Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Tönns-Wulf-Weg

Poppenbüttel (1984), Person aus dem Werk von Hermann Boßdorf.


Siehe auch: Boßdorfstraße und hier auch zu seiner politischen Einstellung

Die Verkehrsfläche wurde 1984 nach „Tönns Wulf“, einer Ballade von Hermann Boßdorf (1877-1921) benannt, die in seinem 1919 herausgegebenen Buch „Ole Klocken. Nedderdütsche Balladen“ erschienen ist.

Es geht um einen Meuchelmord. Tönns Wulf lauert dem Bauern Brinkmann in einer dunklen Nacht auf, um ihn zu ermorden und sein Geld zu rauben, denn Tönns Wulf ist ein armer Schlucker. Der Wind hat ihm geflüstert, dass niemand die Tat sehen wird. Aber dann verfolgt ihn der Wind, denn er ist es, der ihm beim Mord zugeschaut hat. Der Wind ist das schlechte Gewissen Tönns Wulfs, dem er sich nicht entziehen kann.

Tönns Wulf flieht in die Welt, aber der Wind verfolgt ihn, ist überall bei ihm und flüstert ihm immerzu zu, dass er die Tat gesehen hat. Schließlich kann Tönns Wulf dem Druck seines schlechten Gewissens nicht mehr Stand halten und kehrt zurück nach Haus und gesteht die Tat.

„Tönns Wulf
Bargendüster de Nacht, keen Maan, keen Steern,
keen Lichtblink in de Näg un Feern.
Tönns Wulf, tuschelt lisen de Wind, weest wat?
Dor achtern Knick, dor sind’t di keen Katt,
un nüms ward’t seehn!

Nee, hier süht’t nüms; hier mutt he vörbi!
Töw, Buer Brinkmann, hier sat ik di!
Din Büdel is vull; ik hebb keen Penn‘,
un min West is scharp, dat makt gau en Enn‘, -
un nüms ward’t seehn!

Buer Brinkmann, kummt lat vörbi an’n Knick,
do stött em Tönns Wulf sin Mest in’t Gnick,
u nenn korten Schri … Un allens wedder swart
un still … De Wind blot fluster noch wat …
Un nüms hett‘ t seehn!

Un ut Nacht ward Dag. Aewer’t Moor glaest rod
Ut den Dak en Riesenog, un droht …
Un droht … un kickt Tönns Wulf grot an …
Un kickt … Wat verfeerst di so gräsig, Mann,
nüms – nüms hett’t seehn!

Dammi! ‚keen flickt an de Kat buten langs? …
Dat weer blot de Wind; hebb man keen Angst!
De Wind awer geiht nich; he steiht up Tuer
Un huchelt langs Finsterruten un Muer:
Ik – ik hebb’t seehn!

Tönns Wulf neiht ut to Schipp aewer’t Meer.
De Wind fleiht jümmers achter em her;
He danzt mit de Bülgen daggin un daggut,
un kriescht dorch de Riggens scharp un lud:
Ik – ik hebb’t seehn!

Wornewen Tönns Wulf ok hensett den Fot,
de slimme Tüg‘ piert em bet up’t Blod,
he jagt em rum dorch de wide Welt:
Du stekst em dod! Du nehmst em dat geld!
Ik – ik hebb’t seehn!

Van See nah Land, dorch Sus‘ un Brus‘
Driwt he em wedder trügg nah Hus;
Trügg an den Knick, up’t Gericht mutt he gahn
Un mutt dor gestahn: Ik hebb dat dan,
wat nüms hett seehn! …
Bargendüster de Nacht, keen Maan, keen Steern,
keen Lichtblink in de Näg un Feern.
Tönns Wulf! Graehlt um’t Hoggericht höhnsche de Wind,
nu broch di’t je doch an’n Galgen ol Fründ,
wat nüms hett seehn!“

Hermann Boßdorf, der Verfasser dieser Ballade, war der Sohn von Sophie, geb. Dornbusch, die aus einem ArbeiterInnenhaushalt stammte und des Postschaffners Friedrich Boßdorf.

Hermann Boßdorf arbeitete als Telegraphenangestellter in Hamburg. 1899 hatte er seine, für die übersinnliche Welt sehr interessierte Frau kennengelernt. „Unter ihrem Einfluss beschäftigte er sich mit Astrologie und Telepathie.“ 1) Bertha Dannies (28.4.1873-1934) und Hermann Boßdorf heirateten 1900. Das Paar blieb kinderlos. In dieser Zeit um 1900 verfasste er seine ersten Gedichte. Seine Liebe galt dem Niederdeutschen und er wurde ein Verfechter der Niederdeutschen Bewegung.

