Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Baggesenstieg

Poppenbüttel (1947): Jens Baggesen (15.21764 Korsor/Seeland – 3.10.1826 Hamburg), Dichter, Freimaurer


Bereits in der NS-Zeit wurde der Baggesenstieg als neuer Straßenname (alter Straßenname: Graf-Spee-Straße, Admiral. Motivgruppe: Namen aus dem Ersten Weltkrieg: Marine) in der Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt. Die Liste wurde im Hamburger Adressbuch von 1943 veröffentlicht und listet alle in der NS-Zeit umbenannten Straßen auf, auch diejenigen, bei denen die konkrete Umbenennung noch nicht vollzogen wurde. Bereits umbenannte Straßen wurden mit einem Stern gekennzeichnet.

Nach der Einführung des Groß-Hamburg-Gesetzes im Jahre 1937, durch das z. B. Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Rahlstedt, Bramfeld, Lohbrügge und andere Gebiete, die heute Hamburger Stadtteile sind, nach Hamburg eingemeindet wurden, ergaben sich bei den Straßennamen häufig Doppelungen.

Viele der für eine Umbenennung in Frage kommenden alten Straßennamen wurden in der NS-Zeit aber nicht mehr umbenannt. Eine Umbenennung nach den 1943 aufgelisteten neuen Straßennamen erfolgte für diverse Straßennamen dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. So wurde der Baggesenstieg 1947 benannt.

Die Umbenennung - wie auch andere Umbenennungen - erfolgte auf Anweisung der britischen Militärregierung, denn „vor dem Hintergrund der veränderten politischen Landschaft gerieten die sogenannten ‚militärischen‘ Namen erstmals ins Blickfeld. Die Umbenennung dieser Namensgruppe wurde durch eine ausdrückliche Anweisung der Militärregierung veranlaßt und stellte die zweite Welle von politisch motivierten Umbenennungen der Nachkriegszeit dar. Im Jahre 1946 gab es nach einer Aufstellung des Bauamtes 145 Straßen, die nach ‚Militärpersonen, militärischen Ereignissen und militärischen Einrichtungen‘ benannt worden waren. Etwa 18 davon waren in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 entstanden. (…). Der Senat erörterte dieses Thema in seiner Sitzung am 22. Januar 1946. Man betrachtete lediglich 37 Namen als nicht akzeptabel, darunter 28 Namen von Generälen und Admirälen und einigen militärischen Einrichtungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Sie wurden im Laufe der nächsten zwei Jahre umbenannt.“ (Siehe auch unter Kriegerdankweg und Paul-Bäumer-Brücke). (Bericht über Umbenennungen von Straßennamen in Hamburg seit 1918, März 1987, Staatsarchiv Hamburg, S. 16.)

Baggesen entstammte einer armen Familie. Seine Mutter Anna, geb. Möller, war die Tochter eines Schiffers, sein Vater war Kornschreiber. „So war Baggesen in seinem Leben oft auf Gönner angewiesen. Solche Umstände führen zwangsläufig dazu, gefallen zu müssen und zu wollen und einen bestimmten Ton zu pflegen, um das zu bekommen, was man benötigt für seinen Lebensweg,“ 1) schreibt Martin Abraham über den Schriftsteller Jens Baggesen. Und Jörg Siebels erwähnt über Baggesen: „In Dänemark zählt Jens Immanuel Baggesen zu den großen Erzählern des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. In Deutschland ist sein Werk eher unbekannt, obwohl sich Baggesen stets mit aller Kraft für das friedvolle Miteinander und den kulturellen Austausch zwischen Deutschen und Dänen eingesetzt hat. Der 1764 in Korsør geborene Schriftsteller war glühender Verfechter der europäischen Aufklärung und übernahm aus Verehrung für den deutschen Philosophen Immanuel Kant dessen Vornamen.“ 2)

