Wißmannstraße
Wandsbek (1950): Wilhelm Leopold Ludwig Hermann von Wissmann (4.9.1853-15.6.1905), preußischer Offizier, „Schutztruppen“-Kommandeur in Ostafrika, Reichskommissar und Gouverneur der damaligen deutschen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“
Vor 1950 hieß die Straße Wrangelstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Wißmannsweg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war nd es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1950 bei Wrangelstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Nach dem Abitur schlug Hermann Wissmann die Militärlaufbahn ein und wurde 1874 in einer Rostocker Garnison zum Leutnant befördert. Wegen diverser Trunkenheitsdelikte und anderer Eskapaden wurde er in der Kaserne der „tolle Wissmann“ genannt, ein Pistolenduell brachte ihm eine viermonatige Haftstrafe. 1879 weckte ein zufälliges Treffen mit dem „Forschungsreisenden“ Paul Pogge sein Interesse für Afrika. Wissmann ließ sich beurlauben und brach 1881 mit Pogge vom westafrikanischen Angola aus auf, um im Auftrag der Berliner Afrikanischen Gesellschaft den Europäern noch unbekannte Gebiete in Zentralafrika zu erkunden. Pogge erkrankte unterwegs und musste umkehren. Wissmann ließ sich von der Karawane des Sklaven- und Elfenbeinhändlers Hamed bin Juma bin Rajab bin Muhammed bin Said el-Murjebi - Tippu-Tip genannt - an die Ostküste begleiten. Mit dieser Expedition konnte er nun angeben, als erster Europäer Äquatorialafrika von West nach Ost durchquert zu haben.
Im Vorfeld der Berliner Afrika-Konferenz beauftragte ihn Leopold II. von Belgien, den „Kongo-Freistaat“, ab 1885 des Königs neue Privatkolonie, zu kolonisieren, nach Arbeitskräften zu suchen sowie Bodenschätze und Handelswege zu erforschen. Die Afrikanische Gesellschaft und das Berliner Museum für Völkerkunde baten ihn, dabei ethnographische Gegenstände zu sammeln. Für diese Aufgaben wählte er, die Methode des „Teilens und Herrschens“: während er einen zugewandten Machthaber zum obersten Chief erwählte, nahm er die weiteren Könige und ihre Begleiter als Geiseln fest, „damit sie“, wie Wissmann drohte, „die Gesetze der Weißen kennenlernen“. So machte er Kalamba Mukenge Geschenke, während er dessen Gegner Mona Katende gefangen nahm und zur Unterschrift unter einem „Schutzvertrag“ und zu Tributzahlungen zwang. Zu Gast bei Kalamba Mukenges Untertanen, den rituell Cannabis rauchenden Bena Riamba, verbat er alle davon abweichenden religiösen Handlungen der Gemeinschaften in weiten Teilen der Region. So konnte er sich leicht die übrig bleibenden rituellen Gegenstände aneignen. In seinem Reisetagebuch beschrieb Wissmann 1885, wie er „das eiserne Scepter, Regierungsinsignie der Fürsten“ geraubt hatte. „Die Dikonga [Szepter], die ich nach einem Kriege mit Katende, in dem ich denselben gefangen nahm, ausgeliefert erhielt, befindet sich mit seinem weit zurückreichenden Stammbaum im berliner Museum. Katende ist jetzt machtlos, die Vereinigung der Baschilamboa hat nur noch historisches Interesse. Wie überall, so hat auch hier das Auftreten der Feuerwaffe alles verändert.“ Getreu seines forschen Wahlspruchs „finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen“ erschoss Wissmann Afrikaner, die sich ihm widersetzten. Seine „Freunde“ ließ er schnell fallen, als es ihm kolonialpolitisch opportun erschien. So ließ verständlicherweise die Begeisterung für die Europäer beim Paramount Chief rapide nach. Da sich Wissmann über ältere territoriale Rechte hinweg gesetzt hatte, wirkte seine koloniale Intervention lange nach und führte auch später noch zu ethnischen Konflikten in der Region. In Deutschland hielt sich dennoch hartnäckig der Mythos, er sei „mit weißer Weste“ zurück gekehrt. Seine Strategie des „Teilens und Herrschens“ wurde später zur gängigen Verwaltungspraxis in den deutschen Kolonien.
