Fichtestraße
Eilbek (1896): Johann Gottlieb Fichte (19.5.1762 Rammenau bei Bischofswerda – 29.1.1814 Berlin), Philosoph, Erzieher, Freimaurer
Siehe auch: Smidtstraße
Siehe auch: Tiecksweg
Fichte, der noch sieben Geschwister hatte, kam aus ärmlichen Verhältnisse. Sein Vater war Bandweber. Durch finanzielle Förderung reicher Menschen, denen die Intelligenz Fichtes aufgefallen war, konnte er die Schule besuchen und ein Studium beginnen. Als jedoch während des Studiums die Geldmittel nicht mehr in ausreichendem Maße flossen, musste er sein Studium abbrechen und Hauslehrer werden.

Als Fichte 1788 in Zürich eine Hauslehrerstelle annahm, verlobte er sich mit der Kaufmannstochter Johanna Marie Rahn (1755-1819), Nichte des Dichters Klopstock (siehe: Klopstockstraße). Nach der Verlobung ging Fichte nach Leipzig - seine Hauslehrerstelle, die er zwei Jahre innehatte, hatte er aufgeben müssen, da er die Auffassung geäußert hatte, bevor man als Eltern Kinder erziehe, müssen zuerst einmal die Eltern selbst erzogen werden.
Fichte suchte sein finanzielles Auskommen: Seine Idee, Prinzenlehrer zu werden, scheiterte, ebenso sein Plan, eine „Zeitschrift für weibliche Bildung“ herauszugeben. Er versuchte sein Glück in verschiedenen Städten und kehrte schließlich im Juni 1793 als bekannter philosophischer Schriftsteller in die Schweiz zurück, um seine Verlobte zu heiraten. Die Hochzeit wurde im Oktober desselben Jahres begangen. Ein Jahr später, 1794, erhielt er einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Jena. 1796 wurde der gemeinsame Sohn geboren.
Fichte und sein Verhältnis zu Frauen
Einen Einblick in das Eheleben der Fichtes erhalten wir z. B. aus einem Brief, den Fichte 1795 an seine Frau schrieb, und in dem er sie in ihre Schranken verwies: „Allerdings, meine gute Liebe, ist meine Angelegenheit die Deinige, und die Deinige die meinige, sowie die Angelegenheiten eines Gliedes im menschlichen Körper die des andern ist. Wenn aber daraus der Fuß folgern wollte, daß er eben so gut Briefe schreiben könnte, als die Hand, und die Hand, daß sie eben so gut den Körper tragen könnte, als der Fuß, so würden sich beide sehr irren: gerade so sich irren, wie Du, wenn du mir mit vieler Mühe, u. der innigsten Herzlichkeit Vorstellungen machst, über das, was ich thun soll, oder nicht thun soll. Laße das hinführo – wie ich Dich schon oft mündlich gebeten habe, so bitte ich Dich hierdurch schriftlich, damit Du es aufheben kannst – laße das hinführo lieber seyn; denn Du erhälst dadurch nichts weiter, als daß ich Dir ein andermal nicht sage, was ich thun will, und daß die Herzlichkeit in unserm Umgange einen Stoß erhält. – Ich habe ehe ich Dich heirathete gethan, wie ich’s für recht ansah; habe es gethan, seitdem ich Dich geheirathet; und siehe, ich lebe, und bin gesund und glücklich … laß mich überhaupt, wenn Du es ändern kannst – zwar Vorstellungen über meine Depensen, Oekonomie, - oder über mein sittliches Betragen in der Welt – oder über die Rechtschaffenheit meines Charakters, diese laß mich von Dir hören, denn Du bist mein Weib, und ein braves biederes Weib – aber über meine öffentlichen Verhandlungen, über mein Verhältniß zum Publikum, zur Universität, zur teutschen Litteratur laß mich von Dir nichts hören; denn Du bist kein Mann, und hiermit Gott befohlen. Die naseweisen Gründe schenk ich um Deinetwillen den albernen Menschen, die sie Dir eingeblasen haben, und Dir halte ich Deine Weibheit zu gute.“ 1)
