Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Jakob-Kaiser-Straße

Bergedorf/Lohbrügge (1980): Jakob Kaiser (8.2.1886 Hammelburg – 7.5.1961 Berlin), Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Gewerkschafter.


Siehe auch: Leuschnerstraße
Siehe auch: Habermannstraße
Siehe auch: Goerdelerstraße

Jakob Kaiser war der Sohn von Elisabeth Kaiser, geb. Zwecker und des Buchbindermeisters und Stadtkämmerers Johann Kaiser. Auch Jakob Kaiser, der im katholischen Glauben erzogen worden war, wurde Buchbinder und engagierte sich schon bald gewerkschaftlich. „Nach Ausbildung in einem ‚Großen Kurs‘ beim ‚Volksverein für das katholische Deutschland‘ in Mönchen-Gladbach wurde er 1912 Sekretär des Kölner Kartells der Christlichen Gewerkschaften. Diese Tätigkeit wurde nach Unterbrechung durch Kriegsdienst als Infanterie-Unteroffizier (bis zu einer 2. schweren Verwundung) 1917 wieder aufgenommen.

K. unterstützte 1915-20 Heinrich Brauns und Adam Stegerwald in ihrem Ziel, die Zentrumspartei zu einer überkonfessionellen christlich-sozialen Volkspartei auszuweiten. (…) K. war seit 1919 im Generalsekretariat und im Vorstand der Christlichen Gewerkschaften in Berlin, seit 1924 außerdem als Landesgeschäftsführer für Rheinland und Westfalen in Köln, als stellvertretender Vorsitzender des rheinischen Zentrums und (seit 1928) im geschäftsführenden Reichsvorstand des Zentrums tätig,“ 1) heißt es in der Neuen Deutschen Biographie.

In Kaisers politischer Grundeinstellung „stachen der nationale und der soziale Zug hervor. Vaterländische Gesinnung und Religion galten ihm alles, dabei zeigte er einen Hang zum Pathos und zu preußisch-soldatischer Haltung. Als ausgeprägter Monarchist begegnete er der Weimarer Republik zunächst mit Skepsis, bekannte sich aber seit Mitte der 1920er Jahre offen zu ihr. Gesellschaftspolitisch stand er fest auf dem Boden der katholischen Soziallehre. Als christlicher Gewerkschafter und katholischer Zentrumsmann sah er seine Hauptaufgabe darin – wie er später einmal gegenüber Konrad Adenauer formulierte –, ‚die Arbeiterschaft aus den Kellerräumen der Gesellschaft in die Volksordnung‘ zu holen; hier wird der ausgeprägte Wunsch nach einer national-sozialen Synthese klar erkennbar. Kaiser suchte einen Mittelweg zwischen individualistischem Kapitalismus und marxistisch-kollektivistischem Sozialismus. ‚Die katholische Ethik und der Geist des gewerkschaftlichen Sozialismus‘ bestimmten sein Denken (Hacke, 49). Er hatte schon sehr früh die Idee einer überkonfessionellen, christlich-sozial und national orientierten, undogmatisch-sozialistischen Partei nach dem Muster der englischen Labour Party vor Augen. Er war überzeugt, dass nur eine solche Partei das zersplitterte deutsche Parteienwesen konsolidieren, einen starken, demokratisch verfassten Staat garantieren und dem klassenkämpferischen Marxismus Einhalt gebieten könne. Mit solchen sozialpolitischen Vorstellungen gehörte Kaiser zum linken Flügel des Zentrums,“ 2) schreibt Manfred Agethen in seinem Porträt über Jakob Kaiser.

1916 hatte Jakob Kaiser, der damals Landesgeschäftsführer der christlichen Gewerkschaften Deutschlands war, Elfriede Nebgen (11.4.1890 Hildesheim – 22.10.1983 Berlin) kennengelernt. Damals studierte sie, die zuvor nach dem Abschluss des Lehrerinnen- Seminars als Lehrerin gearbeitet hatte, an der Universität Münster Nationalökonomie. Sie interessierte sich für christliche Gewerkschaftsarbeit, nachdem sie mit Adam Steigerwald, dem Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften, in Kontakt gekommen war. „1921 promovierte sie mit dem Thema Arbeit an der Synthese von Sozialismus und Katholizismus.“ 3)

Elfriede Nebgen wurde Jakob Kaisers politische Weggefährtin und später seine zweite Ehefrau.

