetorischer Agitation nicht nur gegen die jüdische Religion, sondern direkt gegen die Juden als Menschen dar. (…).“ 6)

In seinen späteren Schriften wandelte sich Luther zu einem ausgesprochenen Judenfeind: „[...] darin erklärte Luther die Juden wie den Teufel zum Ärgsten Feind des Christentums und brandmarkte sie als das unter dem Gesetz statt unter dem Evangelium lebende, verworfene, unter Gottes Zorngericht stehende Volk. (…)
Die Synode der Evangelischen Kirche in Österreich verabschiedete 1998 mit dem Dokument ‚Zeit zur Umkehr -Die Evangelischen Kirchen in Österreich und die Juden‘ eine Stellungnahme gegen jede Form des Antisemitismus. In ihr heißt es unter anderem: ‚Uns evangelische Christen belasten in diesem Zusammenhang die Spätschriften Luthers und ihre Forderung nach Vertreibung und Verfolgung der Juden. Wir verwerfen den Inhalt dieser Schriften.“ 7)

Der Historiker Felix Sassmannshausen schreibt in seinem für das Land Berlin verfassten Dossier über Straßen- und Platznamen mit antisemitischen Bezügen in Berlin: „Martin Luther verfasste antijüdische Schriften und war prägend für die weite Verbreitung des christlich motivierten Antijudaismus.“8) Sassmannshausen gibt als Handlungsempfehlung für den Umgang mit diesem Straßennamen: „Umbenennung.“ 9)

Die Straßennamen Kommission der Landeshauptstadt Saarbrücken äußert zu „ihrer“ Lutherstraße: Unter „Wer ist Martin Luther“ bietet die EKD folgende Kurzbiografie, die hier zitiert wird: ‚Martin Luther wurde am 10. November 1483 in dem kleinen Städtchen Eisleben im heutigen Sachsen-Anhalt geboren. Sein Weg führte ihn von dort nach Magdeburg, Eisenach, Erfurt, Wittenberg, Rom (1510/11), Heidelberg, Leipzig, Worms und Marburg, bis er am 18. Februar 1546 mit 62 Jahren in Eisleben starb. 1505 wandte er sich nach dem Willen seines Vaters dem Studium der Rechtswissenschaften zu. Doch der als fröhlich beschriebene Student geriet in eine Lebenskrise: In einem schweren Sommergewitter am 2. Juli 1505 soll ihn Todesangst zu einem Gelübde veranlasst haben.
Luther trat in den Orden der Erfurter Augustiner-Eremiten ein. Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie wurde er 1512 Professor für Bibelauslegung in Wittenberg.

Am 31. Oktober 1517 kritisierte Luther den in Deutschland aufkommenden Ablasshandel. Mit dem Verkauf sogenannter Ablassbriefe bot die Kirche Sündenvergebung an. In 95 Thesen widerlegte er diese Praxis. Damit begann die Reformation, und in der Folge entstand die evangelische Kirche. 1518 wurde der römische Prozess gegen Luther eröffnet. Der Reformator beharrte darauf, dass der Ablass unbiblisch sei. 1520 erhielt Luther die päpstliche Bannandrohungsbulle, die er am 10. Dezember öffentlich verbrannte. Damit war der Bruch mit der Kirche vollzogen.

Um ihn zu schützen, wurde Luther 1521 auf Anweisung des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen auf die Wartburg entführt. Dort entstand Luthers Übersetzung des Neuen Testaments, die 1522 erschien. Noch in der Zeit des Bauernkrieges heiratete Luther die ehemalige Nonne Katharina von Bora (1499-1552). Bis zu seinem Tod leistete er noch Beträchtliches: Neben vielem anderen dichtete er Dutzende von
Kirchenliedern und regte eine Umgestaltung des Schulwesens an.‘

Luthers Antisemitismus war im Luther-Jahr 2017 Thema. Die Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt und die Staatliche Geschäftsstelle ‚Luther 2017‘ äußerten sich dazu: ‚Als ‚dunkles Kapitel‘ bezeichnet der Lutherforscher Bernhard Lohse die Haltung des Reformators zu den Juden. Martin Luther (1482-1546) wandte sich in einer Schärfe gegen das Volk der Bibel, die es noch Jahrhunderte später dem NS-Regime leicht machen sollte, sich auf ihn zu berufen. Auch wenn es keine direkte Linie zu Hitler oder gar zum Holocaust gibt, bleibt Luthers Judenhass für die evangelische Kirche ein schwieriges Erbe. Das gilt auch im Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum.

