Am Ballinkai
Altenwerder (2002): Albert Ballin (15.8.1857 Hamburg -9.11.1918 Hamburg), Reeder
Siehe auch: Ballindamm
Siehe auch: Ballinkai
Siehe auch: BallinPark
Siehe auch: Laeiszstraße, Bezug zur Hapag
Siehe auch: Slomanstraße, Bezug zur Hapag
Siehe auch: Bülowstraße
Bereits 1911 wurde in Hamburg Steinwerder-Waltershof ein Ballinkai benannt. Da Albert Ballin jüdischer Herkunft war, wurde der Kai 1935 umbenannt in Europakai . Eine Rückbenennung erfolgte nicht. Stattdessen wurde 1947 der Alsterdamm in Ballindamm umbenannt und 2002 in Altenwerder diese hier aufgeführte Verkehrsfläche „Am Ballinkai“ benannt.
In Wikipedia heißt es über Albert Ballin: „Albert Ballin war der Sohn von Amalie (genannt Malchen) Ballin, geborene Meyer (1825-1909) und von Samuel Joseph Ballin (1804-1874). Der Vater war jüdischen Glaubens und aus Dänemark eingewandert, die Mutter kam aus Altona und stammte aus einer angesehenen Rabbinerfamilie.“ 1) Albert Ballins Mutter war die zweite Ehefrau seines Vaters, der vier Kinder in diese Ehe einbrachte. Gemeinsam bekam das Ehepaar neun Kinder, hinzu kamen noch zwei Totgeburten. Der jüngste Sohn dieser 13 Kinder war Albert Ballin. Sein Vater „hatte 1852 die Auswandereragentur Morris & Co. in Hamburg gegründet. (…). Die Firma vermittelte Auswanderungswilligen die Schiffspassagen nach England und weiter nach Nordamerika.“ 2)
Als Albert Ballins Vater starb, hinterließ er nicht mehr als einen Anteil an der Firma Morris & Co.. Diesen Anteil bekam seine Witwe Amalie. Sie machte ihre beiden Söhne Joseph und Albert, letzterer war damals erst achtzehn Jahre alt, zu Prokuristen. Später kaufte Albert Ballin seiner Mutter, an der er sehr hing, von seinem ersten Gewinn eine Villa bei Teufelsbrück.
„Am 31. Mai 1886 wurde Ballin Leiter der Passagier-Abteilung der HAPAG. 1888 wurde er in den Vorstand der HAPAG berufen und trat aus der Firma Morris & Co aus; letztere wurde 1907 im Handelsregister gelöscht. Ab 1899 war er Generaldirektor der HAPAG und machte aus dem Unternehmen die größte Schifffahrtslinie der Welt,“ 3) steht in Wikipedia geschrieben. Und Johannes Gerhardt äußert: „Ballin, Mitglied im Aufsichtsrat der AEG, galt als einflussreicher ‚Berater‘ Willhelms II. in Wirtschafts- und Marinefragen (misstrauisch beäugt von vielen Deutschnationalen, für die er diffuse Ängste vor dem ‚internationalen jüdischen Großkapital‘ verkörperte). Allerdings blieb sein Versuch, ein deutsch-britisches Flottenabkommen zustande zu bringen, erfolglos. Anfang November 1918 wurde der national-liberale Monarchist gebeten, die Friedensverhandlungen für das Deutsche Reich zu führen. Dazu kam es jedoch nicht: Mit dem Zusammenbruch der Monarchie und des alten Europa schied Ballin am 9. November 1918 aus dem Leben.“ 4)
Ballin und Kolonialismus
Ballin profitierte vom Kolonialismus. Er war, so Johannes Gerhardt: „Mitglied der ‚Deutschen Kolonialgesellschaft‘, die 1887 aus dem Zusammenschluss zweier Vereine entstanden war. Die Mitglieder dieser Gesellschaft (1914 waren es 42.000) repräsentierten so ziemlich alle sozialen Schichten des damaligen Deutschlands. Durch professionelle Öffentlichkeitsarbeit (…) wurde die Vereinigung ein maßgebliches Agitationsforum, das sich für Kolonialvorlagen der Regierung und Postdampfersubventionsvorlagen einsetzte und ein transozeanisch-deutsches Imperium propagierte. Ballin, der Kolonien nicht als sonderlich profitabel ansah und dem es mehr um Flottenstützpunkte und Geschäftsniederlassungen ging, stand mit seinen Ansichten nicht immer im Einklang mit den Zielen der Kolonialgesellschaft und trat deshalb dort auch nicht besonders hervor.“ 5)
Diese Gesellschaft besaß seit 1907 auch eine Frauenabteilung, die „sich besonders die Förderung weißer Familien in einem neuen überseeischen Deutschland zur Aufgabe machte.“ 6)
Als größte deutsche Reederei war die HAPAG u. a. „durch die Nutzung neuer Geschäftsmöglichkeiten (…) aktiv am Kolonialismus der europäischen Großmächte beteiligt und profitierte von der kolonialen Expansion insbesondere nach Afrika und Asien. Im Auftrag der Reichsmarine wurde insbesondere der Transport von Waren und Soldaten in die neuen deutschen Kolonien übernommen. Hierfür erhielten die HAPAG sowie der NDL vom Reichstag eine Monopolstellung und übernahmen z. B. die Logistik zur Niederschlagung des sog. Boxeraufstands. Diese Geschäfte übernahm die HAPAG zudem auch für die anderen europäischen Großmächte, wodurch mit Blick auf die zunehmende Rivalität ein Spannungsverhältnis zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen entstand.“ 7) heißt es im Hamburg-Geschichtsbuch.