Zur Niederdeutschen Bewegung heißt es in Wikipedia: „Die niederdeutsche oder auch plattdeutsche Bewegung konturierte sich nach der deutschen Reichsgründung 1871 als Teil einer breiten Such- und Sammelbewegung, deren weltanschauliche Gemeinsamkeit in ihren völkischen und antisemitischen Überzeugungen lag. In dieser Weise wird sie heute als regionaler Wegbereiter des Nationalsozialismus betrachtet.

Die Niederdeutsche Bewegung, ein sprachlich-kulturell agierendes Netzwerk aus Verbänden, Bühnen und Verlagen sowie Autorenzirkeln, Lehrergruppen und Meinungsführern mit politischem Selbstverständnis, konstituierte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt und späterer räumlicher Schwerpunkt war naturgemäß der norddeutsche Raum, auch wenn es reichsweit Niederlassungen gab. Identitätsstiftend, nämlich im Sinne einer zurückblickenden regionalen Gegenbewegung zur Moderne wirkte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entscheidung von Schriftstellern wie Klaus Groth [siehe: Klaus-Groth-Straße], Fritz Reuter [siehe: Fritz-Reuter-Straße] und John Brinckmann, ihre plattdeutsche Dialektvarietät zu verschriften. (…). Für Vordenker und Akteure der Niederdeutschen Bewegung wie beispielsweise Julius Langbehn [siehe: Langbehnstraße], Adolf Bartel, Hans Friedrich Blunck sowie Moritz Jahn markierte Niederdeutschtum eine volkhaft-vorbildliche ‚nordische‘ Existenzweise, die entsprechend jeweiliger Zeitschichten als rassebasiertes Konzept sowohl der Homogenisierung als auch der Ausgrenzung weiter entwickelt wurde. Der Sprachbegriff Niederdeutsch beinhaltete als rassisches Klassifikationselement durchgängig drei symbolische Merkmale: die arische Abstammung der Sprecher, die Idealisierung des Dialekts als alte germanische Sprache sowie deren Stilisierung als Ausdruck einer besonderen Kulturform. Mit diesen weltanschaulichen Grundsätzen positionierte sich die Niederdeutsche Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Segment der völkischen Bewegung, eine ‚breit aufgestellte Such- und Sammelbewegung, deren ideologische Achse ein völkisch-nationaler Antisemitismus bildete.‘ Mit dem Ersten Weltkrieg war völkisch-nationales Denken zum Allgemeingut geworden. Zwar gab die Bewegung sich ‚einen unpolitischen Anstrich‘, trat aber in den 1920er Jahren mit einem politischen Selbstverständnis auf, das sich gegen die junge demokratische Staatsform richtete. (…)

Historiker wie Uwe Puschner und Jenni Boie rechnen die Niederdeutsche Bewegung der völkischen Bewegung zu.

Claus Schuppenhauer, von 1974 bis 2003 Geschäftsführer des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen, sieht in ihr einen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Sie habe ‚sich vor und nach 1900 in dauernder, oft auch personeller Verbindung zu dem weltanschaulich-politischen Lager entwickelt, das auf eine völkisch-konservative Revolution in Deutschland hinarbeitete, mit der Heimatkunstbewegung, der Heimatschutz- bzw. Heimatbewegung, den antimodernistischen Kulturkritikern und Literaten, die auf einen ‚Aufstand der Provinz‘ gegen Berlin hinauswollten usw.‘ (…).“ 2)

Zurück zu Hermann Boßdorf: Wegen einer Rückenmarkschwindsucht, die Boßdorf befallen hatte, ging er bereits 1917 in den Ruhestand und konzentrierte sich fortan ganz aufs Schreiben.

„Boßdorfs literarisches Schaffen weist vier Hauptmotive auf, die verlorene Jugendgeliebte, die Sehnsucht nach dem Kind, den Ehebruch und den Tod.“ 1)

Seine Frauenfiguren entsprechen dem Zeitgeist und geben oft das Klischee eines patriarchalen Frauenbildes wieder. So in dem Stück „Vier Frauen um Kray“. Hier buhlen vier Frauen um einen Witwer „in den besten Jahren“, denn Frauen wollen schließlich geheiratet werden und um dieses Ziel zu erreichen, denken sie sich die merkwürdigsten Sachen aus, dagegen müssen sich die Männer verbünden. Und so heißt es denn auch in der Beschreibung des Stückes: „Der Krämer Karsten Kray, seines Zeichens Witwer in den besten Jahren, wird gejagt: Vier Frauen sind angetreten, ihn in den Hafen einer zweiten Ehe zu bugsieren. Ganz und gar dagegen ist sein Zechgenosse Asmus Broihan, Kaffeemakler und Junggeselle und versierter Kenner der Etablissements von ‚Sankt Liederlich‘. Er ist täglich wie nächtlich bereit und beflissen, Freund Kray durch die Vergnügungen des weltbekannten Amüsierviertels zu jagen. Ihm ist fast jedes Mittel recht, die Pläne der kesseltreibenden Damen zu durchkreuzen. Wenn zwei von ihnen den parfümierten und von Kray zerrissenen Liebesbrief der drallen Schlachterwitwe Laura aus dem Papierkorb fischen und wie ein Puzzle neu zusammensetzen, wenn die vierte Mitbewerberin aufkreuzt, um den Lohn einer lustig verbrachten Nacht einzutreiben, und wenn die resolute Scheuerfrau Katrin Pieper mit raschem Mundwerk und nassem Wischlappen für Ordnung und Sauberkeit im Hause kämpft, dann ist es schon gut, dass Kray in seinem Hausknecht Hein Kohrs so etwas wie einen Leibwächter und Rausschmeißer hat. Und dennoch: eine wird gewinnen!“ (Text: NDR) Deutsche Erstausstrahlung: Sa 07.07.1973 ARD www.fernsehserien.de/ohnsorg-theater/folgen/86-vier-frauen-um-kray-457336 )