Baggesen soll ein „Freund der Frauen“ gewesen sein – was immer auch darunter zu verstehen ist –„dessen Tag gerettet ist durch ein hübsches, weibliches Gesicht auf der Straße. Dabei hatte er ein äußerst hehres Liebesideal: Durch enthaltsame Schwärmerei die himmlische Liebe auf die Erde holen. Mit der verheirateten Frau Pram hatte er eine solche wild-platonische Beziehung. Allerdings zehrten diese keuschen Prinzipien auch an seiner Gesundheit. In der Schweiz lernte er dann seine erste Frau Sophie Haller kennen, die allerdings eine normale Ehe bevorzugte. Das entsprach dann auch dem ärztlichen Rat, der ihm gegeben worden war.“ 3)

Verheiratet war Jens Baggesen in erster Ehe seit 1790 mit Sophie von Haller (1767-5.5.1797 Kiel, gestorben an einem Lungenleiden). Das Paar hatte sich 1789 in Thun kennengelernt. Es wurde Eltern von zwei Söhnen, geboren 1793 und 1795. Sophie von Haller war die Enkelin des Schweizer Albrecht von Haller, Arzt, Naturforscher, Dichter und Wissenschaftspublizist.

In seinem Werk „Parthenäis“ sollen Baggesens Hauptfiguren Nordfrank und Myris an Baggesen selbst und Sophie von Haller angelehnt sein. Adrian Aebi schreibt darüber und über das Liebesverhältnis zwischen Baggensen und Sophie von Haller in der Online-Zeitschrift der SAGG 1/2002.

Über den Beginn dieser Liebe zitiert Adrian Aebi Baggensen wie folgt: „‘In dieser Lage [scil. verzweifelt über seinen Gesundheitszustand] sah' ich Fräulein Sophie von Haller, eine Enkelin von den [sic!] unsterblichen Haller, eine junge unschuldige überaus liebenswürdige Dame, mit ungewöhnlichen Talenten, die durch die vortrefflichste Erziehung in der besten Schweitzerischen Familie zu vollkommner Blüthe gereift sind. Wir wurden auf einer Reise auf den [sic!] Thuner See, wo sie in Begleitung des Herrn Schultheiss von Sinner mich [sic!] begegnete, bekannt. Ich wurde nachher in Ihrer vortrefflichen Familie mit unbeschreiblicher Artigkeit aufgenommen, so wie überhaupt in ganz Bern - und lernte sie dadurch näher kennen. Ich entdeckte bald die Harmonie unserer Denkungsart. Ich fühlte dass ich ohne Ihr [sic!] nimmer glücklich werden könnte - ich fühlte zum erstenmal die wahre, vernünftige, moralische Liebe, die nicht in der Phantasie, sondern in gesunden Köpfen und reinen Herzen keimt - und wurde todkrank.‘ (Schulz 1910, 5f.). Seine Heiratspläne eröffnend, fährt er dann fort: ‚Ich fühlte was ich war, und was ich werden könnte - ich fasste die ziemlich kühne Idee, fremd, ohne Titel und Character, ohne Vermögen, in dem vielleicht stolzesten Staate Europens, mich um eine freie Republicanerin, die ohnedem der Stolz ihrer Familie ist, zu bewerben.

