Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Boßdorfstraße

Eimsbüttel (1922): Hermann Boßdorf (29.10.1877 Wiesenburg/Fläming – 24.9.1921 Hamburg), Dichter, niederdeutscher Schriftsteller


Siehe auch: Maike-Harder-Weg
Siehe auch: Ohnsorgweg
Siehe auch: Klaus-Groth-Straße
Siehe auch: Fritz-Reuter-Straße
Siehe auch: Langbehnstraße
Siehe auch: Tönns-Wulf-Weg
Siehe auch: Hartje-Rüter-Weg
Siehe auch: Kramer-Kray-Weg
Siehe auch: Krischan-Kreibohm-Weg

Boßdorf war der Sohn von Sophie, geb, Dornbusch, die aus einem ArbeiterInnenhaushalt stammte und des Briefträgers Friedrich Boßdorf.

Hermann Boßdorf arbeitete ab 1898 (ab 1904 festangestellt) als Telegraphenangestellter in Hamburg. 1899 hatte er Bertha Dannies (28.4.1873-1934) kennengelernt. Ihr sehnlichster Wunsch war es, Schauspielerin zu werden. Doch auf Wunsch ihrer Eltern brach sie die bereits begonnene Laufbahn ab und erlernte die Krankenpflege, ohne diesen Beruf später auszuüben. In ihrer Freizeit widmete sie sich weiterhin der Schauspielkunst und wurde bald in den Vorstand der Freien Volksbühne gewählt. Als dem „Verein für naturgemäße Gesundheitspflege“, der ein Theaterstück unter der Leitung von Bertha Dannies aufführen wollte, noch die Besetzung einer Herrenrolle fehlte, brachte ein Vereinsmitglied Hermann Boßdorf mit. Er bekam die Rolle und so lernten sich Bertha und Hermann kennen und lieben.

Bertha Dannies war Mitglied des Kirchenvorstandes der Markusgemeinde in Hamburg Hoheluft und für die übersinnliche Welt sehr empfänglich. „Unter ihrem Einfluss beschäftigte sich Hermann Boßdorf mit Astrologie und Telepathie.“ 1) Andere Autoren berichten, dass Boßdorf bereits seit jungen Jahren dem Düsteren und Geheimnisvollen gegenüber sehr empfänglich war. Seit seiner Heirat mit Bertha Dannies im Jahr 1900 widmete sich Boßdorf okkultisch-theosophischen Studien. Innerhalb seines Kollegenkreises bei der Post wurde er vorgestellt als: „Hermann Boßdorf, der Dichter, Handliniendeuter, Geisterseher und was noch alles mehr?“ 2)
Bertha Boßdorf besuchte astrologische Zirkel und Boßdorf selbst erstellte Horoskope.
Das Paar blieb kinderlos und lebte zuerst mit Berthas Mutter (Berthas Vater war bereits verstorben) in der Gärtnerstraße 39 in Hamburg Eimsbüttel, dann in Groß-Borstel und später im 1. Stock des Mehrfamilienhauses Kottwitzstraße 19.

Seine ersten Gedichte verfasste Boßdorf als junger Ehemann. „Auf Anregung seiner Frau schrieb er auch einige Humoresken und Geschichten nieder, und groß war die Freude, wenn irgendeine dieser Arbeiten hier und da veröffentlicht wurde. (…)

Die Frau war ihm aber nicht nur Anregerin, sondern auch strenge Kritikerin. Mit feinem weiblichem Instinkt witterte sie, daß da noch irgend etwas auf dem Grunde seiner Seele schlummerte, etwas, daß ihm vielleicht einst zum Dichter krönen würde. Wollte er manchmal verzagen und resigniert die Feder aus der Hand legen, dann war sie es, die ihn davon abhielt.“ 3)

Boßdorfs Liebe galt dem Niederdeutschen und er wurde ein Verfechter der Niederdeutschen Bewegung.
Zur Niederdeutschen Bewegung heißt es in Wikipedia: „Die niederdeutsche oder auch plattdeutsche Bewegung konturierte sich nach der deutschen Reichsgründung 1871 als Teil einer breiten Such- und Sammelbewegung, deren weltanschauliche Gemeinsamkeit in ihren völkischen und antisemitischen Überzeugungen lag. In dieser Weise wird sie heute als regionaler Wegbereiter des Nationalsozialismus betrachtet.