Eine von Boßdorf bekanntesten Bühnenstücken ist „De rode Unnerrock“. Und auch hier werden die Frauen- und Männer- Rollenklischees bedient. So schrieb die Wilhelmshavener Zeitung über die dortige Aufführung der Niederdeutschen Bühne am 16.10.2009: „Was so ein roter Unterrock alles anrichten kann, ‚dat is'n Büx!‘ So hätte es jedenfalls Jülf Rickmers ausgedrückt, der jüngste der Brüder Rickmers von der Hallig Lüttjeoog. Der Onkel der beiden Rickmers-Jungs packt den roten Unterrock unmittelbar nach dem Tod seiner Schwester, der Mutter von Bohle und Jülf, auf den Tisch und Hermann Boßdorf entwickelt um das provozierende Kleidungsstück herum eine hübsche Komödie. Uraufgeführt wurde sie am 26. November 1921 im Altonaer Stadttheater von der dortigen Niederdeutschen Bühne unter Leitung von Richard Ohnsorg.

Die Niederdeutsche Bühne am Stadttheater Wilhelmshaven brachte die inzwischen klassisch gewordene Komödie ‚De rode Unnerrock‘ jetzt zum Auftakt der neuen Spielzeit in einer sorgfältigen Inszenierung von Horst Jönck heraus. Das Premierenpublikum nahm die Aufführung mit viel Beifall auf.

Jönck gibt gleich in der ersten Szene den ‚twee unbedarften Walroßküken‘ Bohle und Jülf, Raum. (…). Nach langen sinnigen Überlegungen über den Tod der Mutter, gelangen die beiden schließlich zu der Erkenntnis: Es muß wieder eine Frau ins Haus.

Ihr Ohm Bur Wessel Wessels, Mutters einziger verwitweter Bruder, hat aber bereits weiter gedacht. Die Neffen brauchen eine Frau im Haus auf der Hallig, er selber aber auch einen Erben. Der rote Unterrock sorgt schließlich trotz aller gegenteiligen Bemühungen des Halligpastors dafür, daß der, der das Geld hat, die Braut bekommt. Und noch etwas dazu. Da erinnert Hermann Boßdorfs Volksstück dann ein wenig an Marcel Pagnols 1931 entstandenes Volksstück ‚Fanny‘: Auch hier verschwindet der geliebte Mann für unbestimmte Zeit auf See und der Alte nimmt die verlassene Schwangere auf.

Bei Boßdorf ist der Fall allerdings etwas heikler; denn der dreimal durch alle Ohren geschlitzte Ohm Bur spielt im Grunde ja ein ganz böses Spiel mit seinen Neffen und der jungen Wittfro Maike Harder. Daß man ihm das als Zuschauer nicht übelnimmt, liegt an der herzlichen Schlitzohrigkeit, mit der Karl Heinz Schröder den Ohm Bur zeichnet, aber auch an der etwas öligen Scheinheiligkeit, mit der Claus Miehlke den Halligpastor ausstattet und eben an den beiden Walroßküken.

Sie entzweien sich über die junge Frau, die ihnen der Ohm ins Haus bringt, völlig. Bohle (…) kehrt den Hallig Herren heraus. Der sensiblere Jülf (…) zerbricht beinah daran und an der Liebe. Maike Harder, dem Jüngsten, Jülf, durchaus am ehesten zugeneigt, sieht mit ihm keine Zukunft; denn Jülf hat kein Geld. Wilma Welte gelingt die Darstellung der durchaus nicht unberechnenden jungen Wittfroo Maike Harder als differenzierte Charakterdarstellung. Sie verleiht ihr nicht nur sympatische Züge, so daß der mit Jülf mitleidende Zuschauer am Ende dann doch für ihn die See als die bessere Lösung ansieht. (…)“ 3)