1886/1887 bereiste Wissmann erneut für Leopold II. den Kongo – diesmal offiziell in klar militärischem Auftrag, „Ordnung in die Verhältnisse“ zu bringen. Zum zweiten Mal durchquerte er den Kontinent. Von der Deutschen Reichsregierung wurde er bald in die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ geschickt. Seit 1888 leistete die Küstenbevölkerung unter Abuschiri Bin Salim al-Harthi und anderen Führern Widerstand gegen das provozierende Vorgehen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft (DOAG). Aus Abushiris Sicht waren die Deutschen „völlig rücksichtslos, rissen Flaggen herab und hissten andere auf, gaben uns Befehle und Vorschriften, und benahmen sich überhaupt, wie wenn sie die Herren des Landes und wir Alle ihre Sklaven seien. Wir sahen der Sache eine Weile zu, dann jagten wir die Weissen einfach fort, wie man übermüthige Jungen fortjagt.“ So hatten die Aufständischen die DOAG zur Aufgabe von weiten Landesteilen gezwungen, und es war dem kaiserlichen Kreuzergeschwader nicht gelungen, diesen sogenannten Araberaufstand niederzuschlagen. Nun ernannte Bismarck (siehe: Bismarckstein und Bismarckstraße) Wissmann zum Reichskommissar und Befehlshaber der ersten „Schutztruppe“, für die deutsche Offiziere und rund 1000 afrikanische Söldner, Askari, zu rekrutieren waren. Wissmanns Rede vor dem Reichstag war unnachgiebig: Friedensverhandlungen kämen nicht in Frage, nur mit Gewalt könne nach seinen Worten „den Aufständischen eine gründliche Lehre erteilt“ werden. Dem Antrag für zwei Millionen Reichsmark zur Ausrüstung und zum Unterhalt der Truppe stimmten die Berliner Abgeordneten nur zu, weil Bismarck vorgab, es handele sich um eine humanitäre Mission, den Sklavenhandel in Ostafrika zu bekämpfen.
Auf „Strafexpeditionen“ ins Landesinnere praktizierte die „Wissmanntruppe“ die vernichtende „Taktik der verbrannten Erde“. Einem kurzen und heftigen Artilleriefeuer folgten Nahkämpfe mit Bajonett. Es gelte „Trinkwasser abzuschneiden oder den Feind durch Anzünden der Grasdächer und Hütten herauszutreiben (...) Da man ein befestigtes Dorf nach der Einnahme meist niederzubrennen hat, ist aus praktischen Gründen stets eine Plünderung geboten“, empfahl er in seinem „Ratschlag zum Angriff auf eine afrikanische Siedlung". Führer der Widerstandsbewegung wurden ohne Ausnahme hingerichtet, gefangene Kinder, Frauen, und Männer zur Zwangsarbeit auf den Plantagen der deutschen Handelsgesellschaften verpflichtet.
Seine Bewunderer in den Kolonialkreisen lobten Wissmann als „Deutschlands größten Afrikaner“, und Feldmarschall Helmuth von Moltke (s. Moltkestraße) gefiel der „ausgezeichnete Kerl“, weil er „feste da unten“ vorging und alle „Schufte“ hängen ließ. Dagegen verurteilten einige Kolonialoffiziere in den eigenen Reihen sein Vorgehen als „äußerst grausam“. In einer Rede vor dem Reichstag kritisierte der linksliberale Abgeordnete Eugen Richter 1889: „Wir lasen neulich, dass Herr Wissmann schon 700 Araber und Aufständische, wie sie genannt werden, hätte erschießen lassen, wir hören, dass bald dieses, bald jenes Dorf in Flammen aufgeht. Seine Truppen ziehen sengend und brennend umher, und die Aufständischen tun dergleichen, und das ganze nennt man in der Sprache der vorjährigen Thronrede, Kultur und Gesittung nach Afrika tragen!‘“
Im Laufe eines Jahres gelang es Wissmann, die ostafrikanischen Küstengebiete zurück zu erobern. Seine Rückkehr nach Deutschland 1890 geriet zu einem Triumphzug, er wurde in den Adelsstand erhoben und zum Major befördert. Nach Bad Lauterberg im Harz, wo seine Mutter lebte, brachte er zwei junge Afrikaner mit, Moanso und Sankurru. Doch schon ein Jahr später entließ ihn Kaiser Wilhelm II. aus dem Amt: Wissmann wurde vorgeworfen, die Truppenausgaben eigenmächtig um ein Mehrfaches überzogen zu haben und fahrlässig mit Steuergeldern umgegangen zu sein. Trotz aller Kritik durfte er bald wieder zu Diensten sein: unter dem Deckmantel der „Sklavereibekämpfung“ brach er 1892 mit Schiffsteilen zum Nyassa-See auf. Dort wurde auf der neu gegründeten Station Langenburg der Dampfer Hermann von Wissmann zusammen gebaut, der den See kontrollieren sollte; während dessen richtete der Reichskommissar ein furchtbares Massaker unter den Wawemba an.