Die Niederdeutsche Bewegung, ein sprachlich-kulturell agierendes Netzwerk aus Verbänden, Bühnen und Verlagen sowie Autorenzirkeln, Lehrergruppen und Meinungsführern mit politischem Selbstverständnis, konstituierte sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt und späterer räumlicher Schwerpunkt war naturgemäß der norddeutsche Raum, auch wenn es reichsweit Niederlassungen gab. Identitätsstiftend, nämlich im Sinne einer zurückblickenden regionalen Gegenbewegung zur Moderne wirkte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entscheidung von Schriftstellern wie Klaus Groth [siehe Klaus-Groth-Straße], Fritz Reuter [siehe: Fritz-Reuter-Straße] und John Brinckman, ihre plattdeutsche Dialektvarietät zu verschriften. Groth war auch als Sprachtheoretiker einflussreich. Er sieht Volks- und Sprachgemeinschaft als Einheit, Plattdeutsch sei als organischer Naturkörper idealer Ausdruck des ‚Volksgeistes‘. (…). Für Vordenker und Akteure der Niederdeutschen Bewegung wie beispielsweise Julius Langbehn [siehe: Langbehnstraße], Adolf Bartel, Hans Friedrich Blunck sowie Moritz Jahn markierte Niederdeutschtum eine volkhaft-vorbildliche ‚nordische‘ Existenzweise, die entsprechend jeweiliger Zeitschichten als rassebasiertes Konzept sowohl der Homogenisierung als auch der Ausgrenzung weiter entwickelt wurde. Der Sprachbegriff Niederdeutsch beinhaltete als rassisches Klassifikationselement durchgängig drei symbolische Merkmale: die arische Abstammung der Sprecher, die Idealisierung des Dialekts als alte germanische Sprache sowie deren Stilisierung als Ausdruck einer besonderen Kulturform. Mit diesen weltanschaulichen Grundsätzen positionierte sich die Niederdeutsche Bewegung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Segment der völkischen Bewegung, eine ‚breit aufgestellte Such- und Sammelbewegung, deren ideologische Achse ein völkisch-nationaler Antisemitismus bildete.‘ Mit dem Ersten Weltkrieg war völkisch-nationales Denken zum Allgemeingut geworden. Zwar gab die Bewegung sich ‚einen unpolitischen Anstrich‘, trat aber in den 1920er Jahren mit einem politischen Selbstverständnis auf, das sich gegen die junge demokratische Staatsform richtete. (…).

Historiker wie Uwe Puschner und Jenni Boie rechnen die Niederdeutsche Bewegung der völkischen Bewegung zu. Claus Schuppenhauer, von 1974 bis 2003 Geschäftsführer des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen, sieht in ihr einen Wegbereiter des Nationalsozialismus. Sie habe ‚sich vor und nach 1900 in dauernder, oft auch personeller Verbindung zu dem weltanschaulich-politischen Lager entwickelt, das auf eine völkisch-konservative Revolution in Deutschland hinarbeitete, mit der Heimatkunstbewegung, der Heimatschutz- bzw. Heimatbewegung, den antimodernistischen Kulturkritikern und Literaten, die auf einen ‚Aufstand der Provinz‘ gegen Berlin hinauswollten usw.‘ (…).“ 4)

Michael Töteberg schreibt über Boßdorfs politische Einstellung, die hier im Folgenden ausführlich wiedergegeben werden soll: „Ein unpolitischer Mensch war Boßdorf nicht: Während des 1. Weltkriegs engagierte er sich mit Kriegsgedichten der billigsten Sorte; auch in seinen essayistischen Beiträgen und Rezensionen finden sich starke nationalistische Töne. Aufschlußreich (…) ist der Aufsatz ‚Die Kulturmission Niederdeutschlands‘ [1917/1918 veröffentlich]. Boßdorf differenziert zu Beginn die völkische Geisteseigenarten: ‚Ober- oder Hochdeutschland ist der Kopf oder die Verstandesseite des Deutschtums; (…) Niederdeutschland ist das Herz oder die Gemütsseite deutschvölkischen Wesens‘. Grundzug der niederdeutschen Wesensart sei das Konservative, das gerade in der gegenwärtigen geschichtlichen Situation den zersetzenden Kräften der dekadenten, lateinischen Kulturwelt standhalten könnte. Boßdorf scheut sich nicht, die gelbe Gefahr, den ‚asiatischen Saemann mit schiefgeschlitzten Katzenaugen‘, an die Wand zu malen, und schließlich folgern zu können: ‚Im Verlaufe zukünftiger Weiterentwicklung wird sich diese niederdeutsche, nunmehr geistig geläuterte Seelenlage als ein Segen für das Deutschtum und letzten Endes auch für das gesamte Germanentum erweisen.‘ Am niederdeutschen Wesen sollte also Groß-Deutschland genesen.