Ich war schon ziemlich bekannt in Bern - man schätzte mich überall mehr als ich verdiente – (…) man fand mich in keinem wissenschaftlichen Gespräche ganz fremd - ernsthafter in meinem Betragen als ein Jüngling von meinem Alter zu seyn pflegt. (…) Kurz ich wurde - ich begreife nicht zu gut warum - in den ersten Familien Berns sehr geachtet und geliebt. Indessen war der Hrr. Landvogt von Haller ein alter sehr strenger Republicaner, und überhaupt alle Berner sehr strenge im Capitel von [sic!] Heiraten, weil selbige Vehikeln der Ehrenstellen, und der Rathsitzen sind. Ich entdeckte meinen Zustand und Gesinnung der Obristin v. Brown, Tochter von den [sic!] grossen Haller, und Gemahlin des Englischen Ministers hier, eine Tante von dem Fräulein - und eine äusserst vortreffliche Dame. Sie kannte mich - und nach und nach wurden alle Hindernisse überwunden- die ganze Familie einwilligte, wenn nur der alte Vater zu überreden wäre.‘ (Schulz 1910, 6f.) Ja, wenn nur der alte Vater zu überreden wäre. Damit gelangt Baggesen zum Anliegen seines Briefes. Denn der strenge Republikaner verlangt finanzielle Sicherheiten für seine Tochter, insbesondere die Vorsorge in einer Witwenkasse (vgl. Schulz 1910, 7). Es handelt sich also um einen Bittbrief, was bei der Beurteilung des Inhalts nicht unbeachtet bleiben darf. Aber auch bei Berücksichtigung dieses Faktums: Zeichen einer stürmischen Verliebtheit sind den Zeilen jedenfalls nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht Baggesen von ‚moralischer Liebe‘, deren Ideal später auch die ‚Parthenäis‘ beschwören wird. Das Nebeneinander von Mut und Verlangen nach männlichem Beistand und Schutz, welches die drei ‚Parthenäis‘-Schwestern charakterisiert, findet sich bereits im Bild, das Baggesen in der Korrespondenz von seiner Sophie zeichnet. Als eigenständige, mutige Frau wird sie in einem Brief an Reinhold dargestellt (datiert: Nürnberg, den 3. August 1793). Baggesen schildert hier einen Kutschenunfall im Thüringer Wald: ‚Der Kutscher verlor den Kopf, nur Sophie und ich nicht. Lotte, Juliane und der kleine zahnende Ernst weinten. Ich munterte sie auf, brachte Sophie mit vieler Noth aus dem Wagen; denn die Thüren liessen sich nicht öffnen. Sie zog Stiefeln an, gürtete sich ruhig, und entschloss sich mit beispiellosem Heldenmuth, allein den wilden, kothigen, unbekannten Waldbergwegvorauszugehen bis zum nächsten Dorf, um Hülfe zu suchen; denn ich durfte den Wagen und die lieben Wesen darin nicht verlassen. Den Fichtenwald hinauf und in diesen Berghöhen ist’s schrecklich düster - sie verschwand bald aus unseren Augen - mein Herz bebte vor Angst und Bewunderung.‘ (Baggesen 1831, I, 275) Eine ganz andere Seite von Baggesens Sophie-von-Haller-Bild erscheint in Briefen an die Gattin. Vom oben beschriebenen Mut zur Handlung ist dort nicht mehr viel zu spüren. In einem Brief, den Baggesen am 22. Dezember 1793 aus München an die kränkelnde Gattin in Bern richtet, herrscht ein bedeutend weniger heroischer Ton: ‚Sehne Dich also nicht mehr so traurig zurück nach Kopenhagen! Es ist wahr! Man kennt Deinen Werth dort ein wenig besser, man liebt Dich dort mehr ohne Rücksicht auf Ceremonien: aber - süsse Sophie! Auch ich kann urtheilen; und auch ich bin unpartheiisch: Die Schweizerliebe ist rauh; aber sie hält; sie ist eigentlich nicht Liebe, sondern Treue. (…) Vergesse nicht, lieber Engel, dass Kopenhagen auch, besonders in meiner Abwesenheit, seine Unannehmlichkeiten hat. (…) Halte Dich, wo Du bist, an Menschen, Die nichts nationales haben, die man sich eben so gut in Dänemark und Frankreich als in Bern oder Appenzell denken kann. Solche sind Deine Mutter, Deine Tante Zeerleder, Deine Grossmutter, alle Deine jungen Freundinnen, besonders Gritli und ihre Schwestern, Lotte Wieland, Stapfer, Salchi, Tralles und Rengger. Um Dich vollends über Deinen Aufenthalt zu erfreuen, so denke an die dort ganz einzige, unaussprechlich schöne, erhabene, lebendige Natur, die selbst im Winter schöner ist, als jede andre im Sommer – (…).‘ (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 34f.) Diese Zeilen zeichnen das Bild einer eher unselbstständigen, unsicheren, dafür aber sanften, engelhaften Frau, welcher der Gatte die Kommodität ihres Daseins - Natur, Freunde - vordozieren zu müssen glaubt. Ein Brief aus St. Urban vom 17. Mai 1790 rückt auch noch das Kindliche in den Rahmen dieser Charakterisierung ein: ‚Mache Dir also niemals ein gelehrtes Professorin-Gewissen darüber, wenn Du Dich bisweilen über Dinge, die, wie der Philosoph sagt, nicht eine Pfeife Tabak werth sind, bis zur Ausgelassenheit freuest! Wie zum Beispiel, wenn Du Pleyls Sonate fertig spielen kannst, oder wenn Du an einem kleinen Strümpfchen die letzte Masche strickest, oder wenn Du mich Dir eine Weile näher erfährst [sic!], oder wenn Du einen Blumenstrauss von Deiner Freundin bekommst, oder wenn Du ein neues französisches Wort auf able findest.‘ (Baggesen 1843-1856, I, Tilloeg, 108). Was Sophie von Haller aber, und damit kehre ich zurück zum Brief vom 22. Dezember 1793, noch mehr als die bevorstehenden Naturerlebnisse glücklich stimmen sollte, ist die Vorstellung, wie ihr Ehemann dann im März über die Alpen zu ihr zurückkehren wird. Baggesen schliesst mit einer emphatischen Beschwörung des ehelichen Glücks, die indessen unentschieden lässt, ob es eher seine Gattin oder sich selbst davon zu überzeugen gilt: ‚Wir sind glücklich, Sophie! unaussprechlich glücklich! ewig glücklich! denn wir lieben uns, wie nur wenige Selige lieben.‘ (Baggesen 1843-1856, II, Tilloeg, 37) Welcher Art diese seltene Liebe ist, bleibt hier offen. Eine Antwort lässt sich vielleicht in der ‚Parthenäis‘ finden.“ 4)