Da mit den HADAG Schiffen u. a. auch Kolonialbeamte, Missionare, Siedlerinnen und Siedler sowie Kaufleute in die Kolonien transportiert wurden, profitierte Ballin und seine HAPAG auch darüber vom Kolonialismus. (Siehe zum Thema HAPAG und Kolonialismus auch unter: Laeiszstraße)
„Ballin dachte in erster Linie wirtschaftlich, war aber auch politisch aktiv und gehörte zu den Anhängern der Monarchie. (…). Vorrangig ging es ihm darum, günstige wirtschaftliche Bedingungen für die HAPAG zu schaffen. (…)
Im Ersten Weltkrieg – Ballin war Gegner des Krieges – hatte Ballin den Wunsch, in Abstimmung mit den Briten neue Häfen in Belgien und weitere Kolonien in Übersee für das Kaiserreich zu gewinnen.“8)
Gemeinsam mit Edmund Siemers ( Edmund-Siemers-Allee) und anderen gründete Ballin 1911 die Hamburger Luftschiffhallen GmbH (siehe dazu auch unter Edmund-Siemers-Allee). Dazu schreibt Holger Tilicki: „Albert Ballin (…) war bekanntermaßen stark im Geschäft mit Auswanderern aus Ost- und Südosteuropa nach Nordamerika engagiert. Er war Vertrauter Wilhelms II., ‚erfand‘ die Kreuzfahrten und setzte mit den Riesendampfern ‚Imperator‘, ‚Vaterland‘ und ‚Bismarck‘ neue Maßstäbe in der Passagierschifffahrt. Die Fahrkarten für die Zeppelin-Luftschiffe [ Zeppelinstraße] wurden ausschließlich in den Reisebüros der Hamburg-Amerika-Linie verkauft.“ 9)
Verheiratet war Albert Ballin seit 1883 mit Marianne Rauert (18.12.1854 Hamburg – 26.6.1936 Hamburg). „Seine Frau stammte aus achtbarer bürgerlicher Familie, ‚gutem Mittelstand‘, und hatte den Mut und die Weitsicht, ‚nach unten‘ – wie es damals hieß – zu heiraten“ 10) gehabt, denn Ballin entstammte der jüdischen Unterschicht und gehörte zum Zeitpunkt der Hochzeit noch nicht der gesellschaftlichen Oberschicht an. Das Paar wurde protestantisch getraut – seine Frau war Christin. „Sein Judentum hat Ballin nie verleugnet, aber auch nie hervorgekehrt. Er heiratete (…) eine Christin (…). Aber er ließ sich nicht taufen. Und er änderte auch nicht seinen Namen, wie so viele Juden damals; wer das tut, sagte er, ‚beschimpft seinen Vater‘.“ 11)
In den umfangreichen Reederbiografien wurden bisher den Reederfrauen nur wenige Seiten gewidmet. Reederfrauen werden in der Literatur als tüchtig, energisch und als fähige Steuerfrauen eines großen Haushaltes charakterisiert. Solche weiblichen Attribute schienen für das Fortbestehen eines Unternehmens unerlässlich zu sein. Während der Ehemann die großen Geschäfte erledigte, der „Kapitän auf großer Fahrt“ für sein Unternehmen war, hatte die Ehefrau zu Hause das Ruder in der Hand.
Die dafür nötige Ausbildung hatten die jungen Frauen durch die übliche höhere Töchterbildung erfahren, die sich sehr von der Jungenerziehung unterschied. Von einer intensiven, viele Wissenschaftsbereiche umfassenden Ausbildung konnte keine Rede sein.