1918, im Alter von 30 Jahren, hatte Kaiser Therese Mohr (1889–1952) geheiratet und bekam mit ihr eine Tochter. In dieser Zeit nahm Kaisers politische Karriere seinen Lauf. Anfang der 1920-er Jahre zog Kaiser nach Berlin. Seine Ehefrau blieb in Köln.

„Im Herbst 1921 zog Nebgen nach Berlin und arbeitete als Referentin im Vorstand der christlichen Gewerkschaften. (…). Auf die Grundgestaltung der christlichen Gewerkschaftsarbeit nimmt sie zunehmend Einfluss. So formulierte sie 1923 und 1928 Die geistigen Grundlagen der christlich-nationalen Arbeiterbewegung, gründete und leitete den Zentralwohlfahrtsausschuß der christlichen Arbeiterbewegung (später: Christliche Arbeiterhilfe). (…) Mit dem Umzug nach Berlin begann auch eine ‚intensive geistig-politische Partnerschaft‘ mit Jakob Kaiser. Mit ihm zusammen warb sie ab 1930 gegen eine Gefahr von rechts,“ 4) heißt es im Wikipedia-Eintrag zu Elfriede Nebgen.

Bei der Reichstagswahl im März 1933 wurde Kaiser „für das Zentrum noch ins Parlament gewählt, dem er dann bis November 1933 angehörte.“ 5)

Kaiser „zählte dort zu jenen Zentrumsabgeordneten, die sich gegen innere Überzeugung der Fraktionsmehrheit beugten und am 24. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmten, das einer Selbstentmachtung des Parlaments gleichkam; er hat dies später immer als schwere moralische Schuld empfunden (Kosthorst, 172). Kaiser erkannte von Anfang an den verbrecherischen Charakter der nationalsozialistischen Bewegung, hoffte aber eine Zeitlang wie Reichskanzler Brüning, die Nationalsozialisten in der Regierungsverantwortung ‚zähmen‘ zu können. Als ein Mittel dazu sah er den Zusammenschluss der großen demokratischen Richtungsgesellschaften und organisierte zu diesem Zweck zusammen mit bedeutenden Gewerkschaftsführern wie Wilhelm Leuschner [Leuschnerstraße], Ernst Lemmer und Max Habermann [Habermannstraße] den sog. ‚Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften‘ (Mayer, 2004, 325). Doch schon Anfang Mai 1933 gliederte Hitler die freien Gewerkschaften zwangsweise in die ‚Deutsche Arbeitsfront‘ ein; jegliche weitere Gewerkschaftstätigkeit war damit verboten.
Kaisers berufliche Aufgabe bestand fortan darin, Versorgungsansprüche der ehemaligen Gewerkschaftsangestellten gegenüber dem NS-Staat geltend zu machen. Er kam dabei viel im Reich herum und hatte Gelegenheit, ‚ein breit gefächertes Netz von Widerstandskreisen aufzubauen‘ (Mayer, 2004, 325),“ 6) so Manfred Agethen.

„Bereits vor der Zerschlagung der christlichen Gewerkschaften [waren Kaiser und Nebgen] auf Distanz zum Dachverband, der sich immer offener mit dem neuen Regime arrangierte“, 7) gegangen. „Zusammen mit Jakob Kaiser ging sie in den Widerstand und knüpfte Kontakte zu den verschiedenen Widerstandsgruppen. Engagiert war sie im Goerdeler-Kreis.“ 8) (siehe: Goerdelerstraße). Auch Jakob Kaiser hatte zu diesem Kreis Kontakt.
Wegen des Verdachtes hochverräterischer Betätigung kam Kaiser 1938 für mehrere Monate in Gestapo-Haft. „Nach 1941 setzte er seine Widerstandstätigkeit in Zusammenarbeit mit Carl Friedrich Goerdeler und führenden Männern der Militäropposition fort.“ 9)

Nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 und der Verhaftung von Goerdeler, Leuschner (siehe: Leuschnerstraße) und anderen tauchte Kaiser vor der Verfolgung durch die Gestapo unter. Mit Hilfe seiner politischen Weggefährtin und späteren Ehefrau Elfriede Nebgen und der Unterstützung durch die Gewerkschafterin und CDU-Mitglied Mina Amann (31.12.1893 Hamburg-Bergedorf – 13.9.1966) sowie der Gewerkschafterin Clara Sahlberg (3.7.1890 Rixdorf/Berlin – 13.4.1977 Fleisbach) konnte sich Kaiser in einem Keller in Babelsberg verstecken. Dort harrte er bis Kriegsende aus, 10) ist auf der Website der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zu lesen.

