Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Wohlwillstraße

St. Pauli, seit 1948, benannt nach Anna Wohlwill (20.6.1841 Seesen/Harz–30.12.1919 Hamburg), langjährige Leiterin der Schule des Paulsenstiftes


Siehe auch: Agnes-Wolffson-Straße
Siehe auch: Gretchen-Wohlwill-Platz
Siehe auch: Alfred-Beit-Weg
Siehe auch: Warburgstraße

1921 wurde in Eimsbüttel eine Straße nach Anna Wohlwill benannt. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde die Straße 1938 wegen Anna Wohlwills jüdischer Herkunft umbenannt in Felix-Dahn-Straße. Siehe zu diesem aktuell umstrittenen Straßennamen unter: Felix-Dahn-Straße.

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde die Straße nicht nach Anna Wohlwill rückbenannt. Stattdessen erfolgte 1948 im Stadtteil St. Pauli die Benennung einer Straße nach Anna Wohlwill: die Wohlwillstraße. Vorher hieß diese Straße Jägerstraße. (Registratur Staatsarchiv Az. 1520-3/0. Antwort auf Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Prosch (CDU), Straßen mit Namen jüdischer Bürger, Bürgerschaftsdrucksache 11/2389 vom 7.5.1984.)

Geboren wurde Anna Wohlwill als viertes von fünf Kindern des Lehrers an der Hamburger Stiftungsschule, einer jüdischen Stiftung, und späteren Direktors der Jacobsen-Schule in Seesen, Dr. Immanuel Wohlwill, und seiner Ehefrau Friedrike Reichel Warburg (siehe: Warburgstraße).

Der Vater starb, als Anna Wohlwill sechs Jahre alt war. Frau Wohlwill zog daraufhin mit ihren Kindern nach Hamburg zurück, wohnte mit ihnen an der Alsterchaussee und wurde von der mit ihr verwandten Bankiersfamilie Warburg finanziell unterstützt.

Anna Wohlwill besuchte die Privatschule von Herrn Kröger. Dann erhielt sie mit einigen anderen Altersgenossinnen zwei Jahre Privatunterricht in Geschichte, Deutsch, Literatur, Naturwissenschaften und Mathematik. Außerdem wurde sie von ihren Brüdern Emil Wohlwill, dem späteren Naturwissenschaftler, der die „Norddeutsche Affinerie“ zu einem bedeutenden Unternehmen entwickelte, und Adolf Wohlwill, dem späteren Professor für Geschichte, unterrichtet.

Als ihr Bruder Emil Wohlwill später heiratete und Vater von Gretchen Wohlwill (siehe: Gretchen-Wohlwill-Platz) wurde, wurde Anna Wohlwill die Tante dieses Kindes, das später eine bedeutende Malerin wurde.

Nach ihrer Schulausbildung wollte Anna Wohlwill Lehrerin werden. Da es zu ihrer Zeit aber noch keine Lehrerinnenbildungsanstalten in Hamburg gab, stand sie, ohne jemals eine Prüfung abgelegt zu haben, seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr vor den Kindern, die Johanna Goldschmidt und Amalie Westendarp im Fröbelverein und im späteren Paulsen-Stift aufnahmen, um ihnen eine gute Erziehung und Elementarkenntnisse zu vermitteln. Es waren die Kinder der Armen, für die es damals keine staatliche Schule gab.

Als Anna Wohlwill am 3. November 1866, erst 25 Jahre alt, mit der Leitung der Schule des Paulsenstiftes betraut wurde, stellte sie ihre ganze Kraft in den Dienst der Anstalt, die von nun an eine Entwicklung von der Armenschule bis zur zehnstufigen höheren Mädchenschule durchmachte. Die Schule war bereits 1866 keine reine Armenschule mehr. Zu den aus den Kursen übernommenen Fächern kamen naturwissenschaftlicher Anschauungsunterricht und Englisch hinzu, 1867 Gymnastikunterricht, 1868 Pflichtenlehre, 1869 Maschinennähen und 1870 Französisch. Schon 1866 und 1867 wurden die Lehrerinnenbücherei, die Zeitschriftensammlung und die Schülerinnenbücherei angelegt. Als der Staat 1871 siebenstufige Mädchen-Volksschulen errichtete, verfolgte er einfachere Lehrziele als die der Schule des Paulsenstifts. 1880 hatte diese acht Klassen mit 369 Kindern. Durch stete Verbesserung der Lehrweise erfüllte die Schule in acht Jahren die Anforderungen der damaligen neunjährigen höheren Mädchenschule. 1881 verfügte die Oberschulbehörde, dass die Schule in die Sektion für höhere Schulen aufgenommen wurde. Die endgültige Anerkennung als höhere Mädchenschule erhielt die Schule 1893, als sie aus Platzmangel in die Bülaustraße 20 auf ein staatliches Grundstück gezogen war. Mit der Anerkennung als höhere Mädchenschule wurde die Schule des Paulsenstiftes „halböffentlich“ – sie diente nun als Ersatz für eine fehlende staatliche höhere Mädchenschule. Auch wurde eine Freistellenstiftung für begabte Kinder aus ärmeren Familien gegründet. Die Stiftung vergab 20 ganze und 50 halbe Freistellen. 1906 bekam sie anlässlich des 40. Dienstjubiläums von Anna Wohlwill 25.000 MK aus den Schulersparnissen. Zugleich erhielt sie den Namen Anna-Wohlwill-Stiftung.

