Eitnerweg
Hummelsbüttel (1965): Prof. Ernst Eitner (30.8.1867-28.8.1955), Maler
Siehe auch: Gretchen-Wohlwill-Platz
Siehe auch: Del-Banco-Kehre
Eitner stammte – wie man so „schön“ sagt – aus „kleinen Verhältnissen“: der Vater, ein Tischler war früh erblindet und kam aus Schlesien, die Mutter aus Mecklenburg. Der Vater konnte seinem Sohn aus finanziellen Gründen keine künstlerische Ausbildung zukommen lassen. Ernst Eitner hatte aber das Glück, dass die Schwestern Molly und Helene Cramer ihn zeitlebens finanziell unterstützten. Molly Cramer (25.6.1852 Hamburg - 18.1.1936 Hamburg, die Grabsteine der Schwestern stehen im Garten der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof) und Helene Cramer (13.12. 1844 Hamburg - 14.4.1916 Hamburg) konnten sich erst nach dem Tod ihres Vaters, des vermögenden Kaufmanns Cesar Cramer, ihren Lebenstraum erfüllen und ihre Ausbildung als Malerinnen beginnen, denn der Vater war stets gegen diesen Beruf gewesen. So begannen die Schwestern 1883, ein Jahr nach dem Tod des Vaters, mit ihrer Ausbildung. Damals war Helene bereits 39 und Molly 31 Jahre alt.
Da in der damaligen Zeit eine Berufsausübung für bürgerliche Frauen noch als Ausnahme galt, und künstlerisch veranlagte Frauen des Bürgertums ihr Können meist nur dilettantisch ausübten, nicht aber als Beruf, waren die Schwestern Molly und Helene Cramer eine Ausnahme. Sie „wollten ihre Kunst nicht dilettantisch betreiben, sie wollten leisten, was sich erreichen lässt, und mit großer Energie sind sie an ihre Studien gegangen und haben ihre Kunst immer von diesem Gesichtspunkt betrachtet“, schrieb die Frauenrechtlerin und Schriftleiterin der Zeitschrift Frau und Gegenwart, Frieda Radel im Hamburgischen Correspondenten vom 13. September 1904.
Helene lernte in Hamburg bei Carl Oesterley - ein in Hamburgs gutbürgerlichen Kreisen geschätzter Landschaftsmaler - und bei Carl Rodeck, der bekannt war für seine Darstellungen von Hafen und Stadt. Molly begann ihre künstlerische Ausbildung bei dem bekannten Zeichner Alt-Hamburger Szenen, Theobald Riefesell und den Malern Hinrich Wrage und Carl Rodeck.
Ab 1886 begann Helene Cramer ihre Bilder in ganz Deutschland und im Ausland auszustellen. Ihre Schwester tat dies deutschlandweit ab 1888.
Daneben bildeten sich die Schwestern weiter: Helene setzte ihre Studien 1887 in Den Haag bei Marguerite Roosenboom fort, die damals die bedeutendste holländische Blumenmalerin war. Um 1890 ging Helene mit ihrer Schwester Molly nach Antwerpen und lernte bei Eugène Joors Blumenstillleben unter Einfluss der alten holländischen Schule.
Dieses Thema verfolgten die Schwestern konsequent weiter. Damit trafen sie den Geschmack des damaligen Direktors der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark. 1895 erwarb er sogar für die von ihm begründete „Sammlung von Bildern aus Hamburg“, die die Entfaltung einer modernen Hamburgischen Kunst befördern sollte, für die Hamburger Kunsthalle je ein Blumenstillleben von Helene und Molly Cramer. Dazu schrieb er an die ‚Commission für die Verwaltung der Kunsthalle’: „Der Ankauf der Blumenstücke von Frl. Molly und Helene Cramer durch die Kunsthalle hat mich so herzlich gefreut (...). Einmal war es mir eine Genugthuung für die beiden Damen, die es mit der Kunst so ernst nehmen, wie wenige, die sich auf ein Gebiet, das dem Talente der Frau vor Allem zusagt, weise beschränkt haben, die jetzt in Deutschland die ersten in ihrem Fache sind, und die in Hamburg ihrem Werthe nach nicht anerkannt werden“ [1].