Kaiser „überlebte als einziger aus dem engeren Kreis des gewerkschaftlichen Widerstands in Berlin. Seine Frau Therese und die ältere Tochter Elisabeth kamen in Sippenhaft. Ebenfalls inhaftiert wurden die Geschwister seiner Frau.“ 11)

Therese Kaiser war, als Jakob Kaiser nach Berlin gezogen, mit der Tochter in Köln geblieben. Als die Bombenangriffe immer stärker wurden, zog sie zu ihrem Bruder Josef nach (Neuwied)-Irlich. Dieser lebte dort mit seiner Familie und arbeitete als Werkzeugmacher.

Anfang August 1944 besuchte Jakob Kaiser seine Frau und Tochter in Irlich. Doch die Gestapo war hinter ihm her. So dauerte der Besuch nicht lange und Kaiser fuhr noch am selben Tag nach Berlin zurück. „Am nächsten Tag ist die Gestapo in Irlich und sucht nach Jakob Kaiser. Da man ihn nicht findet, nimmt man seine Frau und seine Tochter Elisabeth fest“, 12) heißt es auf der Website des FÖRDERVEREIN MAHNMAL FÜR DIE OPFER DES NATIONALSOZIALISMUS IN KOBLENZ E.V. Hier wird auch über den weiteren Leidensweg von Therese Kaiser, ihrer Tochter und ihrem Bruder sowie ihrer Schwägerin berichtet: „Persönlich kann man den beiden [Therese Kaiser und ihrer Tochter, R. B.] nichts vorwerfen, selbst die Nazis finden keinen noch so fadenscheinigen Vorwand für ihre Inhaftierung. Deshalb kommen sie in ‚Sippenhaft‘. Therese und Elisabeth Kaiser werden zunächst im Gefängnis Neuwied, dann in Koblenz inhaftiert. Die Schwägerin Käthe versorgt sie auch in dieser sehr harten Zeit.

6. November 1944 Schwere alliierte Bombenangriffe zerstören u.a. das Gefängnis in Koblenz. Dies und das sich anschließende Chaos nehmen Therese Kaiser und ihre Tochter Elisabeth zum Anlass zu fliehen. Sie kehren zu den Mohrs zurück. Um aber nicht als Flüchtige zu erscheinen, melden sie sich der guten Ordnung halber polizeilich in Irlich an.

27. November 1944 Die Koblenzer Gestapo nimmt Therese und Elisabeth Kaiser sowie auch die Eheleute Peter und Käthe Mohr als ‚Sippenhäftlinge‘ fest.

Anfang Dezember 1944 Alle vier bringt man nach Berlin, die Frauen in Einzelhaft ins Frauengefängnis nach Moabit, Sepp Mohr in das Zellengefängnis in der Lehrter Straße. Es folgen pausenlose Verhöre und Erniedrigungen. Die Gestapobeamten sagen: Wir werden mit Ihnen Schlitten fahren und Sie sind die Kufen!

März 1945 Mit anderen ‚Sippenhäftlingen‘ kommen die vier ins KZ Buchenwald. Dort werden bereits ‚Sippen- und Sonderhäftlinge‘ gefangen gehalten.

3. April 1945 Peter und Käthe Mohr, Therese und Elisabeth Kaiser werden mit diesen ‚Sippen- und Sonderhäftlingen‘ in Richtung Süden verschleppt.

