Siegfriedstraße
Rissen (1933): Gestalt aus dem Nibelungenlied.
Siehe auch: Kriemhildstraße
Siehe auch: Brunhildstraße
Siehe auch: Siegrunweg
Siehe auch: Uteweg
Die Siegfriedstraße, nach Siegfried einer Sagengestalt aus dem Nibelungenlied benannt, erhielt in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Namen. Diese Sagengestalt wurde von den Nationalsozialisten instrumentalisiert, um die NS-Ideologie zu legitimieren. Siegfried galt als das Ideal eines arischen Mannes und als Symbol germanischen Heldentums.
Marcel Rappo schreibt in seiner Hausarbeit über das Nibelungenlied: „Das am Anfang des 13. Jahrhunderts von einem unbekannten Autor verfasste Werk schlug auch noch viele Jahrhunderte später große Wellen und gliedert sich inhaltlich in zwei Teile. Im ersten Teil wirbt Siegfried, Sohn König Siegmunds, zunächst erfolglos um Kriemhild [siehe: Kriemhildstraße], die Burgunderprinzessin. Es kommt zu einem Abkommen zwischen ihm und Gunther, Kriemhilds Bruder und dem ältesten der burgundischen Könige, das besagt, dass Siegfried mehrere Aufgaben zu bestehen hat, um Kriemhild zur Frau nehmen zu können. Nach erfolgreichem Bestehen vermählt er sich schließlich mit ihr und wird anschließend von Hagen von Tronje, ein Vasall Gunthers, hinterlistig getötet.
Der zweite Teil behandelt die Tat Kriemhilds, ihren Mann zu rächen, indem sie sich zunächst mit dem Hunnenkönig Etzel vermählt und die Burgunder samt Hagen zu ihrer Hochzeit einlädt. In einem blutigen Kampf zwischen den Burgundern und Hunnen gelingt Kriemhild zwar erfolgreich die Rache, wird am Ende dieses Heldenepos jedoch selbst getötet, wodurch das Nibelungenlied schließlich mit dem Untergang der burgundischen Herrschaft endet.
Im Fokus dieser deutschen Heldendichtung stehen unter anderem die Eigenschaften und Taten des Drachentöters Siegfried. Als ‚Muster des neuen adligen Menschenbildes‘ wird er als Idealbild eines Helden dargestellt. Mit adligen Wurzeln wird er überdies als besonders tapfer und stark, anmutig und gebildet geschildert. Neben Treue und Furchtlosigkeit lassen sich im Nibelungenlied weitere Werte wie Militarismus, Tapferkeit und Nationalismus wiederfinden. Seitdem die Handschriften des Nibelungenlieds im Jahre 1755 von Jacob Hermann Obereit wiederentdeckt wurden, blitzten die damit in Verbindung gebrachten Werte immer wieder in der deutschen Geschichte auf, sodass es zu Beginn des 20. Jahrhunderts als ‚Hauptwerk der deutschen Nationalliteratur‘ zu verstehen war.“1)
Miriam Dauben erklärt in ihrer Hausarbeit: „Zur Zeit der Weimarer Republik (1918-1932) wird das Nibelungenlied vor allem benutzt, um Kritik an politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umständen zu üben und einen Nationalstaat zu fordern, der – im Gegensatz zur Republik – den im Nibelungenlied postulierten Idealen eines Staates/einer Nation entspricht (Zukunftsbezug). Viel Unmut erwächst dabei natürlich aus der Niederlage und den Folgen des Ersten Weltkrieges und lässt die Republik letztendlich scheitern. Im Nationalsozialismus ändert sich die Intention der Beschäftigung mit dem Nibelungenlied: Fortan wird es genutzt, um das Parteiprogramm der NSDAP bzw. die Ideologie Hitlers zu legitimieren. Der Bezugspunkt verschiebt sich demnach von einem Zukunftsbezug (Weimarer Republik) hin zu einem Gegenwartsbezug (Nationalsozialismus).“ 2)
Und auch Daniela Menzel und Melanie Weißenborn beschäftigen sich mit dem Thema des Nibelungenliedes im Nationalsozialismus. Sie schreiben u. a. über Siegfried: „Siegfried (..) diente als Stereotyp des idealen arischen Mannes. Um nach dem Verlust im Ersten Weltkrieg ‚die mühsam erworbene nationale Identität und den Glauben an die deutsche Überlegenheit‘ nicht wieder zu verlieren, bediente man sich erneut der Nibelungen. Passend zur damaligen politischen Situation nutzte man nun das ‚Motivfeld Verrat‘ für ideologische und propagandistische Zwecke. Der einstige Feldmarschall und spätere Reichspräsident Paul von Hindenburg [siehe: Hindenburgstraße] kommentierte und erklärte dies folgendermaßen: ‚1919 schrieb ich in meinem Vermächtnis an das deutsche Volk: ,Wir waren am Ende.' Wie Siegfried unter dem Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.‘ Diese Aussage Hindenburgs brachte den Stein der so genannten ‚Dolchstoßlegende‘, die sich auf den tödlichen Speerwurf Hagens bezieht, ins Rollen. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Gerücht, deutsche Männer seien dem eigenen Land in den Rücken gefallen und haben somit Deutschland den Todesstoß gegeben, was letztendlich den Zusammenbruch Deutschlands verursacht habe, vielfach propagiert. Jene Schuld am Zusammenbruch Deutschlands sei den Linken, ja sogar der ganzen Sozialdemokratie zuzuschreiben. Die Nationalsozialisten nutzten daraufhin die Gunst der Umstände, um damit der Demokratie entgegenzuwirken. 1925 fand der so genannte ‚Dolchstoßprozess‘ statt, in dem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss diesem Sachverhalt auf den Grund ging und die oben genannte Behauptung nicht bestätigen konnte. Trotz dieser Erkenntnis nutzten die Nationalsozialisten die Macht der Bekanntheit der Dolchstoßlegende aus; die Dolchstoßlegende ‚entwickelte sich [...] zu einer Kampfparole der politisch Rechten gegen die Linke. ‘ So wurde sie gegen die Weimarer Republik und ihre Regierungsformen verwendet, um der Bevölkerung zu suggerieren, dass die nationalsozialistische Regierungsform die Idealere für das deutsche Volk sei. (…)
Die Siegfried-Figur und die Nibelungen vergegenwärtigten sich nicht nur in Kommentaren und Ähnlichem, sondern wurden von Hitler und den NS-Regierungsmitgliedern auch namentlich in Bezeichnungen von SS- Truppen und Unternehmen eingebunden. (…)
Zusätzlich machte Hitler aus dem Speerwurf, mit dem Siegfried hinterlistig von Hagen ermordet wurde, eine Rechtfertigung der Judenverfolgung. Der Speerwurf, umgewandelt in den Dolchstoß und damit in die Dolchstoßlegende, war eine der 8 Erklärungen, warum die ‚Weltverschwörung‘ der Juden unbedingt verhindert werden musste (…)." 3)