Schon vor dem Wittenberger Thesenanschlag hatte sich Luther mit den Juden beschäftigt. Seine erste briefliche Äußerung zum Thema liegt genau 500 Jahre zurück.

Am 5. August 1514 stellte er sich in einem Schreiben an Georg Spalatin hinter den Humanisten Johannes Reuchlin (1455-1522), der die Verbrennung des Talmud ablehnte.

Luther ließ zugleich keinen Zweifel daran, dass er das jüdische Schrifttum für gotteslästerlich hielt. Er wollte die Juden zum Christentum bekehren. Als er damit scheiterte, verlangte er ihre Vertreibung und das Niederbrennen der Synagogen. (...)

Luthers ‚Judenschriften‘ fanden weite Verbreitung, galten aber in den Jahrhunderten nach seinem Tod als Randerscheinung der reformatorischen Theologie. Orthodoxe Lutheraner lehnten Judenmission ab, da sie ‚verstockt‘ seien, während sich die pietistische Erweckungsbewegung weiter auch unter den Juden für Jesus als den Messias werben wollte. Oft wurde zwischen dem ‚frühen‘, vermeintlich judenfreundlichen Luther und dem alternden Reformator mit seinen schlimmen Ausfällen gegen das Volk der Bibel unterschieden. Das führte im 19. Jahrhundert, als über die rechtliche Gleichstellung der Juden in Deutschland diskutiert wurde, zur paradoxen Situation, dass sich sowohl Befürworter als auch Gegner der Judenemanzipation auf Luther berufen konnten. Zugleich wurde dessen theologischer Antijudaismus umso stärker auch von nichtkirchlichen Kreisen verwendet, als man Luther zum nationalen Helden stilisierte. Erstaunlich ist etwa, dass ein radikaler Antisemit wie der evangelische Berliner Hofprediger Adolf Stoecker, Gründer der Christlichsozialen Partei, nur sehr selten auf den Judenhass des Reformators zurückkam (...). Stattdessen wurde Luther zur Fundgrube der radikalen Nationalisten, der Rassenantisemitismus konnte fast nahtlos an den theologischen Antijudaismus anschließen. Heinrich von Treitschkes Parole ‚Die Juden sind unser Unglück‘, später das Leitwort der NS-Bewegung, ist einer Passage aus Luthers ‚Judenschriften‘ entnommen.

Der völkische Bayreuther Chefideologe Houston Stewart Chamberlain stilisierte Luther zum Heros eines pseudoreligiösen ‚arischen‘ Christentums. Und Hitler erklärte sich zum Nachfolger des ‚kleinen unbedeutenden Mönchs‘, der den Kampf gegen ‚eine Welt von Feinden‘ gewagt habe. Nach Hitlers Machtübernahme waren es die nationalsozialistischen Deutschen Christen, die sich Luthers Judenhass auf ihre Fahnen schrieben und propagierten. Als im November 1938 überall im Reich die Synagogen brannten, veröffentlichte der thüringische Landesbischof Martin Sasse unter dem Titel *‘Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!‘ Auszüge aus Luthers judenfeindlicher Schrift ‚Von den Juden und ihren Lügen‘. Genüsslich wies er darauf hin, dass schon der Reformator die Synagogen hatte anzünden wollen (...).

Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden kam es in der evangelischen Kirche zu einem radikalen Umdenken. Theologisch drückte sich dies im endgültigen Verzicht auf Judenmission aus, wie sie etwa die rheinische Landessynode 1980 beschloss. Sie stützte sich dabei auf ein Wort aus dem Römerbrief: ‚Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.‘ Auf historischer Ebene begann eine kritische Reflektion von Luthers Antijudaismus sowie der Rolle der evangelischen Christen zwischen 1933 und 1945 sowie ihrer Verantwortung für den Holocaust.“ 10)

Die einzelnen Kommissionsmitglieder kamen u. a. zu folgender „Bewertung/Votum: Hr. Dr. Herrmann: Beibehaltung mit Erläuterung.

Eine kritische Luther-Sicht ist zunächst einmal berechtigt. Immerhin hat auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Luthers Judenfeindschaft als ‚schwere Hypothek für die reformatorische Bewegung‘ bezeichnet. Und trotzdem ist es befremdend, davon ausgehend die ‚Entnennung‘ von Martin-Luther-Straßen zu fordern.

Im Jahr 2017 hat die bundesdeutsche Gesellschaft das Lutherjahr gefeiert. Die ‚Entnennungsbefürworter*innen‘ suchen sich aus Luthers Leben das aus, was ihn aus unserer heutigen Werteordnung aus gesehen voll und ganz diskreditiert und blendet all das aus, was auch zu Luther gehört und uns Wertschätzung verdienend erscheint. Der Reformator Luther steht nämlich auch für Zivilcourage und Ungehorsam (Ablasshandel, Papst) und vor allem auch für fundamentale Verdienste bei der Entwicklung von Deutsch als Schriftsprache und die Verbreitung des Buchdrucks. Luthers Bibelübersetzung markiert für die Entwicklung und Auslegung des christlichen Glaubens ebenso wie für die Entwicklung der deutschen Schriftsprache einen Meilenstein. Luther ist für die evangelische Kirche in Deutschland identitätsstiftend. Sein reformatorischer Anspruch führte zur Gründung der evangelischen Kirche.

Grundlegendes ist mit ihm verbunden wie etwa Ehe statt Zölibat, Gottesdienst in Deutsch und nicht in Latein.
Für die Luther-Verkürzung kann man partiell Verständnis entwickeln, wenn man die lange Zeit unkritische Haltung der evangelischen Kirche zu Luther wie auch zu ihrer eigenen Geschichte im Nationalsozialismus berücksichtigt. Wie im Falle von Ernst Moritz Arndt oder Richard Wagner ist Martin Luther eine Geistesgröße deutscher Kultur, ihn mit den Maßstäben der Gegenwart zu messen, ist nicht nur ahistorisch und selbstgerecht, ein solcher Ansatz kann nur in seiner ‚Vernichtung‘ enden. Dieser Befund trifft nicht nur auf ihn zu, sondern auf viele andere Persönlichkeiten deutscher und europäischer Kultur. Es gilt Personen in ihrer Gänze und in ihrer Zeit zu sehen, Luthers Schattenseiten zu ignorieren, kann genauso wenig angehen wie ihn zu glorifizieren. Aber davon auszugehen, dass zwischen unseren heutigen Vorstellungen zu Staatsverfassung, Liebe, Sexualität, Gleichberechtigung, religiöser Toleranz und Weltoffenheit und unserer demokratischen Identität eine völlige oder grundlegende Übereinstimmung zu einem Menschen besteht, der an der Schwelle von Spätmittelalter zur Frühneuzeit gelebt hat, ist vornehm ausgedrückt, naiv und entlarvt die Untauglichkeit und Selbstgerechtigkeit eines solchen Ansatzes.

Luther ist ein weiteres Paradebeispiel dafür, dass wir historische Persönlichkeiten nicht mit den Maßstäben der Gegenwart messen sollten. Luther wurde für sein Eintreten gegen den Ablasshandel und weitere schwere Missstände der Kirche vom Papst und der Katholischen Kirche verfolgt, Kaiser Karl V. verhängte die Reichsacht gegen ihn. Was das bedeutet, kann nur verstehen, wer die damalige Zeit zum Maßstab macht. Luther einfach pauschal zum Vertreter eines Obrigkeitsstaates zu erklären, ist Beispiel einer unwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Geschichte.