Die deutsche Niederlage und der Zusammenbruch der Monarchie führten Boßdorf nicht zur Revision seiner Anschauungen. Die Aufgabe, Deutschland einen Platz in der Welt zu verschaffen (notfalls mit Waffengewalt), diese Aufgabe hatte er schon früher Oberdeutschland, der Verstandesseite zugeordnet: ‚Damit sich Deutschland in der Welt durchsetzen und zu einem festen, unerschütterlichen Staatsgefüge erstarken konnte, mußte vorerst die deutsche Verstandesseite dominierend hervortreten.‘ Nach dem Kriege bekam das Niederdeutsche als Gemütsseite von Boßdorf ‚in der Ökonomie deutschen Geisteslebens (…) eine elementare Notwendigkeit‘ zugesprochen: ‚Die Verinnerlichung, zu der uns die harte Zukunft zwingen wird, mag auch im Theaterwesen mit dem blöden Materialismus aufräumen. (…). Die bitteren Folgen unseres verlorenen Krieges werden in jener Richtung auf das Innerliche zu einer süßen Fruchternte führen können, die u. a. mehr Werte einbringt, als eroberte Länder und erweiterte politische Machtbereiche, jedenfalls Werte von dauernderem Bestand.‘ ‚Los vom Materialismus muß das niederdeutsche Drama. Der Materialismus hat politisch im Bestialismus Bankerott gemacht, und damit seine blutrünstige Mutter, die französische Revolution, neuerdings an den Pranger gestellt. Zum Bekenntnis des Innerlichen und Geistigen, muß das niederdeutsche Drama den Mut finden.‘

In einer Zeit, ‚wo die Menschen von der unfaßlichen Größe der Wirklichkeit sich abwandten, die einen zur Verinnerlichung, die anderen zur Veräußerlichung‘, steht Boßdorf für eine Besinnung auf die Innerlichkeit ein, um so das angeschlagene Selbstbewußtsein der deutschen Nation zu retten. Vergegenwärtigt man sich die geistigen Strömungen der Zeit, so ist etwa an das Anfang der Zwanziger Jahre erschiene Buch ‚Das 3. Reich‘ des Konservativen Möller van den Bruck zu denken, in dem es heißt: ‚Der deutsche Nationalist (…) lauscht nach innen, in die deutsche Seele, und erfährt da, was er zu tun hat: das Deutsche zu retten. Er sucht dessen Inbegriff in den Werten zu erhalten, die unbesiegbar blieben, weil sie unbesiegbar in sich sind.‘“5)

Wegen einer Rückenmarkschwindsucht, die Boßdorf befallen hatte, ging er bereits 1917 in den Ruhestand und konzentrierte sich fortan ganz aufs Schreiben.

„Boßdorfs literarisches Schaffen weist vier Hauptmotive auf, die verlorene Jugendgeliebte, die Sehnsucht nach dem Kind, den Ehebruch und den Tod.“ 6) Seine Frauenfiguren entsprechen dem konservativen Zeitgeist und geben oft das Klischee eines patriarchalen Frauenbildes wieder (siehe: Kramer-Kray-Weg und Maike-Harder-Weg (Protagonistin in dem Stück „De rode Unnerrock“). Und mit all dem wurde er „zu dem am meisten gespielten plattdeutschen Bühnenautor“. 7)

„Zeitgenossen berichten von der ‚gewaltig erschütternde(n) Wirkung‘, die von Boßdorfs 1918 uraufgeführtem Drama De Fährkrog ausgegangen ist Diese Wirkung nutzte die hamburgische Gesellschaft für dramatische Kunst für ihre kulturpolitischen Ziele. Das von Richard Ohnsorg [siehe: Ohnsorgweg] geleitete Amateurtheater nannte sich fortan Niederdeutsche Bühne und verschrieb sich der Aufgabe, niederdeutsches Schauspiel öffentlich durchzusetzen. In schneller Folge verfasste Boßdorf – von Ohnsorg dazu angeregt und dramaturgisch unterstützt – seine Bühnenwerke für die Niederdeutsche Bühne Hamburg. (…).“ 8)