Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Meyerstraße

Heimfeld (1890): Heinrich Christian Meyer (10.1.1832 - 13.1.1886). Stockfabrikant (Rohr-, Stock- und Fischbeinfabrik) an der Nartenstraße 21/2. Sohn von Heinrich Christian Meyer (siehe: Stockmeyerstraße); Bruder von Bertha Ronge, geschiedene Traun, geborene Meyer


Siehe auch: Traunweg, Bruder von Heinrich Adolph Meyer.
Siehe auch: Charitas-Bischoff-Treppe
Siehe auch: Amalie-Dietrich-Stieg

Heinrich Christian Meyer war der Sohn des Hamburger Großindustriellen gleichen Namens (1797-1848), der auch als „Stockmeyer“ bekannt war (siehe: Stockmeyerstraße). Dieser hatte 1817 in der Hamburger Altstadt einen Handwerksbetrieb für die Herstellung von Spazierstöcken und Regenschirmen mit elfenbeinverzierten Knäufen gegründet. 1836 war die kleine Manufaktur zu einem Industriebetrieb mit rund 300 Beschäftigten mit Sitz auf Grasbrook expandiert, in dem die Rohstoffe Stuhlrohr, Elfenbein und Fischbein (Walfischbarten) verarbeitet wurden.

Nach dem Tod des Vaters 1848 ging die Firma zunächst an den zehn Jahre älteren Bruder Heinrich Adolph und den Schwager Friedrich Traun (siehe auch: Traunweg und Heinrich-Traun-Platz) über. Heinrich Christian Meyer selbst war zwar seit seiner Kindheit mit der väterlichen Firma vertraut und hatte auch schon im Betrieb mitgearbeitet, doch er sollte zuerst eine Ausbildung machen, bevor er in das Unternehmen eintrat. So studierte er ab 1851 das neue Fach Chemie bei Justus Liebig an der Universität Gießen. Das Erlernte sollte der eigenen Warenproduktion zugutekommen. Nach dem Studium ging er nach England, dem damaligen Zentrum der industrialisierten Welt, und kehrte 1853 von London nach Hamburg zurück, wo er nun in die Geschäftsleitung des Familienbetriebs einstieg.

Die Rohstoffe importierte die Fabrik aus den Kolonien der europäischen Großmächte; eigene Handelsniederlassungen wurden in Südafrika, Ägypten, Indien, Hongkong und Thailand gegründet. Das “Malakkarohr“ für die Spazierstöcke und das als Sitzgeflecht verwendete Rattan wurden aus südostasiatischen Ländern über Holland nach Hamburg importiert. Malakka, einst von den Holländern annektiert, gehörte ab 1824 bis zur Unabhängigkeit 1957 zur britischen Kronkolonie Straits Settlements. Malaka (malaiisch: Melaka) ist heute Stadt und Bundesstaat in Malaysia.

1864 gründete Heinrich Adolph Meyer eine eigene Fabrik zur Elfenbeinverarbeitung („Elfenbeinmeyer“) in Hamburg-Barmbek. Für die Einfuhr aus der damaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ (heute Tansania, Ruanda, Burundi) eröffneten die Hamburger Brüder eine Handelsniederlassung auf Sansibar. Heinr. Ad. Meyer war Ende des 19. Jahrhunderts Europas größter Produzent von Luxusartikeln aus Elfenbein. Die Faktorei auf Sansibar rüstete lange Karawanen mit bis zu 600 Trägern aus. Ihre Agenten kauften die Elfenbeinbestände an den Hauptsammelplätzen an der ostafrikanischen Küste auf. Zwischen 1840 und 1890 verdreifachte sich die Gesamteinfuhr von Elfenbein über Hamburg auf 18.200 kg pro Jahr; der Kilopreis kletterte von 10 auf 25 Mark. Von 1880 an wurden durchschnittlich 65.000 Elefanten pro Jahr abgeschlachtet. Die Stoßzähne mussten aus immer weiter entfernten Regionen in den Savannen und Urwäldern geholt werden. Den Handelshäusern war nicht entgangen, dass sich die Elefantenbestände dramatisch dezimierten. Im Geschäftsbericht der Firma Heinr. Ad. Meyer 1889 wurde bedauert: „Wahrlich ein trauriges Bild der Hinschlachtung dieses größten Repräsentanten einer aussterbenden Thierwelt (...)“. Dem aufstrebenden Hamburger Fabrikanten schien die Lösung schon nahe: die Zähmung des afrikanischen Elefanten, die den Bestand sichern sollte.

Der Raubbau in Ostafrika hatte gravierende Folgen für Mensch und Natur. Entlang der Karawanenrouten wurden die Kolonisierten häufig zu extrem anstrengenden Trägerdiensten gezwungen. Das gewaltsame Vordringen der europäischen Händler, die zunehmende Militarisierung weiter Regionen des Binnenlandes, die Überfälle auf die Dörfer und die Ausschaltung des lokalen Zwischenhandels führten zu Hungersnöten und Epidemien. Als sich 1888 die Bevölkerung gegen die aggressive Landnahme durch die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) von Carl Peters erhob, war es der Agent G.W.H. Westendarp der Firma Heinr. Ad. Meyer, der ausdrücklich um eine militärische Offensive aus Deutschland bat. Die „Schutztruppe“ unter Hermann Wissmann (siehe: Wißmannstraße) und die kaiserliche Marine schlugen den sog. „Araber-Aufstand“ blutig nieder; zahlreiche „Strafexpeditionen“ ins Landesinnere verfolgten der Taktik der „verbrannten Erde“.