Fichte äußerte sich ausführlich über die Stellung der Frau, so z. B. schon als Junggeselle um 1780: „Ich kann und darf über das, was ein Frauenzimmer wißen sollte, nur sehr kurz und bescheiden sprechen, aus dem natürlichen Grunde, weil ich mich hierinne leicht irren könnte. Ein Frauenzimmer eigentlich gelehrt machen zu wollen, kann wohl keinem vernünftigen Manne einfallen. Doch giebt es mehrere Kenntniße, die nicht eigentlich dazu gehören gelehrt, sondern vernünftig, in seiner Sphäre brauchbarer, und glücklicher zu sein; und diese, glaube ich, sollte man jedem, in dem Grade der Vollkommenheit beizubringen suchen, als es unter den Umständen, und ohne den höhern Zwecken zu nahe zu treten, möglich ist. – Schreiben und Rechnen zähle ich hierher gar nicht; diese sind unentbehrlich. Ob es mit der Französischen Sprache, die an sich es gar nicht ist, wegen des Lokalen sich eben so verhalte, kann ich nicht entscheiden. – Selbstdenken, Selbsturtheilen, ist Vorrecht des Menschen, als Mensch, und nicht des Geschlechts, und die höchste Quelle seines Glük’s. Aber das ist keine besondre Wißenschaft, sondern muß an alle dem, was gelehrt wird, gelernt, und ausgeübt werden. Und schon in dieser Rüksicht ist es nöthig auch mit dem Frauenzimmer einige Wißenschaften zu treiben – sollte man sie auch nur als Mittel zur Entwikelung, und Übung des Verstandes, als Materie betrachten, woran sich der Geist in der Arbeit übe. - - Aber diese Mittel können auch an sich wahren reellen Nutzen stiften. – Es ist einem Frauenzimmer sehr anständig von den Gegenständen in der Natur, die sie umgeben, und von den Wirkungen derselben auf unsern Vortheil oder Nachtheil einige Begriffe zu haben, um sich vor den gewöhnlichen Vorurtheilen, vor ungegründeter Furcht, vor Aberglauben, hüten zu lernen. Es könnte ihm sehr dienlich sein – etwa durch die Geschichte – einige Anleitung zur Menschenkenntniß zu erhalten, um diese, mit denen sie doch einst leben muß, bestimmter zu fixiren, geschikter zu behandeln, richtiger, gelinder, und liebevoller beurtheilen zu lernen. Es könnte ihm nicht schaden von der bürgerlichen Verfaßung der gegenwärtigen Welt etwas Kenntniße zu haben, um am Gespräche der Männer, ohne Furcht sich zu compromittiren, Antheil nehmen, und einige leere Stunden mit nützlicher Lektüre angenehmer ausfüllen zu können.“ 2)
Fichtes Einstellung zur Stellung der Frau wird auch im Folgenden deutlich. So heißt es in „Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre“ (1796):
„§ 16
In dem Begriffe der Ehe liegt die unbegrenzteste Unterwerfung der Frau unter den Willen des Mannes; nicht aus einem juridischen, sondern aus einem moralischen Grunde. Sie muss sich unterwerfen um ihrer eigenen Ehre willen. - Die Frau gehört nicht sich selbst an, sondern dem Manne. Indem der Staat die Ehe, d. i. gerade dies ihm wohlbekannte, nicht durch ihn, sondern durch etwas Höheres als er, begründete Verhältnis anerkennt, thut er Verzicht darauf, das Weib von nun an als eine juridische Person zu betrachten. Der Mann tritt ganz an ihre Stelle; sie ist durch ihre Verheirathung für den Staat ganz vernichtet, zufolge ihres eigenen nothwendigen Willens, den der Staat garantiert hat. Der Mann wird ihre Garantie bei dem Staate; er wird ihr rechtlicher Vormund; er lebt in allem ihr öffentliches Leben; und sie behält lediglich ein häusliches Leben übrig. Die Garantie des Mannes für die Frau versteht sich von selbst, denn sie folgt aus der Natur ihrer Verbindung; ihre Grenzen werden wir tiefer unten sehen. - Jedoch kann es nicht undienlich seyn, dass er sie noch besonders erkläre, ausdrücklich sich zum Bürger für dieses Weib einsetze. Man kann das Ja des Mannes bei der Trauung als die Zusicherung dieser Garantie ansehen, und nur unter dieser Bedingung erhält es einen Sinn.
