Ottilie-Baader-Straße
Bergedorf, seit 1985, benannt nach Ottilie Baader (30.5.1847 Raake/Kreis Oels, Reg.-Bez. Breslau–23.7.1925 Berlin), führend in der proletarischen Frauenbewegung
Siehe auch: Lily-Braun-Straße
Siehe auch: Bebelallee, Alsterdorf, seit 1945: August Bebel (1840–1913), Reichstagsabgeordneter, Führer der Sozialdemokratie, und August-Bebel-Park, St. Georg, seit 2006 sowie August-Bebel-Straße, Bergedorf, seit 1927
Als Ottilie Baader sieben Jahre alt war, starb ihre Mutter, die von Beruf Näherin gewesen war, an Tuberkulose. Bereits in diesem jungen Alter hatte sich Ottilie fortan um den kranken Vater Gustav Baader, einem Zuckerscheider (1812–1897) und ihre drei jüngeren Geschwister zu kümmern.
Zwischen Tochter und Vater entstand eine enge Beziehung. „Sie hatte Verantwortung im Haushalt noch bevor sie in die Schule kam. Drei Jahre nur dauerte der Schulbesuch; trotzdem schaffte sie es, sich eine relativ gute Ausbildung zu erwerben. Der Vater hatte nicht wieder geheiratet und gab seiner Tochter an Abendstunden Unterricht, wozu ihm seine gute Schulbildung und die Erfahrungen eines Facharbeiters befähigten,“ 1) schreibt Roswitha Freude.
Nachdem Ottilie mit ihrem Vater und den Geschwistern nach Berlin gezogen war, musste sie bereits als Dreizehnjährige „als Handnäherin in einer Weißnäherei in der Berliner Neanderstraße, der heutigen Heinrich-Heine-Straße“ 2) arbeiten.
„In der Zeit des Sozialistengesetzes schloss sie sich zunächst dem bürgerlichen Arbeiterinnenverein Lina Morgensterns an. Eine Reihe schlecht bezahlter Anstellungen hatten ein unerschütterliches Klassenbewusstsein in ihr hervorgerufen,“ 3) so Claudia Sucker.
1866 nahm Ottilie Baader am Kampf der Berliner Mantelnäherinnen gegen eine drohende Erhöhung der Nähgarnzölle teil und erreichte 1870/71 „gemeinsam mit 50 streikbereiten Nähmaschinennäherinnen der Berliner Kragen- und Manschettenfabrik (…), dass die vorgesehene Lohnreduzierung um die Hälfte zurückgenommen wird.“ 4)
„Über ihre gewerkschaftliche Arbeit und durch den Eintritt in die freireligiöse Gemeinde Berlin im Jahr 1877 näherte sie sich der SPD an.“ 5)
„Der Vater, selbst ein Anhänger der Sozialdemokratie, konnte sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, daß die Tochter zu Versammlungen ging. Vorbehalte gegen eine politische Betätigung der Frauen gab es auch unter den Arbeitern.
Ottilie Baaders erste Rede in einer Versammlung von Schäftearbeiterinnen im Jahre 1879 schaffte der Heimarbeiterin den Durchbruch in die Öffentlichkeit und stellte den Vater vor vollendete Tatsachen,“ 6) erklärt Roswitha Freude.
„Ab 1885 engagierte sie sich [in der SPD] für die sozialen und politischen Rechte von Frauen und wurde in den folgenden Jahren zu einer anerkannten Vertreterin der Berliner Arbeiterinnen. Seit 1891 war sie auch im Vorstand der Berliner Arbeiterbildungsschule tätig.
Nach dem Verbot aller sozialdemokratisch geprägten Frauenvereine, in Preußen war es Frauen grundsätzlich verboten, sich politisch zu organisieren, gründete die SPD 1891 Frauenagitationskommissionen, um Frauen trotz des Vereinsgesetzes politische Tätigkeit zu ermöglichen, jedoch wurden auch diese im Jahr 1895 verboten. In dieser Zeit unterlag Baader beständigen Schikanen der Polizei, erhielt Anklagen und Verurteilungen.“ 7)
„Das politische Vereins- und Versammlungsrecht billigte in den meisten deutschen Ländern den Frauen noch nicht einmal das Recht zu, sich politisch zu organisieren. Sie durften in der Regel noch nicht einmal schweigend an Veranstaltungen derartiger Organisationen teilnehmen, eine Parteimitgliedschaft war bei Strafe verboten (…), wirklich betroffen waren davon aber nur die Linken, denn die bürgerliche Frauenbewegungen, ausgenommen ihr radikaler Flügel, konnte ungehindert Politik treiben. (…)
Ottilie Baader warnte wiederholt die proletarischen Frauen sich von den bürgerlichen Frauenorganisationen fernzuhalten, damit vertrat sie eine andere Meinung als Lily Braun [siehe: Lily-Braun-Straße], die Ottilie Baader später vorwarf, nur das Sprachrohr Clara Zetkins zu sein,“ 8) so Claudia Sucker.
„Um den sozialdemokratischen Frauen Organisationsformen zu schaffen, die nicht dem Vereinsgesetz unterlagen, entstand die Funktion der ‚Vertrauensperson‘, die in jedem Wahlkreis für die politische und gewerkschaftliche Agitation unter den Arbeiterinnen zuständig war.“ 9) Ottilie Baader wurde 1894 solch eine Vertrauensperson, von 1900 bis 1908 sogar die „Zentralvertrauensperson“ der Frauen in der SPD und ab 1904 die erste besoldete Funktionärin der SPD.
Ottilie Baader gehörte zu den wichtigsten Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht in Deutschland und war z. B. auf Großkundgebungen gemeinsam mit August Bebel (siehe: Bebelallee), Wilhelm Liebknecht und Emma Ihrer aufgetreten, um das Frauenwahlrecht zu fordern.
1908 beschloss der Reichstag ein neues Vereins- und Versammlungsrecht. Von nun an konnten Frauen in Parteien und Gewerkschaften für ihre Rechte eintreten. Und so setzte sich Ottilie Baader „auch für die Gleichstellung von Frauen innerhalb der SPD ein. Auf ihre Initiative geht zurück, dass die SPD 1909 für die Parteivorstände eine erste Quotenregelung beschloß.“ 10)
1911 heiratete sie den sozialdemokratischen Gastwirt August Dietrichs. 1914 zog sie sich aus der aktiven Parteipolitik zurück. 1921 veröffentlichte sie ihre Memoiren: „Ein steiniger Weg“.