Der Lebensstil der Reederfamilien war hierarchisch, korrekt und englisch beeinflusst. Mancher Matrose hätte seine Seemannsordnung gern mit der Hausordnung der Ballins in deren Landhaus in Hamfelde bei Hamburg getauscht: „Unsere verehrten Gäste bitten wir, sich in ihren Bewegungen und Verfügungen nicht durch Rücksichten auf uns beschränken zu lassen. Indem wir es vermeiden, sie mit mütterlicher Fürsorge und Bevormundung zu verfolgen, werden wir uns bemühen, unseren Freunden den Aufenthalt in unserem Hause heimatlich zu gestalten. Wir erwarten weder von unseren verehrten Gästen, dass sie uns ‚schön‘ tun, noch muten wir ihnen zu, unsere Gesellschaft öfter aufzusuchen, als ihnen lieb ist. (…) Die Zeit für das erste Frühstück, bitten wir selbst zu bestimmen und der Dienerschaft alle darauf bezüglichen Befehle zu geben. Das zweite Frühstück wird in der Regel gemeinsam um 1 Uhr eingenommen. Nachmittags-Thee 4 ½ Uhr.“ 12)
Reederfrauen lebten mit ihren Familien in großen vornehmen Häusern – wie die Ballins in ihrem Stadthaus in der Feldbrunnenstraße 58 – und waren die Chefinnen über eine große Anzahl von DienstbotInnen.
Gleichberechtigte Partnerinnen im Geschäftsleben waren sie nicht. In der Arbeitswelt des Mannes spielten sie keine Rolle.
Bedingt durch den Beruf ihrer Ehemänner hatten die Frauen öfter die Gelegenheit, auf Schiffsreisen zu gehen. Marianne Ballin, geb. Rauert begleitete im Jahre 1900 z. B. ihren Mann auf einer Reise nach China, wo Ballin Möglichkeiten erkunden wollte, die HAPAG-Interessen weiter auszubauen. Sie übernahm dort die Repräsentationspflichten, wie sie von Reederfrauen erwartet wurden.
Diese Aufgabe war nicht zu unterschätzen. Auch die großen Empfänge auf den Dampfern der HAPAG während der Regatten und der Kieler Woche waren wichtige geschäftliche Veranstaltungen, auf denen neue Geschäftsverbindungen geknüpft und Kunden durch den gesellschaftlichen Rahmen enger an die Reederei gebunden werden sollten. In diesem Rahmen hatte die Reederfrau die Aufgabe, durch ihre Anwesenheit, ihr Auftreten, ihre Unterhaltungskunst ein Ambiente zu schaffen, in dem sich die Gäste wohlfühlten. Diese Kunst hatte sie, die seit 1883 mit Albert Ballin verheiratet war, perfekt zu beherrschen. Der Ausspruch „a napkin-folder rather than an ispired hostess“ „mehr eine Serviettenfalterin als eine geistvolle Gastgeberin“, den Geschäftsfreunde über Marianne Ballin prägten, belegt vielleicht weniger, dass Frau Ballin keine perfekte Gastgeberin war, als vielmehr, dass die Ansprüche auch an die geistigen Fähigkeiten der Reederfrauen nicht gerade niedrig waren; abgesehen davon, dass das Zitat in englischer Sprache etwas über das englisch-deutsche Konkurrenzverhältnis aussagt.
Standesgemäß war außerdem ein Engagement im Bereich der Wohltätigkeit. Damit konnte das Ansehen der Familie und das der Firma verbessert oder gar gesteigert werden.
Klassische repräsentative Ereignisse im Leben von Reederfrauen und -töchtern waren ihre Geburtstage, wenn diese an Bord gefeiert wurden. Und jede empfand es als Höhepunkt, wenn sie Schiffstaufen vornehmen durfte und die Schiffe gar nach ihr benannt wurden.
Die Reedergattinnen kannten keine materiellen Sorgen. Ihr glitzernder öffentlicher Lebensrahmen verdeckte aber offenbar eine private Schattenseite – die Langeweile. Luxuriöse Geschäftigkeit sollte Abhilfe schaffen. So bekam Marianne Ballin von ihrem Mann einen Dogcart und ein sanftes Pony geschenkt, mit dem sie nachmittags durch die Straßen Pöseldorfs kutschierte.
Das Ehepaar blieb kinderlos. 1893 adoptierte es die am 18. Juli 1892 geborene Irmgard – auch Peter genannt. Mit Geburtsnamen hieß Irmgard Emma Auguste Anna Kirchheim und stammte aus einer Landarbeiterfamilie in Reinfeld/Holstein. Klaus Eichler schreibt in seiner Biografie über Albert Ballin dazu: „Aus einem bisher nicht erfindlichen Grund sind die Ballins auf dieses kleine Mädchen gestoßen. Hans Leip (…) schreibt, die Ballins hätten das Kleinkind auf einem Landausflug gesehen, sich sofort verliebt und für die Gegenleistung einer Schiffspassage die gesamte restliche Familie nach Argentinien verbracht, wo sie dazu noch ein Landgut geschenkt bekommen hätten. Nach Recherchen zu diesem Buch steht fest: die Eltern Kirchheim sind tatsächlich nicht, wie häufig behauptet wird, in Hamburg an der Cholera verstorben. Papiere von Schiffspassagen bezeugen vielmehr die Ausreise der ganzen Familie – bis auf Emma Auguste Anna alias Irmgard – nach Rosario/Argentinien im Jahr 1896.“ 13) Irmgard starb zwei Wochen nach Ballins Tod an der Spanischen Grippe.