Helene Cramer zeigte in ihren späteren Werken auch impressionistische Tendenzen. Auch Molly beschäftigte sich mit dem Impressionismus und erweiterte ihr Können auch auf Landschafts- und Portraitmalerei.
1892/93 wurden die Schwestern Mitglieder im Verein der Berliner Künstlerinnen. Zwei Jahre später begannen sie in ihrem Elternhaus auf der Uhlenhorst, Karlstraße 18 gesellige Kulturabende und Diskussionsrunden zu veranstalten.
1895 fuhren die Schwestern mit Arthur Illies (Illiesbrücke) und Ernst Eitner zur Großen Kunstausstellung nach Paris. Ernst Eitner finanzierten sie diese Reise. Danach folgten mehrere Auslandsaufenthalte in Paris und London.
Ab 1897 wurden die Schwestern zu Gönnerinnen des „Hamburgischen Künstlerclubs von 1897“, in dem u.a. Arthur Illies und Ernst Eitner Mitglied waren und der ein Zusammenschluss der damaligen jungen Künstler Hamburgs war. Eine Mitgliedschaft lehnten die Schwestern jedoch ab, beteiligten sich aber mit ihren Werken an den Ausstellungen des Künstlerclubs. Mitglied wurden sie hingegen im Jahre 1900 in der Münchener Künstlergenossenschaft.
Der Hamburger Kunstverein verloste 1895 Molly Cramers Pastell „Austernschalen“ und 1903 ihr Bild „Primeln“. Helenes Bild „Rosen“ wurde 1900 im Hamburger Kunstverein verlost, und ihr Werk „Primeln“ kam 1911 in die Weihnachtsverlosung des Hamburger Kunstvereins.
Molly Cramer schenkte 1916 der Hamburger Kunsthalle 500 Mark, so dass damit der Ankauf eines Aquarells von Max Slevogt ermöglicht wurde.
„Das künstlerische Ziel von Helene und Molly Cramer war ‘nicht etwa niedliche Damenmalerei’. Alfred Lichtwarks Vision eines heimatverbundenen Naturalismus’ als Grundlage einer neuen Kunst und ihr ungewöhnliches, emanzipiertes Selbstbewusstsein haben die Schwestern zu einer - heute vollkommen vergessenen - Ausnahme innerhalb der Hamburger Kunstgeschichte werden lassen (...)“ [1].
Vier Jahre nach dem Tod ihrer Schwester Helene trat Molly 1920 der Hamburgischen Künstlerschaft bei. Sie überlebte ihre Schwester Helene um 20 Jahre.
Eitner studierte an der Kunstakademie in Karlsruhe und später auch z. B. an der Kunstakademie in Antwerpen, weil Helene und Molly Cramer dort ebenfalls ihre Kunstausbildung fortsetzten und Eitner von der dortigen Landschaft vorgeschwärmt hatten.
Als Eitner 1892 während der Cholera-Epidemie in Hamburg an dieser Krankheit erkrankte, bezahlten die Schwestern Cramer den Arzt und die Pflege.