Ostern 1894 war die Schule eine neunstufige Anstalt mit 562 Schülerinnen in vierzehn Klassen; zwei Jahre später, 1896, hatte sie in siebzehn Klassen 760 Schülerinnen. 1908 konnte das zehnte Schuljahr „eingeweiht“ werden.

Von Anfang an kümmerte sich die Schule um die Ferienerholung ihrer stärkungsbedürftigen und armen Schülerinnen. Man suchte für sie Unterkünfte bei Bauern in der Umgebung Hamburgs und zahlte das Entgelt dafür. 1882 wurde für diese Zwecke die Ferienstiftung der Schule des Paulsenstiftes gegründet. 47 Schülerinnen fuhren nach vorheriger ärztlicher Untersuchung zur Erholung aufs Land. Da jedoch nicht jede Unterkunft bei einem Bauern vorbildlich war, wollte die Schule ein eigenes Heim gründen. Am 7. Juni 1896 konnte dieser Plan realisiert werden, denn Laura Beit, nach deren Sohn der Alfred-Beit-Weg (siehe: Alfred-Beit-Weg) benannt wurde, hatte dem Paulsenstift ein Ferienerholungsheim am Timmendorfer Strand gestiftet. Es wurde „Olgaheim“ genannt nach der verstorbenen Tochter der Stifterin. 1906, anlässlich ihres 50-jährigen Lehrerinnenjubiläums, verlieh der Senat Anna Wohlwill eine goldene Denkmünze, die damit zum ersten Mal einer Frau zuteil wurde. Am 1. April 1911 wurde Anna Wohlwill im Alter von 70 Jahren pensioniert und übergab die Leitung der Schule an Hanna Glinzer. Obwohl sie erblindet war, blieb Anna Wohlwill im Schulvorstand und erteilte weiterhin Unterricht in sozialer Hilfstätigkeit. Außerdem förderte sie die Waldschulidee und richtete zusammen mit ihrer Freundin Agnes Wolffson (siehe: Agnes-Wolffson-Straße) in der ersten Woche nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges eine Kriegsküche im Keller des Schulhauses ein.

Nach dem Tod von Anna Wohlwill wurde die an der Lehrerfortbildungsanstalt entlangführende Straße nach ihr benannt. Als 1936/37 das Staatsamt und das Ingenieurwesen Vorschläge zur Umbenennung der nach Juden und Marxisten benannten Straßen machen sollten, schlugen sie Johann-Klefeker-Straße vor. Dazu ihre Erklärung: „Nach ihm war früher (1801) eine Straße benannt worden, die aber in einen üblen Ruf kam durch die Ansiedlung von Dirnen; später (1922) wurde sie umbenannt in ,Mauerstraße‘. Vor kurzem hat nun ein unmittelbarer Nachkomme von Johann Klefeker, der Oberst Professor S. Klefeker, Direktor der Deutschen Heeresbücherei in Berlin und Schöpfer des Büchereiwesens des Reichsheeres, den Antrag gestellt, den Namen Johann Klefeker durch Benennung einer Straße nach ihm wieder zu Ehren zu bringen. Da der Syndikus Johann Klefeker sich seinerzeit um Hamburg sehr verdient gemacht hat, und zwar im diplomatischen Dienst als Leiter der auswärtigen Angelegenheiten, soll dieser Bitte entsprochen werden.“ Der Bitte wurde nicht entsprochen: „Auf Grund des Erlasses des Reichsministers des Inneren vom 27. Juli 1938 über jüdische Straßennamen“ wurde die Anna-Wohlwill-Straße in Felix-Dahn-Straße umbenannt.

Anna Wohlwills Grabstein steht im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof.