Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Anita-Rée-Straße

Bergedorf, seit 1984, benannt nach Anita Rée (9.2.1885 Hamburg - 12.12.1933 Kampen auf Sylt), jüdische Malerin der Hamburger Sezession. Motivgruppe: Verdiente Frauen


Siehe auch: Gretchen-Wohlwill-Platz, Del-Banco-Kehre, Rosa-Schapiere-Weg
Siehe auch: Warburgstraße, Rotherbaum (1947): Max Warburg (1867-1946), Bankier
Siehe auch: Richard-Dehmel-Straße, Blankenese (1928): Richard Dehmel (1863-1920), Schriftsteller
Siehe auch: Nölkensweg, Barmbek-Nord, seit 1927: Franz Nölken (1884-1918), Maler
Siehe auch: Fritz-Schumacher-Allee, Langenhorn (1920): Prof. Dr. Fritz Schumacher (1869-1947), Oberbaudirektor
Siehe auch: Liebermannstraße, Othmarschen (1947): Max Liebermann (1847-1935), Maler, Radierer, Graphiker
Stolperstein vor dem Wohnhaus Fontenay 11.

„Mein Schmerz, dieser wühlende, nicht zu lindernde Schmerz, wird grösser von Tag zu Tag und untergräbt meine Gesundheit.“ 1) Diese Klage, die Anita Rée am Silvestertag des Jahres 1930 an Emmy Ruben richtet, kennzeichnet keinen vorübergehenden Zustand, sie könnte als Leitmotiv über ihren gesamten Leben stehen. Anita Rée war eine Fremde in der Welt. Der Malerkollege Friedrich Ahlers-Hestermann erinnert sich an ihr Leben im Elternhaus: „Darüber schwebte ihre Malerei als eine seltsame Landschaft, ebenso wie – später – oben auf dem Dachboden sich ihr Atelier befand als ein fremder und zu diesem Hause eigentlich nicht gehöriger Raum, ein Raum, der gar nicht so sehr günstig zum Malen war, für sie aber doch nun das eigentliche Lebenszentrum wurde. Als sie ihn hatte aufgeben müssen, hat sie ihn beklagt wie einen unersetzlichen Toten.“ 2) Als das Haus am Alsterkamp 13, ihr Refugium, einziger wirklicher Halt in einer Welt, in der sie sich nicht zurechtfinden konnte, verkauft wurde, lebte sie in ständig wechselnden Wohnungen, ärmlich und möbliert, ohne dass ihre finanziellen Verhältnisse das erfordert hätten. Schließlich floh sie 1932 nach Sylt, wo sie am 12. Dezember 1933 ihrem qualvollen Leben mit Veronal ein Ende setzte.

Geboren wurde Anita Rée am 9. Februar 1885 als zweite Tochter des jüdischen Kaufmannes Israel Rée, der im Deutsch-Französischen Krieg gekämpft, als Unterhändler fungiert und bei der Reichsgründung 1871 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Die Mutter war Anna Clara Hahn, die in Venezuela geboren und katholisch erzogen worden war.

Die beiden Mädchen, Emilia und Anita, wuchsen als „höhere Tochter“ in einer kultivierten Sphäre liberalen Bürgertums auf. Sie gingen auf eine Privatschule und wurden protestantisch getauft und konfirmiert.