§17
Im Begriff der Ehe liegt, dass die Frau, die ihre Persönlichkeit hingiebt, dem Manne zugleich das Eigenthum aller ihrer Güter und ihrer ihr im Staate ausschließlich zukommenden Rechte übergebe. Indem der Staat eine Ehe anerkennt, anerkennt und garantiert er zugleich dem Manne das Eigenthum der Güter seiner Frau - nicht gegen die Frau; denn mit dieser ist der Voraussetzung nach kein Rechtsstreit möglich, sondern gegen alle übrigen Bürger. (...)
§18
Es bedarf keiner Gesetze des Staates, um das Verhältnis der Eheleute unter einander zu ordnen; es bedarf ebensowenig der Gesetze, um das Verhältniss beider gegen andere Bürger zu ordnen. (...) Wie der Staat die Eheleute ansieht, als eine juridische Person, deren äusserlicher Repräsentant der Mann ist und ihre Vermögen als ein Vermögen: so ist jeder einzelne Bürger verbunden, sie gleichfalls anzusehen. Bei Rechtsstreitigkeiten hat jeder sich an den Mann zu halten; unmittelbar mit der Frau kann keiner etwas abzumachen haben. Alles, was daraus folgt, ist die Schuldigkeit der Eheleute, ihre Ehe unter denen, mit welchen sie zunächst zu thun haben.
§ 19
Ursprünglich, d. i. der blossen Naturanlage nach, geht der Mann allerdings auf Befriedigung des Geschlechtstriebes aus. Wenn er aber entweder vor der Ehe durch Nachdenken und Belehrung, und in dem wirklichen Umgange mit ehrwürdigen Personen des weiblichen Geschlechts (besonders an seiner Mutter), lernt, dass im Weibe Liebe wohne, und sie nur aus Liebe sich ergeben solle, so veredelt sich auch bei ihm der blosse Naturtrieb. Auch er will nicht mehr bloss geniessen, sondern er will geliebt seyn.“ 3)
1813 erkrankte Fichtes Frau Johanna an Lazarettfieber, das sie sich bei der Pflege von verwundeten Soldaten zugezogen hatte. Sie genas, aber Fichte hatte sich angesteckt und starb daran am 29. Januar 1814.
Beide wurden auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben. Sein Grabmal ist eine hohe Stele, darauf ein Porträt. Daneben steht ein halb so hoher Grabstein für Fichtes Ehefrau. Darauf steht: „Zur Seite ihres Gatten ruht Johanna Marie Fichte, geb. Rahn. 15. März 1755. Ihm nachgefolgt am 24.ten Januar 1819. Innig fromm hochherzig guthe die würdigste Gefährtin eines solchen Gatten“.
Fichte und Antisemitismus
Im Werk Fichtes finden sich diverse despektierliche Äußerungen über Juden, die in der Fachliteratur als „judenfeindliche Ausfälle“ und „antijüdischer Affekt“ bezeichnet werden. Eine Kommission, die sich mit Straßennamen in Freiburg befasste, erklärte zu Fichte: „Wie seine Zeitgenossen Arndt [Arndtstraße] und Jahn [Jahnring] galt Fichte als patriotischer Vorkämpfer für die ‚nationale Sache‘ und wurde als Propagandist eines starken deutschen Nationalstaates verehrt. Ein Großteil der Deutschen teilte während der napoleonischen Zeit die nationalistischen und antifranzösischen Ideen Fichtes. Seine starken antijüdischen Ressentiments zeigten sich vor allem in seinen Berichten über die Französische Revolution (später weniger) und er gilt als Urheber der judenfeindlichen Verwendung des Ausdrucks vom ‚Staat im Staate‘. Seit dem Kaiserreich und im Nationalsozialismus wurden Fichtes Ideen, insbesondere die ‚Reden an die deutsche Nation‘ (1808) wegen ihrer nationalistischen und antisemitischen Ausrichtung vereinnahmt. ‚Fast durch alle Länder Europas verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen in beständigem Kriege steht, und der in manchen fürschterlich schwer auf die Bürger drückt; es ist das Judenthum [...]. Menschenrechte müssen sie haben [...]. Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel als das: in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee steckt. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.‘ (Johann Georg Fichte: Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution, 1793).“ Die Kommission gab die Empfehlung, ein Erläuterungsschild am Straßennschild anzubringen mit folgender Erklärung: Johann Gottlieb Fichte (1762-1814). Nationalistischer Philosoph und erklärter Gegner Frankreichs.“ 4)

Die Straßennamenkommission in Saarbrücken, in der es auch eine Fichtestraße gibt, schreibt über Fichte und seinen Antisemitismus: „Herausragender Philosoph mit stark nationalistischer Perspektive, geprägt durch die Befreiungskriege. (…) Es gibt antisemitische Äußerungen von Fichte. Besonders drastisch äußert er sich in ‚Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums‘ über die Französische Revolution von 1793. Er greift darin sowohl die Juden an, als auch das Militär und den Adel. Das Judentum sei ein ‚Staat im Staate‘ und würde sich absondern. Die Juden, körperlich schlaff, hätten einen egoistischen Handelsgeist. Sie würden die übrigen Bürger übervorteilen, seien nur auf sich und ihre Sippe bedacht. Fichte übernimmt größtenteils die damals vorherrschenden Vorurteile, prangert aber vor allem immer wieder die angeblich separatistische Einstellung dieser Religion an. Im Werk Fichtes finden sich diverse despektierliche Äußerungen über Juden, die in der Fachliteratur als ‚judenfeindliche Ausfälle‘ und ‚antijüdischer Affekt‘ bezeichnet werden. Micha Brumlik etwa ist der Ansicht, Fichtes Positionen beinhalteten sowohl christlich-philosophischen Antijudaismus als auch politisch-säkularen Antisemitismus, und verglich letzteren mit dem von Adolf Hitler sogenannten ‚Antisemitismus der Vernunft‘, der einen notwendigen, vollständigen Ausschluss der Juden aus einer zu schaffenden, besseren Gesellschaft propagierte. In der Sekundärliteratur finden sich allerdings auch differenziertere Einschätzungen, insbesondere wenn das Gesamtwerk Fichtes betrachtet wird. Als Rektor der Berliner Universität trat er kompromisslos und gegen allgemeinen Widerstand für einen zu Unrecht vom Senat der Universität bestraften und mit Relegation bedrohten jüdischen Studenten ein.
Bewertung/Votum des Stadtarchivs, Hr. Dr. Herrmann: Beibehaltung mit Erläuterung.
Wie im Falle von Ernst Moritz Arndt und Clemens von Brentano ist es problematisch, an Fichte unsere heutigen Maßstäbe anzulegen. Auch der Ansatz Brumliks, eine Art Kontinuitätslinie von Fichte zu Hitler zu ziehen ist umstritten. Fichtes Antisemitismus und sein Franzosenhass sind in erster Linie ein Reflex auf die Französische Revolution und ihr Ausgreifen auf das Rheinland. Sein Nationalismus erklärt sich aus der Abwehr gegenüber Frankreich und durch Exklusion von Juden, die der französische Staat gleichgestellt hatte. Der Philosoph Manfred Kühn setzte sich mit Fichte kürzlich auseinander und zeigt das vielseitige aber auch widersprechende Bild von Fichte. Fichtes ‚Reden an die deutsche Nation‘ wirken wie eine Überhöhung der deutschen Sprache und der deutschen Kultur und sicherlich dürfte der Nationalismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts davon beeinflusst worden sein. Andererseits sieht Kühne auch demokratische Züge und bewertet ihn nicht als Antisemiten des 20. Jahrhunderts.
Jacobs würdigte Fichte als einen der bedeutendsten deutschen Philosophen. Vorsicht ist vor einer Überzeichnung des Nationalistischen geboten, dachte Fichte doch über eine Weltregierung nach. Vorsicht ist ebenso geboten, ihn in eine Entwicklungslinie hin zum Nationalsozialismus zu stellen, war Fichte doch von der Demokratie überzeugt.
Abschließend ist zu bemerken: Ja, Fichte hat judenfeindliche Zitate hinterlassen, sie stehen aber deutlich hinter der Schärfe entsprechender Äußerungen seiner Zeitgenossen Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn. Zutreffend ist auch, dass die Antisemiten des 19. und 20. Jahrhunderts sich gerne darauf berufen haben. Um das zu bewerten, ist aber auch daran zu erinnern, dass Fichte freundschaftliche Kontakte zu Juden pflegte, die Haskala bzw. die jüdische Aufklärung kannte und schätzte. Er setzte sich in Berlin für einen jüdischen Studenten ein und verlor daraufhin sein Rektorat an der Universität. Er war der erste Rektor der 1810 gegründeten Berliner Universität (Vorläufer der Humboldt-Universität).
Voten der Vertreter*in des Bezirksrates: Beibehaltung mit Erläuterung: (6).“ 5)