Wieder zurück in Deutschland, stellte Wissmann seine Texte zu dem Sammelband „Afrika. Schilderungen und Ratschläge zur Vorbereitung und den Aufenthalt und den Dienst in den deutschen Schutzgebieten“ zusammen. Darin kommt seine abschätzige Haltung zu den Menschen in Afrika deutlich zum Ausdruck: „Keine Tätigkeit ist geeigneter, den Europäer für die richtige Behandlung der Neger zu erziehen als die militärische. (...) Hört der gute Einfluß des Europäers auf, so fällt der Neger schnell wieder in seine alte Trägheit und Sorglosigkeit zurück.“ 1894 heiratete er Hedwig Langen, Tochter des Kölner Zuckerfabrikanten, Kolonialkaufmanns und Erfinders Eugen Langen. Damit hatte er Zutritt zu einer bedeutenden Industriellenfamilie, die in der „Kolonialbewegung“ einflussreich war. Seine Frau stiftete 20.000 Mark für einen weiteren Dampfer, Spenden aus der Bevölkerung kamen hinzu. Das am Tanganjikasee zusammen gebaute und in Betrieb genommene Schiff erhielt den Namen Hedwig von Wissmann.
Dann schlug der neue Reichskanzler Chlodwig von Hohenlohe Wissmann als Gouverneur für die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ vor. Der Kaiser willigte nur ungern ein und gab ihm auf den Weg, „dass nun endlich mit dem Kriegführen aufgehört werden müsse.“ Zum neuen Kommandeur der „Schutztruppe“ wurde Lothar von Trotha ernannt, der sich nicht an die kaiserliche Anweisung hielt, sondern zu weiteren Feldzügen ausrückte. Gefangene Widerstandskämpfer ließ er hinrichten; Gouverneur Wissmann war persönlich bei den Exekutionen anwesend. Neun Jahre später kämpfte Trotha als Oberbefehlshaber in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“, wo er sich am Völkermord an den Herero und Nama schuldig machte. Wissmann trat nach knapp einem Jahr von seinem Amt zurück, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Die eigentliche Ursache mag gewesen sein, dass er gekränkt war, weil Wilhelm II. ihm den Oberbefehl über die „Schutztruppe“ entzogen hatte.
1896/1897 bereiste Wissmann Russland, ein Jahr später Südafrika, um Großwild zu jagen. Zuletzt lebte er auf seinem Landsitz in Weißenbach/Österreich, wo er 1905 bei einem Jagdunfall durch einen Schuss aus eigenem Gewehr ums Leben kam.
Kolonialgouverneur Wissmanns Vermächtnis war die Hüttensteuer, die verhängnisvoll auf die ohnehin schlechten Lebensbedingungen der Kolonisierten einwirkte. Ihre Erhöhung (Kopfsteuer) war schließlich der Impulsgeber für den Maji-Maji-Krieg (1905-1907), in dem sich Menschen aus verschiedenen ethnischen Gemeinschaften erstmals gemeinsam gegen die Kolonialherrschaft erhoben. Bis zu 300.000 AfrikanerInnen kamen im Maji-Maji-Krieg ums Leben. Wissmann selbst sollte die Kämpfe nicht mehr erleben, denn er starb einen Monat vor Kriegsausbruch.
War Wissmann von der „Kolonialbewegung“ schon zu Lebzeiten zum Helden hochstilisiert, wurde erst recht nach seinem Tod um ihn herum eine Legende aufgebaut. Der Verlust der deutschen „Schutzgebiete“ im Ersten Weltkrieg hatte den imperialen Träumen einen Dämpfer aufgesetzt. Die Kreise, die sich noch von der „kolonialen Idee“ begeistern ließen, brauchten jetzt eine Identifikationsfigur, die sich geschickt medial verbreiten ließ. Auf Sammelbildern in Kolonialwarenverpackungen, auf Postkarten und Briefmarken, in Gedichten und Jugendromanen tauchte der heldenhafte Mythos Wissmann, dem „Löwen von Afrika“, vielfach auf.