Ein Jahr später verlobte sich Eitner mit Antonia Marie Theodora Bißling (6.5.1871 Lübeck – 3.5.1945 Hamburg), Tochter eines Lübecker Kanzlisten. Ulrich Schulte-Wülwer schreibt in seiner Biographie über Ernst Eitner dazu und über die Vereinbarkeit eines Künstlerschaffens mit den Verpflichtungen eines Ehemannes und Vaters: „(…) das Eheversprechen [fing an] Eitner zu belasten, denn er ahnte, dass dies mit dem Leben eines freien Künstlers schwer zu vereinbaren war. (…) Am 12. November 1895 fand die Hochzeit statt und das Paar bezog in Billwerder ein kleines Gartenhaus an der Bille. Die Eheschließung passte Lichtwark [siehe Lichtwarkstraße] überhaupt nicht, es heißt sogar, er habe versucht, die Verbindung über Molly und Helene Cramer zu durchkreuzen, die mit ihm in seinem Haus in der Carlstraße 18 auf der Uhlenhorst wohnten. Persönlich hatte er Eitner gewarnt: ‚Solange Sie allein sind, haben Sie nur mit ihrem Gewissen abzumachen, was Sie als Künstler anstreben: haben Sie Frau und Kinder, so kommt die Pflicht dazu, denn dann sind Sie erst Gatte und Vater, Künstler aber in zweiter Linie.‘

Für Eitners Ehefrau war diese Reihenfolge ganz selbstverständlich, wie sie ihm deutlich zu verstehen gab: ‚Wenn Du als Künstler etwas tun willst, so musst Du doch immer erst den Ehemann fragen, ob Du es auch als solcher verantworten kannst, ja oft sogar – Du willst es zwar nicht gerne hören – kommt erst der Ehemann, dann der Künstler.‘“ 2)
Eitner, der seine Frau mehrmals malte, hatte, um seine Familie finanziell abzusichern, 1894 begonnen, einmal die Woche an der Malschule der Malerin Valeska Röver (1849-1931) zu unterrichten. 15 Jahre war der Vater von drei Kindern (geboren: 1899, 1904, 1908) dort beschäftigt. Valeska Röver unterhielt eine Malschule für Damen am Glockengießerwall 23. Auch wenn die bei Franz Skarbina in Berlin und an der Akademie Julian in Paris ausgebildete Malerin und Kunstgewerblerin Valeska Röver, die vor allem Fruchtstillleben und Blumenstücke malte, selbst vielleicht keine große Künstlerin war, so erwarb sie sich doch dadurch große Verdienste, dass sie 1891, als die Hamburger Gewerbeschule und die Akademie noch keine Frauen aufnahmen, eine private Malschule für Damen gründete und avantgardistische Maler wie Ernst Eitner und Arthur Illies als Lehrer an ihre Schule holte. Illies führte den Bereich des Kunstgewerbes und verschiedene Drucktechniken in den Unterricht ein und gab Korrektur beim bildhauerischen Modellieren. Vor allem aber lernten die jungen Frauen Kopf-, Akt-, Stillleben- und Wandmalerei. Um nach der Natur zu malen, wechselte die Schule im September alljährlich für drei Wochen aufs Land. Unterstützung erfuhr Valesca Röver auch durch den Direktor der Kunsthalle, Alfred Lichtwark, der das Unterrichtsprogramm betreute. 1904 übergab Valesca Röver die Malschule der Landschafts-, Portrait- und Stilllebenmalerin und Kunstgewerblerin Gerda Koppel und widmete sich der Tätigkeit für den Hamburger Heimatschutz-Verein. Die Malerin Gretchen Wohlwill, (Gretchen-Wohlwill-Platz) die auch Schülerin von Eitner war, schrieb in ihren Lebenserinnerungen: „Wir alle (…) schwärmten für die jungen Eitner und Illies, (...) deren farbige helle Bilder mich entzückten” 3) Zu Eitners Schülerinnen gehörte auch die Malerin Alma del Banco (Del-Banco-Kehre).
Eitners impressionistische Werke kamen 1896 beim Hamburger Publikum allerdings nicht gut an. Ulrich Schulte-Wülwer schreibt dazu: „Das von Eitner entworfene und preisgekrönte Plakat, das eine harmlose Frauengestalt mit einem Palmenzweig in den provozierenden Farben orange und Violett zeigte, führte allein wegen seiner modernen Farbgebung zu einer skandalumwitterten Protestveranstaltung im Hamburger Kunstverein, an der etwa 1500 Personen teilnahmen. (…) Die Versammlung endete mit einem Beschluss, in Zukunft alle modernen Kunstbestrebungen seitens des Kunstvereins abzulehnen.
Solidarität mit Eitner kam von vielen Seiten (…). Die Cramer-Schwestern, die sich mit Lichtwark besprochen hatten, empfahlen Eitner, ‚in einer möglichst anständigen Form vorzugehen. Wir denken, Sie sind der, der am meisten und besten überlegen kann, was Sie zusammen tun wollen. Daß Sie vorgehen, fand Lichtwark selbstverständlich, nur das Wie mögen Sie immer wieder überlegen, damit Sie nicht im Ärger und in Aufregung handeln und nachher bereuen, was Sie getan.‘ Empört war auch Valesca Röver, die sich wie die Cramer-Schwestern verpflichtet fühlte, ‚mit Ihnen und ihren Freunden Front zu machen gegen die ganz unerhörte Behandlung, die Ihnen und Ihrer Arbeit zuteil geworden.‘“ 4)
Eitner und seine Freunde gründeten daraufhin 1897 den „Hamburgischen Künstlerclub von 1897“.
