Kroosweg
Harburg (1950): nach der Harburger Kaufmannsfamilie Kroos. Diese rief mehrere Stiftungen ins Leben.
Siehe auch: Mergellstraße
Vor 1950 hieß die Verkehrsfläche seit 1872 Karlstraße. Laut Horst Beckershaus und Adalbert Holtz und Horst Homann soll der bedeutendste Vertreter der Familie Kroos der Kommerzienrat und Vorsitzende (seit 1873) der Handelskammer Harburg, Gerhard Friedrich Kroos (22.8.1826 Lübeck – 28.4.1897 Harburg) gewesen sein. 1) Wer am bedeutendsten ist, hängt immer vom Betrachtungswinkel ab. Adalbert Holtz und Horst Homann weisen zwar auf das Altersheim „Marie-Kroos-Stiftung“ hin, gehen aber auf Marie Kroos nicht ein. Stattdessen erwähnen sie nur den Erbauer des Altersheims, den Neffen, „Ministerialdirigent a. D. Georg Narten, Sohn des Erbauers der ‚Alten Harburger Elbbrücke‘ (siehe Nartenstraße)“ 2). Was unter „Erbauer“ zu verstehen ist, wird nicht näher erklärt.
In dieser Datenbank soll der Blick auf Marie Kroos gerichtet sein. Die Kaufmannstochter Marie Kroos ((10.2.1863 Harburg - 11.6.1955 Hamburg), geboren in der Harburger Blohmstraße 20, gründete 1903 den „Deutschen Evangelischen Frauenbund“ in Harburg, der sich u. a. um die Weiterbildung von Frauen aus der Arbeiterschicht, die Betreuung von Kindern werktätiger Mütter und um die Rechte der Frauen kümmerte. So entstanden eine Rechtsschutzstelle für „unbemittelte“ Frauen und Weiterbildungskurse für Arbeiterinnen. Auch wurde 1906 das evangelische Kinderheim „Margaretenhort“ in der Nöldekestraße erbaut, in dem bis zu 150 Kinder werktätiger Mütter betreut wurden. Ebenso wurde hier eine Rechtsschutzstelle für Frauen mit geringem Einkommen und Weiterbildungskurse für Arbeiterinnen eingerichtet.

Da Marie Kroos unverheiratet und vermögend war - sie lebte mit ihrer Schwester in der Familienvilla - konnte sie sich ganz ihrem frauenpolitischen und karitativen Engagement widmen. Um die Not der Arbeiterschaft zu lindern, initiierte sie eine „Arbeiterinnenküche“. Hier gab es für geringes Geld Frühstück und Mittagessen. Außerdem wurden eine Volks- und Jugendbibliothek, Schularbeitenhilfe und ein Gebrauchtwarenmarkt für Frauen aus der Arbeiterschaft eingerichtet.
Marie Kroos wollte, dass Frauen mehr politischen Einfluss erhielten. „Als Leiterin einer Studienkommission befasste sie sich mit arbeitsrechtlichen Fragen, der Wohnungsreform und der Analyse des Jugendschutzes und der Jugendfürsorge. Um die Multiplikatoren des neuen Bildes einer selbstbewußten und selbstbestimmten Frau zu gewährleisten, setzten sich die Frauen [des evangelischen Frauenbundes Harburg] für die weibliche Leitung an höheren Mädchenschulen und die bedingte Zulassung von Mädchen an höheren Knabenschulen ein.“ 2)
Die Harburger Gruppe des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes lud auch einmal Anita Augspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (siehe: Heymannstraße) ein, um sich mit ihnen über die Ziele und Forderungen der Frauenbewegung auszutauschen. Emmy Unbehagen schilderte dies in ihren Erinnerungen: „Wir hatten in dem alten Zettel’schen Bahnhof die Führerinnen der deutschen Frauenbewegung, sechs oder sieben Damen, bei uns zu Gast. Ich erinnere mich noch deutlich an Frau Lida Gustava Augusta Heymann aus Hamburg und an Dr. Anita Augsprug aus Berlin, die Berühmte, fast könnte man schon sagen ‚Berüchtigte‘ in der bekannten Aufmachung: Patelot im Herrenschnitt, dazu Herrenhut und darunter kurzgeschnittenes Haar. Man denke: kurzgeschnittenes Haar! Zu einer Zeit, wo wir noch mit langen Schleppröcken die Straße fegten und uns mit wagenrad-großen Hüten und weißen Schleiern präsentierten. Nun, das Programm dieser Damen war für unseren evangelischen Frauenbund doch zu fortschrittlich. Fräulein Kroos hat sicher entschieden abgewinkt, denn ich habe diese Damen nie wieder bei uns gesehen.“ 3)
Marie Kroos befasste sich auch mit Jugendschutz und Jugendfürsorge und forderte, dass Frauen die Leitung an höheren Mädchenschulen bekommen und Mädchen an höheren Knabenschulen zugelassen werden.
Im Alter von 70 Jahren legte Marie Kroos den Vorsitz im Deutschen Evangelischen Frauenbund Harburg nieder. Während der NS-Zeit lebte sie sehr zurückgezogen. Nach Ende des Krieges hatte sie ihr Vermögen verloren, ihr Haus war abgebrannt. Von nun an lebte sie bei ihren Verwandten, der Familie Thörl (siehe: Thörlstraße).
Zeit ihres Erwachsenenlebens hatte Marie Kroos davon geträumt, einmal ein Damenstift zu gründen für kulturell und sozial engagierte Frauen des Bürgertums. Doch es standen immer wieder andere dringlichere soziale Aktivitäten auf dem Plan. 1948 beschlossen Frauen des Deutsch Evangelischen Frauenbundes, Marie Kroos ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Es wurde zwar kein Damenstift gegründet, dafür aber ein Altersheim, für das Marie Kroos den Rest ihres Vermögens gab. Am 31.3.1955 wurde das Marie-Kroos-Stift am Ehestorfer Weg eingeweiht, drei Monate später starb Marie Kroos.

In einer Traueranzeige des deutschen Evangelischen Frauenbundes hieß es: „Begabt mit einem männlichen Geist, gepaart mit der Kraft weiblicher Güte, an der Grenze menschlicher Weisheit stehend, war sie uns bis in ihre letzten Lebenstage Führerin und Vorbild einer christlich-sozialen Persönlichkeit.“
Text: Rita Bake