Zu Wissmanns Ehren wurde 1908 in Bad Lauterberg ein Denkmal errichtet, die Denkmaltafel kündet: "Er kämpfte erfolgreich gegen den Sklavenhandel und für die Freiheit der Unterdrückten". Die vermeintliche „Sklavenbefreiung“ galt als Persilschein für die Kolonisierung „Deutsch-Ostafrikas“, Wissmann war ihr Propagandist an vorderster Front. Sein Schwiegervater Eugen Langen, Geschäftsführer der Deutschen Antisklaverei-Lotterie, brachte das doppelte Ziel auf den Punkt: „gegen die blutigen Greuel der Sklavenjagden und für die Machtstellung unseres Vaterlandes“. Der Mythos des „Sklavenbefreiers“ lebt bis heute derart hartnäckig weiter, dass alljährlich der Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen/Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e.V. vor dem Monument im Harz Kränze niederlegt.
Das zweite Wissmann-Denkmal ist ein Figurenensemble, das auch einen afrikanischen Soldaten (Askari) zeigt, der eine Reichsfahne über einen liegenden Löwen senkt. Es wurde 1908 in Berlin gegossen und 1909 in Dar es Salaam in „Deutsch-Ostafrika“ eingeweiht. 1921 wurde das Ensemble als „Kriegstrophäe“ nach London verschifft, im Imperial War Museum eingelagert und schließlich 1922 vor der neuen Universität Hamburg, die aus dem „Kolonialinstitut“ hervorgegangen war, aufgestellt. Zur Einweihung schrieben die Hamburger Nachrichten: „Das Wißmann-Denkmal ist (...) das allgemeine Kolonialdenkmal Deutschlands, das die Erinnerung an das Verlorene wachhalten und an das Streben nach dem Wiedererwerb des überseeischen Kolonialgebietes mahnen soll."
Das Wissmann-Monument vor der Universität Hamburg wurde zu einer zentralen kolonialen Weihestätte in Deutschland, doch in der städtischen Öffentlichkeit war seine Aufstellung von Anfang an umstritten. 1935 wurde auf der anderen Seite des Universitätsgebäudes das koloniale Dominik-Denkmal (s. Dominikweg) aus Yaoundé/Kamerun errichtet. 1967 wurde das Abbild Wissmanns von APO-Studenten vom Sockel geholt, die Stadt stellte es wieder auf. 1968 stürzten die Studierenden die Sockelfiguren beider Denkmäler, diese wurden dann schließlich in der Sternwarte Bergedorf deponiert. 1986 wurden die Figur des afrikanischen Soldaten und der bronzene Wissmann in einer Ausstellung in der ehemaligen Kampnagel-Fabrik gezeigt. 2004/2005 ließ die Künstlerin HMJokinen im Rahmen des Projekts afrika-hamburg.de das Monument mit der beschädigten Sockelfigur temporär am Hafentor aufstellen und in einem Webforum debattieren.
Ritualgegenstände und weitere Objekte, die Wissmann im Kongo und in Ostafrika erwarb oder erbeutete, werden heute im Berliner Ethnologischen Museum ausgestellt. Eine weitere Sammlung, das „Afrika Museum“ im Gutshaus Weißenbach/Österreich, bestehend aus „Trophäen, Waffen und Gebrauchsgegenstände[n]“, wurde 2005 zum hundertsten Todestag Wissmanns eröffnet. Die Gewaltgeschichte, die hinter den Objekten steckt, wird in der Provenienzforschung außer Acht gelassen, eine etwaige Rückgabe des Raubguts nicht diskutiert.
In den deutschen Städten wird Wissmann noch heute mit 20 Straßennamen geehrt. In Erfurt und Leipzig wurde die Wissmannstraße 1950 umbenannt, in Bochum 1998 und in Stuttgart 2009. Im November 2012 beschloss die Bezirksversammlung Hamburg-Wandsbek einstimmig die Umbenennung der Wissmannstraße und des Dominikwegs (s. Dominikweg), doch diesem Beschluss sind bisher keine Umbenennungen erfolgt.
Text: HMJokinen, Mitarbeit: Frauke Steinhäuser
1) Hinter dem N-Wort steckt die Bezeichnung „Neger“, die stark diskriminierend ist. Das N-Wort tauchte erstmalig im Zusammenhang mit dem transatlantischen Menschenhandel, mit Kolonialismus und „Rassentheorien“ auf. Das Wort wird im vorliegenden Text ausschließlich im historischen Zitat ausgeschrieben, weil damit deutlich gemacht werden soll, wie rassistischem die beschriebenen Kolonialakteure gedacht und gehandelt haben.