Die Beschäftigung mit ihm in den letzten Jahren hat auch gezeigt, dass manches in ihn hineinprojiziert wurde, was einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhält, etwa die Reformation auf ihn zu verengen und ihn zum Vorreiter der Aufklärung zu stilisieren.

Aufklärerisch war Luther zweifellos insofern, dass er in seiner Argumentation gegen die Ablasspraxis mit Bibeltexten argumentierte, die seine These bestätigten. An ihn zu erinnern ist im Sinne der Aufklärung unsere Aufgabe, dazu gehört auch sein Antisemitismus.

Votum der Vertreter*in des Bezirksrates: ROT/Umbenennung: -GELB/Beibehaltung mit Erläuterung: (6).
Radewahn (CDU): Folgt Stadtarchiv; Dr. Klotz (SPD): Ebenso; Brass/Schrickel (Die Grünen): Ebenso; Feneis (FDP): Ebenso;
Jacob (Die Linke): Ebenso; Stamm (AfD): Ebenso; GRÜN/Keine Umbenennung.“ 11)

Luther und Hexenverfolgung
Martin Luther glaubte an den Teufel und an Hexen und verkündigte 1526 von der Kanzel der Stadtkirche Wittenberg: „Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden, denn sie richten viel Schaden an, was bisweilen ignoriert wird... Wenn du solche Frauen siehst, sie haben teuflische Gestalten, ich habe einige gesehen. Deswegen sind sie zu töten.“ Dazu erklärt der Historiker Dr. Kai Lehmann: „Seine Meinung begründete er mit dem zweiten Buch Mose in der Bibel: ‚Die Zauberin sollst Du nicht am Leben lassen‘. Weitere markante Sätze von ihm sind: ‚Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden.‘, oder: ‚Ich will der Erste sein, der Feuer an sie legt‘“ 12). Kai Lehmann, Kurator der Ausstellung „Luther und die Hexen“ in Schmalkalden 2012/13 interpretierte in einem Interview mit der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Luthers Äußerungen zu Hexen folgendermaßen und meint: „Hätten sich protestantische Obrigkeiten an Martin Luther gehalten, wäre es zu keinen Massenverfolgungen von Hexen gekommen. (…) In seiner Theologie (…) baute er Hürden ein, die es gar nicht erst zum Ausbruch eines Hexenprozesses hätten kommen lassen. Er war überzeugt, dass der durch Hexen verübte Schadenszauber, nach dem sie im Namen des Teufels Schäden an Mensch, Vieh und Ernte anrichten, göttlich legitimiert ist. Gott gestehe dem Teufel einen bestimmten Machtbereich zu, indem er mit Hilfe von Dämonen und Hexen sein Unwesen treibt. Weiter sagte Luther: ‚Wehrt euch nicht gegen diesen Schadenszauber. Denn ihr wisst gar nicht, was Gott damit vorhat. Ihr kennt nicht den großen göttlichen Plan, der dahinter steckt.‘ Dabei nennt Luther das Beispiel des alttestamentlichen Hiob, dem ein Unglückschlag nach dem anderen widerfährt; quasi ein Fall von Schadenszauber. Hiob aber wankt nicht, sondern bleibt im absoluten Gottvertrauen bestehen. Gott lohnt es ihn mit noch mehr Vieh und noch mehr Kindern.