Ende April 1945 Vom KZ Dachau geht der Transport mit 139 Häftlingen aus 21 Nationen weiter nach Innsbruck und nach Südtirol. Dort im Dorf Niederdorf und im leer stehenden Hotel Pragser Wildsee werden die vier und die anderen Häftlinge befreit.“ 13)

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus „knüpfte K. in Berlin an die Pläne einer Einheitsgewerkschaft an und beteiligte sich für die Christlichen Gewerkschaften an der Gründung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Zwar blieb er der Gewerkschaftsbewegung, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung im Rheinland und in Westfalen, weiterhin eng verbunden. Doch verlagerte sich seine Tätigkeit seit Juni 1945 zunehmend auf die Partei- und Nationalpolitik. Er gehörte zum Gründerkreis der am 10.7.1945 von der Sowjetischen Militär-Verwaltung (SMA) genehmigten Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDUD), deren Vorsitz er nach der Absetzung des Gründungsvorsitzenden Andreas Hermes durch die Sowjets Ende Dezember 1945 für Berlin und die Sowjetzone übernahm. K. führte die rasch wachsende Partei in einem betont gesamtdeutschen und sozialpolitischen Sinne (Schlagworte: Deutschland als ‚Brücke‘ zwischen West und Ost sowie ‚Christlicher Sozialismus‘). Er geriet damit in einen scharfen Gegensatz zu Konrad Adenauer [Adenauerallee], der zu den beiden Parteitagen der CDUD in Berlin 1946 und 1947 nicht erschien. K.s Bemühungen um die deutsche Einheit gipfelten im Vorschlag einer ‚Nationalen Repräsentation‘ von Vertretern der deutschen Parteien als ‚erste Stufe einer gesamtdeutschen Vertretung des Volkes‘ (März 1947). Die Verwirklichung des Plans scheiterte vor allem an der Weigerung Kurt Schumachers [siehe: Kurt-Schumacher-Allee] für die SPD, mit Kommunisten gemeinsam zu handeln. K.s Versuche, Schumacher umzustimmen, blieben erfolglos.“ 14)

Unterstützt wurde er stets von Elfriede Nebgen, die mit ihm in die sowjetische Besatzungszone gezogen war, um dort den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) und die Christlich-demokratische Union Deutschlands (CDUD) mit aufzubauen.

Doch als „Die Basis für seine [Jakob Kaiser] nationale Politik der ‚Brücke‘ (…) immer aussichtsloser, der Druck der SMA und der SED auf die CDUD im Zeichen sogenannter ‚Block-Politik‘ immer härter. K. [wurden] nahm [Kaiser] im Juli 1947 mit einer scharfen Rede gegen Freiheitsberaubung und ‚Überrumpelung‘ durch die Besatzungsmacht den Kampf offen auf und trieb damit auch seinerseits auf den unerwünschten, aber unvermeidlichen Bruch zu. Seine Weigerung, an dem von der SED organisierten ‚Deutschen Volkskongreß‘ am 6./7.12.1947 in Berlin teilzunehmen, wurde zum Anlaß dafür, daß die SMA ihm die Tätigkeit als Parteiführer in ihrer Zone untersagte. K. war damit politisch der Boden entzogen; die Ostzonen-CDU wurde gleichgeschaltet.“ 15)

Jakob Kaiser und Elfriede Nebgen verließen die sowjetische Besatzungszone und siedelten in den Westen über.

„Als einer der Berliner Abgeordneten im Parlamentarischen Rat (1948/49) wirkte er an der ‚Notlösung‘ einer vorläufigen ‚deutschen Ordnung‘ mit. Im Sommer 1949 übernahm er die Führung der Sozialausschüsse der CDU/CSU. (…).“ 16) Elfriede Nebgen war fortan „für Jakob Kaiser auf dessen politischem Lebensweg in der Bundesrepublik tätig und engagierte sich in der Christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).“ 17)

Jakob Kaiser setzte sich in der CDU für die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien ein. Von 1949 bis 1957 amtierte Kaiser als Minister für gesamtdeutsche Fragen. „Er gehörte zu den führenden Köpfen des am 17. Juni 1954 gegründeten Kuratoriums Unteilbares Deutschland. (…) 1950 bis 1953 und 1956/57 war er ständiger Vertreter des Bundeskabinetts im Ältestenrat des Bundestages. 1950 bis 1958 war er einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU.“ 18)

In dieser Zeit, 1952, starb Kaisers Ehefrau. Ein Jahr nach ihrem Tod heiratete der 67-jährige Witwer die damals 63-jährige Sozialwissenschaftlerin und christliche Gewerkschaftsführerin Elfriede Nebgen.