1905 wurde Anita Rée Schülerin des Hamburger Malers Arthur Siebelist. Er unterhielt seit 1899 eine Malschule, in der Anita Rée die Freilichtmalerei und die klassischen Genres lernte. Doch bald stellten sich die immer wieder an ihr nagenden Zweifel an ihrem Können ein, auch hielt sie die Ausbildung bei Siebelist für unzureichend. Ihre Versuche, auswärts einen Lehrer zu finden, schlugen fehl. Max Liebermann bestätigte sie zwar in ihrer Begabung, nahm sie jedoch nicht als Schülerin an. Daraufhin schloss sie sich 1910 dem Siebelist-Schüler Franz Nölken (siehe: Nölkensweg) an, der gerade aus Paris zurückgekommen war, wo er bei Matisse gearbeitet hatte, und malte mit ihm zusammen in seinem Atelier. Nölken, der ein leidenschaftlicher Pädagoge war, freute sich zunächst, in Anita Rée jemanden gefunden zu haben, dem er die neu erworbenen, ihn völlig erfüllenden Erkenntnisse und Überlegungen mitteilen konnte. Anita Rée wurde in den elitär gesinnten Kreis ehemaliger Siebelist-Schüler der ersten Generation, zu dem Nölken und Ahlers-Hestermann gehörten, aufgenommen, die eigentlich auf ihre, die zweite Generation, herabsahen, glaubten sie doch zeitweilig, sie seien die neue Generation, von Lichtwark dazu bestimmt, den Hamburgischen Künstlerclub von 1897 abzulösen, eine Kontinuität hamburgischer Maler zu verbürgen und Lichtwarks Ideen reiner zu verkörpern als der Künstlerclub mit seiner überwiegend landschaftlichen Betätigung. Doch bald fühlte sich Nölken in seiner Freiheit bedroht. Er reiste ab und ließ eine tief gekränkte Anita Rée zurück. Im Winter 1912/13 ging sie, angeregt durch die Erfahrungen Nölkens und Ahlers-Hestermanns, nach Paris und wurde Schülerin von Fernand Léger.

Von 1913 bis 1922 lebte sie dann als freischaffende Künstlerin in Hamburg im Haus ihrer Eltern. Die einzige längere Unterbrechung war 1916 ein Aufenthalt in Blankenheim in Thüringen in einer Erholungsstätte für Künstler und Wissenschaftler. 1913 nahm Anita Rée an einer Ausstellung bei Commeter teil, gehörte fortan zur Hamburger Avantgarde. Gustav Pauli, der damalige Direktor der Hamburger Kunsthalle, erwarb bereits 1915 Arbeiten der jungen Malerin für die Kunsthalle. Sie wurde Gründungsmitglied der Hamburgischen Sezession und stellte selbst regelmäßig aus. Der dreijährige Aufenthalt in Positano in Italien von 1922 bis 1925 wurde für sie zum Schlüsselerlebnis. Hier verfestigte sich ihre zunächst vom Impressionismus und dann von den französischen Malern Cézanne und Matisse beeinflusste Malerei zu einem neusachlichen Stil. Sie wurde bekannt, erhielt nach ihrer Rückkehr nach Hamburg zahlreiche Portraitaufträge sowie um 1930 von Fritz Schumacher (siehe: Fritz-Schumacher-Allee) Aufträge für zwei Monumentalwerke. Das Wandbild der „klugen und törichten Jungfrauen“ in der Gewerbeschule für weibliche Angestellte in der Uferstraße wurde 1942 zerstört, während das in der Oberrealschule für Mädchen in Hamm in der Caspar-Voght-Straße gemalte „Orpheus und die Tiere“ heute noch zugänglich ist.

Mehrere Auszeichnungen (35 zu Lebzeiten, davon sieben Einzelausstellungen) mit ungewöhnlich guten Kritiken und hohe Preise dokumentieren ihre erstrangige Stellung. Die Malerkollegen und –kolleginnen, das Ehepaar Friedrich Ahlers-Hestermann und Alexandra Povorina, Alma del Banco (siehe: Del-Banco-Kehre) und Gretchen Wohlwill (siehe: Gretchen-Wohlwill-Platz) waren ebenso ihre Freunde wie Magdalene und Gustav Pauli, Hildegard und Carl Heise, Nachfolger von Gustav Pauli als Direktor der Kunsthalle, Ida und Richard Dehmel (siehe: Richard-Dehmel-Straße) und die Familie Warburg (siehe: Warburgstraße). Doch weder der berufliche Erfolg noch der große Freundeskreis, in dem sie zuweilen ausgelassen und fröhlich war, konnten ihr zerrissenes Wesen heilen. Hinzu kam das Scheitern der Liebe zu dem Buchhändler und Künstler Christian Selle, die ihren Aufenthalt in Italien begleitet hatte. Sie endete 1926 ebenso unglücklich wie die unerwiderte frühe Liebe zu Franz Nölken und die zu dem Hamburger Kaufmann Carl Vorwerk Anfang der 1930er- Jahre. Die Kompromisslosigkeit und Verletzbarkeit Anita Rées wird in folgender Episode besonders deutlich: Als die auch von Gretchen Wohlwill als „katastrophal“ empfundene Jury der Sezessionsausstellung von 1927 ihr Bild „Weiße Bäume“, das sie für ihr bestes hielt, nicht ausstellen wollte, zog sie alle Bilder zurück, stellte bis 1932 gar nicht mehr in der Sezession aus und auch dann nur ein einziges Bild.