Nach dem Tod seiner Frau 1797 reiste Baggesen ein Jahr später mit seinen beiden Söhnen und der Schwiegermutter nach Paris, wo er sich mit Fanny Reybaz (1774-1822) verlobte, die er ein weiteres Jahr später heiratete. 1811 zog er mit seiner zweiten Ehefrau von Kopenhagen, wo er ein Amt in der Direktion des königlichen Theaters innehatte, nach Kiel, wo er eine Professur an die Universität Kiel bekam und dort bis 1813 als Professor für dänische Sprache und Literatur lehrte. 1813 kehrte er mit seiner Frau nach Kopenhagen zurück.

1820 starb seine zweite Ehefrau. Baggesen war verarmt und kam wegen Schulden ins Gefängnis. Er litt an Depression, die er versuchte in Kurbädern zu lindern.

„Am 3.10.1826 starb er in Hamburg auf der Reise von Paris nach Kopenhagen. Da seine Frau Sophie schon in Kiel begraben lag, fand er dort auch seine letzte Ruhestätte. 1900 wurden beide umgebettet und das Grab befindet sich heute auf dem Eichhoffriedhof in Kronshagen direkt an der Stadtgrenze zu Kiel.“ 5)

Baggesen war befreundet mit Johann Heinrich Voss (siehe: Voßweg).

Baggesen und Judentum
Baggesen beschrieb in seiner 1792/73 verfassten Reisebeschreibung „Labyrinthen“ das Elend der Juden in der Frankfurter Judengasse und bekämpfte den Antisemitismus. Er schrieb über das Judenghetto in Frankfurt am Main: „Der Zustand der siebentausend Israeliten hier in Frankfurt ist im Kleinen ein ziemlich genaues Abbild der Existenz des gesamten Volkes in Europa.“ 6) „Ihn erschütterte nicht nur die Armut, es waren vielmehr die seelischen Verkrüppelungen, in die die unwürdigen Existenzbedingungen die Juden getrieben hatten (…). Deshalb reichte eine reine Beschreibung dessen, was er gesehen und erlebt hatte nicht aus, es war notwendig, die Beschreibung durch eine wütende Anklageschrift gegen den ‚christlichen Vatermord‘ zu ergänzen.

Nun glich das Elend der dänischen Juden nicht dem, was Baggesen in Frankfurt gesehen hatte, der Appell hatte aber nichtsdestoweniger Relevanz für die heimischen Verhältnisse. (…) 1795 wurde aus Vertretern der Gemeinde in Kopenhagen und der Staatsverwaltung eine Kommission zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Juden eingesetzt.“ 7)