Ein Jahr später zog Eitner mit seiner Frau nach Fuhlsbüttel in den heutigen Bergkoppelweg (damals Weg Nr. 68). „Hier entstand“, so Ulrich Schulte-Wülwer, „eines seiner Hauptwerke, das ihn mit seiner Familie im Garten an einem Tisch, unter einem blühenden Kirschbaum zeigt. Während seine Frau den Kaffee einschenkt, wendet sich Eitner dem Sohn Georg zu, der eine Puppe hält.“ 5) Für das Bild erhielt Eitner von Lichtwark, der es 1901 für die „Sammlung von Bildern aus Hamburg“ erwarb, 3500 Mark. Mit diesem Geld kaufte Eitner ein Grundstück an der Susebek in Hummelsbüttel und ließ dort 1903 ein Haus nach seinen Bedürfnissen errichten: „ (…) vier kleine Stuben, die seine Frau mit Biedermeiermöbeln einrichtete, sowie eine Küche. Der obere Teil diente ausschließlich als Atelier.“ 6)
Über seine Ehe und seinen Charakter schreibt Ulrich Schulte-Wülwer: „Trotz (…) Freundschaftsbeweise und eines intakten Familienlebens erwies sich Eitner als ein schwieriger Charakter. Haus, Haushalt und Kinder störten seine Konzentration, nicht selten gab es Zeiten der Niedergeschlagenheit und der Verbitterung. (…) Gustav Schiefler schätzte an Eitner besonders dessen Allgemeinbildung und das Interesse für Musik und Literatur, ‚aber der vollen Entfaltung aller dieser Gaben stand die Mitgift vom ‚Ressentiment des Schlecht-Weggekommenen‘ im Wege, die er seiner Abkunft verdankte. Er war misstrauisch, empfindlich, leicht gekränkt. Das nahm ihm die Sicherheit im Umgang. (…).‘“. 7)
1926 bemühte sich Frau Eitner vergebens um eine kleine Rente für ihren Mann. 1942 – so Ulrich Schulte-Wülwer – wurde sie ihm dann von Reichstatthalter Kaufmann in Höhe von jährlich 3000 Mark gewährt. 8)
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten trat Eitner der NSDAP nicht bei. Ulrich Schulte-Wülwer schreibt über Eitners Einstellung zum Nationalsozialismus: „Hitlers Machtergreifung hatte Eitner stürmisch begrüßt, doch sehr bald folgten Ernüchterung und Enttäuschung. Als der ‚Reichsbund der bildenden Künstler‘, die Berufsvereinigung für Bildende Künstler der Weimarer Republik, aufgelöst und im November 1933 in ein neugegründetes ‚Reichskartell‘ überführt worden war, notierte Eitner in seinem Tagebuch: ‚Das ‚Kartell‘ gibt uns keinen Ersatz. So wissen die Künstler nichts über die Verhältnisse der Kunst in Deutschland. Auch die Verhältnisse der Kunst in Hamburg sind bedrohlich. Was ist ‚deutsche Kunst‘? Wir fragen. In Hamburg weiß keiner etwas. Die Regierung? Nein. Der Direktor der Kunsthalle hat seinen Abschied genommen, einen anderen gibt es nicht!!!‘ So groß Eitners Vorbehalte gegen die Moderne auch waren, die Freiheit der Kunst galt für ihn uneingeschränkt: ‚Auch heute will man die Kunst oder die Künstler kommandieren. Warum? Für die Politik? Aber die Kunst ist frei – nicht vergessen! Kritik ist ein Delikt oder zumindest falsch! Was tun? Schweigen! Es ist wirklich dumm, in dieser Zeit noch zu malen, zu arbeiten.‘ (…).“ 9)
Text: Rita Bake