Die einsetzenden Hexen-Massenprozesse wurden durch das perfide System der ‚Besagungen‘ ausgelöst. Dabei wurde davon ausgegangen, dass eine unter Folter gestehende Teilnehmerin am Hexentanz auch andere gesehen und erkannt haben müsse. Meist wurden beim Verhör auch irgendwelche Namen genannt, nur um Ruhe vor den unsäglichen Schmerzen zu haben. Die ‚Besagung‘ wirkte sich oft wie ein Dominospiel aus, da die nächste Angeklagte eine weitere Frau beschuldigte. Luther hätte es dazu vermutlich nicht kommen lassen. Zwar hielt er drei Elemente des Hexereibegriffs für existent: den ‚Teufelsbund‘, also den Pakt mit dem Teufel, die ‚Teufelsbuhlschaft‘, der Geschlechtsakt mit dem Teufel zur Besiegelung des Paktes, und den ‚Schadenszauber‘. Das vierte Element aber, den ‚Hexensabbat‘, bei dem sie zum Hexentanz fliegen, lehnte er kategorisch ab. Der Hexentanz war für ihn ein Blendwerk des Teufels, nicht aber eine reale Begebenheit. An anderer Stelle schrieb der Reformator knallhart, es sei verboten zu glauben, dass Hexen auf einem Besen oder auf einem Stecken reiten, und alle, die in der heimlichen Zunft sind, an einem Ort zusammen kommen. Jetzt kann man eins und eins zusammenzählen und behaupten, ohne Hexentanz ist eine ‚Besagung‘ nicht möglich. Wer denkt, dass das zu einfach gedacht sei, dem halte ich dagegen: Wir besitzen in Schmalkalden eine Lutherrezeption, die mit Martin Luther argumentiert, um einem Mann das Leben zu retten.“ 13)

Der sich 2016 im Soziokulturellen Zentrum Frauenkultur gegründete „Arbeitskreis zur Aufarbeitung der Hexenverfolgung in Leipzig/Sachsen“ schreibt über Luthers Einstellung zum Thema Hexen: „Martin Luther hat den Begriff der Hexe oder auch den der Zauberin nicht einheitlich verwandt. Zu seiner Zeit war das Hexenbild nicht klar gefasst, vielmehr wurden ihm unterschiedliche Phänomene zugeordnet und auch eine geschlechtliche Zuordnung war nicht eindeutig. (…) [Doch] Frauen traute Luther in besonderer Weise eine Nähe zum Teufel, zu Hexerei und Schadenszauber zu. Das resultierte aus seiner ‚Geschlechterperspektive‘: Frauen sind vom Teufel leichter zu verführen; schließlich hat Gott nicht ohne Grund den Männern die Priesterschaft übertragen: ‚Die Frau verstand nicht wie der Mann, was sie nicht von Gott vernommen hatte, sondern mußte vom Mann erfahren, das, was sie in ihrer ‚Einfachheit‘ nicht verstanden hat. (…)

Martin Luther unterstellte nicht allen Frauen eine Nähe zum Teufel. Er unterschied vielmehr zwischen ‚ehrlichen Weibern‘ (Müttern, Schwestern, Ehefrauen) und ‚schändlichen Weibern‘ (Prostituierte, Ehebrecherinnen und eben Zauberinnen). Trotz aller Unbestimmtheit in begrifflichen Fragen konzentrierte sich Luther, wenn es um die Verurteilung von Zauberei und Hexerei ging, vor allem auf die ‚alte Frau‘.

‚Das dritte Lebensalter ist das der alten Hexen (ventularum), (…). (…) Luther glaubte, überall die Wirkungen und Einflüsse des Teufels, der ‚satanischen Macht‘ beobachten zu können, (…). Aus dieser Überzeugung heraus kann er auch ohne Skrupel die Verurteilung von Zauberern und Hexen jedweder Art gutheißen. Sie sind vom ‚rechten Glauben abgefallen‘, sind dem ‚Teufel anheimgefallen‘ und verdienen es, bestraft zu werden. Das schließt auch die Todesstrafe ein; Luther hält sie für ein geeignetes Mittel in Sachen Hexerei und Teufelsglaube. (…).“ 14)

Luthers großer und kleiner Katechismus, die ab 1529 erschienen, fanden durch den damals aufkommenden Buchdruck große Verbreitung.

„So fand mit der Ausbreitung des Luther´schen Katechismus auch sein Teufelsglaube weite Verbreitung. Vor allem seine Übersetzung der Zehn Gebote machten seine Überzeugungen in Bezug auf die Allgegenwärtigkeit des Teufels und seiner Verbündeten, der Hexen und Zauberer, zum Gemeingut des Volkes und leisteten so zumindest mittelbar dem Hexenwahn Vorschub.“ 15)