Mitte des 19. Jahrhunderts war es dem US-amerikanischen Erfinder Charles Goodyear gelungen, Naturkautschuk zu vulkanisieren und somit als Gummi für die Reifenherstellung der rasant wachsenden Autoindustrie nutzbar zu machen. Als ab 1850 Hartgummi auf den Markt kam, befürchtete Heinrich Christian Meyer Konkurrenz zum Werkstoff Fischbein. Daher erwarb er 1851 die Europa-Lizenz zur Produktion von Hartgummi. Als Fischbeinersatz eignete sich Hartgummi kaum, dafür ließen sich daraus hochwertige Kämme herstellen.

Naturkautschuk war wie Elfenbein ein knapper und begehrter Rohstoff, der anfangs aus Kolumbien und Panama importiert wurde. Nachdem die dortigen Wildkautschukbestände ausgebeutet waren, ging in Brasilien der Raubbau weiter. Für den Nachschub zwangen die Agenten der Kolonialkaufleute die indigene brasilianische Bevölkerung mit Waffengewalt, immer weiter in den Urwald vorzudringen. Der Kongo mit seinen riesigen Beständen an Wildkautschuk wurde ab 1885 zur Privatkolonie des belgischen Königs Leopold II. Wer die Kautschukerntequoten nicht erfüllte, wurde verstümmelt oder getötet. Die Hälfte der kongolesischen Bevölkerung, etwa zehn Millionen Menschen, wurde ermordet. Die „Kongo-Gräuel“ konnten nur unter öffentlichem Druck gestoppt werden. In den deutschen Kolonien in Afrika gründeten Hamburger Handelshäuser groß angelegte Kautschukplantagen und handelten auch mit geschmuggeltem Kautschuk aus dem Kongo.

1854 hatte H.C. Meyer jr. die Stockproduktion und Stuhlrohrverarbeitung nach Harburg verlegt. Die Stadt im Königreich Hannover bot als Industriestandort im Vergleich zu Hamburg entscheidende Vorteile: Sie gehörte zum Deutschen Zollverein und verfügte über einen weiten Absatzmarkt im Hinterland. Für die Hartgummiproduktion kaufte das Unternehmen nun ein großes Grundstück an der Nartenstraße und baute eine neue Fabrik, die Harburger Gummi-Kamm-Compagnie. Weitere Industrien zogen nach, der Hafen wurde erweitert. Harburg avancierte bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem in Europa führenden Zentrum für Kautschuk- und Palmölverarbeitung.

In dieser Zeit kamen Holzstühle mit Rattansitz in Mode, woran H. C. Meyer jr. gut verdiente. Sie entwickelte sich zur weltgrößten Stuhlrohrfabrik mit rund 1.000 Mitarbeitern. Das Stuhlrohr bezog sie nun unter Ausschaltung der ostindischen Händler direkt von Behn, Meyer & Co., ihrem Agenten in Singapur. Diese erste deutsche Handelsniederlassung in dem asiatischen Stadtstaat hatten Hamburger Kaufmänner Theodor August Behn und Valentin Lorenz Meyer bereits 1840 gegründet. 1895/96 erwarb H. C. Meyer jr. selbst ein Grundstück in Singapur und baute dort eine Wasch- und Schwefelanlage. Nach den Stationen Singapur und Harburg wurden die Rohrhalbfabrikate zur Fertigung an das Tochterunternehmen in New York verschifft. Zwischen 1864 und 1873 stieg der Nettogewinn des Unternehmens aus der Stuhlrohrverarbeitung von 4.677 auf 245.667 Mark Banco an.

Im Stil der „Villa Hügel“ des Essener Großindustriellen Alfred Krupp ließ Heinrich Christian Meyer 1869 die „Villa Meyer“ inmitten eines weitläufigen Harburger Parkgeländes bauen. Der Park ist heute ein Naherholungsgebiet im Besitz der Stadt Hamburg, die ehemalige Kaufmannsvilla jetzt Verwaltungsgebäude des Krankenhauses Mariahilf.

1873 übernahmen die Söhne Friedrich Trauns die Harburger Gummi-Kamm-Compagnie und schieden aus der Firma H.C. Meyer jr. Aus. Damit wurde Heinrich Christian Meyer alleiniger Inhaber. Er leitete noch den Firmenumzug nach Harburg ein, bevor er mit 54 Jahren starb. Seeblockaden im Ersten Weltkrieg verhinderten Stuhlrohrlieferungen aus Asien, was den sukzessiven Niedergang der Firma einleitete. An H.C. Meyer jr. erinnert heute nur noch ein kleines Gebäude an der Nartenstraße in Harburg.

In der benachbarten Lagerhalle der Firma H.D. Cotterell & Co. in der Nartenstraße brach am 3.1.2012 ein gigantisches Feuer mit gravierenden Folgen für die Umwelt aus. 2.000 Tonnen Kautschuk und 10.000 Liter Heizöl fachten einen Großbrand an und hinterließen, mit dem Löschwasser vermischt, eine zähklebrige Masse, die in die Siele und Fleete floss. Offenbar hatte das Unternehmen keine behördliche Genehmigung zur Lagerung von Kautschuk.

Text: HMJokinen, Mitarbeit: Frauke Steinhäuser


Verheiratet war Heinrich Christian Meyer seit 1851 mit Laura Emilie Schlueter (17.4.1835 Hamburg – 13.7.1914 Hamburg). Das Paar hatte sieben Kinder (geboren: 1859, 1860, 1865, 1867, 1869, 1871). (Rita Bake)