Das Aufkommen nationalsozialistischer Tendenzen kann ihr Weltverhältnis nur bestätigt haben. 1932 wurde ihr für den Neubau der Ansgarkirche in der Langenhorner Chaussee gemaltes Altarbild aufgrund „kultischer Bedenken“ vom Kirchenvorstand der Ansgargemeinde abgelehnt. Im selben Jahr verlor sie ihre Wohnung in der Badestraße. „Ich musste da zu meinem größten Kummer das Zimmer aufgeben, wusste in meiner Not nicht wohin mit all meinen Sachen, (die nun sehr provisorisch im Keller lagern) u. da ich in Hbg. Keine Bleibe mehr hatte, begab ich mich hierher in tiefste Einsamkeit und ohne je zu malen oder daran zu denken“, 1) schreibt sie am 14. November 1932 von Sylt aus an Emmy Ruben. Ein Jahr später, am 2. Dezember 1933, zehn Tage vor ihrem Suizid, heißt es in einem Geburtstagsbrief an eine Schweizer Freundin: „Ich bin Dir sehr, sehr dankbar, daß Du mir die Basler Zeitung schicktest, die sowohl Lesenswertes, das man sonst nie zu Gesicht bekommt, aber auch so viel Tiefergreifendes, Trostloses enthält, daß ich beim Lesen dieses entsetzlichen Aufsatzes aus Berlin bitterlich geweint habe. Diese Dinge bringen mich um alle Fassung; ich kann mich in so einer Welt nie mehr zurechtfinden und habe keinen einzigen anderen Wunsch, als sie, auf die ich nicht mehr gehöre, zu verlassen. Welchen Sinn hat es – ohne Familie und ohne die einst geliebte Kunst und ohne irgendeinen Menschen – in so einer unbeschreiblichen, dem Wahnsinn verfallenen Welt weiter einsam zu vegetieren und allmählich an ihren Grausamkeiten innerlich zugrundezugehen? (…) Wenn ich nicht ans Sterben denke (und Muttis Todestag verdoppelt diese Sehnsucht) so kenne ich nur noch den einen, ständigen Gedanken: fort, fort aus diesem Land! Aber wohin?? Und wo ist es besser?? (…) Den Töchtern herzliche Grüße von Deinem jetzt ganz weißhaarigen, nicht wiederzuerkennenden Reh.“

Die aparte, exotisch aussehende Frau, die ebenso liebenswürdig und bezaubernd wie schwermütig, unglücklich und hart sein konnte, setzte ihrem Leben am 12. Dezember 1933 ein Ende. Liest man die einfühlsamen Worte des Freundes Gustav Pauli an ihrem Grab, so wird einmal mehr deutlich, dass ihr, wie Heinrich von Kleist in seinem eigenen Abschiedsbrief an die Schwester schreibt, „auf Erden nicht zu helfen war“: „Dem praktischen Leben und seinen Forderungen stand sie hilflos gegenüber, so hilflos, daß sie schließlich das Leben fürchtete. – Im Norden geboren, doch südlichen Geblüts, verzehrte sie sich in Sehnsucht nach Sonne und der heiteren Sorglosigkeit des Lebens südlicher Völker. Und doch liebte sie das Leben. Wir wissen es, sie konnte froh sein mit den Fröhlichen, scherzen und lachen bis zur Ausgelassenheit und auf Stunden vergessen, was im Grunde ihrer Seele als Schwermut ruhte.“ 2)

Die Kunsthalle besitzt die größte Sammlung der Arbeiten Anita Rées.

Text: Brita Reimers