Unzerstraße
Altona, seit 1867, benannt nach Johann August Unzer (29.4.1727 Halle – 2.4.1799 Altona), Arzt und Schriftsteller und seiner Frau Johanna Charlotte Unzer (27.11.1725 Halle an der Saal–29.1.1782 Altona), Dichterin, und nach Johann Christoph Unzer (17.5.1747 Wernigerode – 20.8.1809 Göttingen), Arzt, Stadtphysikus, Dichter, und nach Heinrich Friedrich Unzer (1783–1814), Arzt
Siehe auch: Ackermannstraße
Siehe auch: Lessingstraße, Hohenfelde, seit 1863: Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781). Dichter, Schriftsteller
Siehe auch: Wielandstraße, Eilbek, seit 1866: Christoph Martin Wieland (1733–1813), Dichter
Mit der Benennung der Unzerstraße im Jahr 1867 wurde erstmals in Hamburg eine Straße nach einer Schriftstellerin benannt. Allerdings wurde ihr diese Ehre nicht allein zuteil, sondern sie musste sich diese Auszeichnung mit ihrem Mann Johann August Unzer, dem Arzt Heinrich Friedrich Unzer und dem Arzt Johann Christoph Unzer teilen. Erst 1927 wurde erstmals eine Straße allein nach einer Schriftstellerin benannt: Ida-Boy-Ed-Straße (siehe: Ida-Boy-Ed-Straße). Nach einem Schriftsteller war erstmals bereits 1846 eine Straße benannt worden: Klopstockstraße.
Charlotte Unzer wurde in Halle an der Saale als Tochter des Organisten und Musikdirektors Johann Gotthilf Ziegler und seiner Frau Anna Elisabeth, geb. Krüger geboren. 1747 starb der Vater. Nach dem Tod ihrer Mutter heiratete Charlotte Ziegler 1751 den Arzt Johann August Unzer. Die beiden kannten sich von Kindheit an. Johann August, ebenfalls aus Halle stammend und 1750 nach Hamburg und im selben Jahr noch nach Altona gezogen, wo er sich als praktischer Arzt und Psychologe niederließ, hatte bei Charlottes Vater Musikunterricht erhalten.

Noch im Jahr ihrer Heirat veröffentlichte Charlotte Unzer unter ihrem Namen und mit einem Vorwort ihres Onkels Johann Gottlob Krüger ihr Werk „Grundriss einer Weltweisheit für das Frauenzimmer“.
Das Ehepaar bekam Zwillinge. Diese starben jedoch kurz nach der Geburt.
Zu ihrem 13. Hochzeitstag widmete ihr Mann ihr ein zärtliches Gedicht: „Schon dreyzehn Jahre sind vergangen. Da Dich mein Arm zuerst umfing. Da ich mit zärtlichem Verlangen an Deinem treuen Busen hing (…).“
Charlotte Unzer war eine Vertreterin der Aufklärung, setzte sich für Frauenbildung ein, durchschaute die patriarchalen Mechanismen ihrer Zeit und wollte mit ihren Schriften die damalige Philosophie einem breiten – nicht nur gelehrten – Publikum, besonders aber den Frauen, zugänglich machen. Sie verstand die Philosophie als „Weltweisheit“. Ganz im Sinne der Aufklärung sollten alle von ihr partizipieren dürfen.

Charlotte Unzer beklagte die Einschränkung der weiblichen Bildung, kritisierte die „eingeschränkte“ Lage der Frau als Dichterin, die nach langläufiger Meinung nur in „erhabener Art“ dichten sollte. Damals wurde von den schriftstellerisch tätigen und dichtenden Frauen ein zärtlicher, rührender und ergebener Ton verlangt. Witzige und ironische Töne waren das Privileg einer männlichen Schreibweise. 1) Verstießen dichtende Frauen gegen dieses patriarchale Diktat, waren sie dem Spott und den abfälligen Urteilen der sich als Kenner der literarischen Materie ausgebenden dichtenden Männer ausgesetzt. Charlotte Unzer versuchte deshalb in ihrer anonym herausgegebenen Schrift „Versuch in Scherzgedichten“ den Kritikern mit einer vorrangehenden, verteidigenden „Vorerinnerung“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie schreibt: „Ich würde wegen dieser Gedichte gar nichts zu erinnern haben, wenn ich nicht ein Frauenzimmer wäre. Eine Mannsperson hat die Freyheit, von Liebe und Weine zu scherzen, ohne befürchten zu dürfen, dass man es ihm übel auslegen werde. Unser Geschlecht ist hierinnen weit mehr eingeschränkt: und ich sehe es für ganz nothwendig an, mir hier eine Vertheidigung im voraus zu machen.“
Charlotte Unzer rebellierte gegen das Diktat der Männer, Frauen dürften nicht witzig, und scherzhaft-ironisch schreiben: „(…) so sehe ich nicht ab, warum unser Geschlecht diese Sprache nicht eben so sollte reden dürfen, als sie Mannspersonen reden“. 2)
Unter dem Begriff Witz wurden im 18. Jahrhundert sinnreiche und kluge Einfälle, die auch Spott beinhalten können, verstanden. So die Welt zu erklären oder über sie zu schreiben sollte – wenn es nach den Männern ging – für Frauen tabu sein. Und so strafte der Dichter und Philosoph Christoph Martin Wieland (siehe: Wielandstraße) auch die gegen diese patriarchalen Regeln aufbegehrende Charlotte Unzer mit, wie er sagte, „Gleichgültigkeit“. Sie war es in seinen Augen nicht wert, dass mann sich mit ihren Werken beschäftigte.
Als Charlotte mit den Jahren immer fülliger wurde, nutzte Wieland diesen Umstand, um sie bloßzustellen und machte sie 1771 in seiner komisch-satirischen Dichtung „Der neue Amadis“ zur Zielscheibe seines Spottes. Doch Charlotte Unzer ließ sich davon nicht beeindrucken bzw. erschüttern. Sie war Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaften in Helmstedt und Göttingen und erhielt 1753 den kaiserlich privilegierten Titel einer Poeta laureata verliehen.
Selbst noch gut hundert Jahre nach Charlotte Unzers Ableben wurden ihre Werke und ihre teilweise recht anzüglichen Gedichte, die jedoch alle ein großes positives Echo unter der Leserinnenschaft fanden, kritisiert. Ganz dem patriarchalen Frauenbild folgend, verriss 1895 die als erstrangiges Nachschlagewerk geltende Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) in ihrem 39. Band das literarische Schaffen Charlotte Unzers: „Bei jeder geschlossenen Gedankenreihe wird’s der Verfasserin unbehaglich; die ‚mathematische‘ Methode Wolff’s, überhaupt das abstracte Denken, überläßt sie getrost ‚den allerdüstersten Männern‘; sie greift statt zu strengen Beweisen lieber zu hübschen Geschichten aus dem Spectator (…). Griechisch und Latein kann sie nicht; Baumgarten’s Metaphysik hat ihr ein guter Freund übersetzt; den Ixion verwechselt sie mit dem Prometheuse (…). Diese harmlose Unwissenheit hindert sie nicht, über Plato’s Ideenlehre (…) kritisch oder scherzend sich aufzuhalten. Aber solche Unbescheidenheit steht ihr, eben weil sie naiv frauenzimmerlich auftritt. (…) Von eigenen Gedanken ist natürlich nicht die Rede, an groben, auch logischen Schnitzern fehlts nicht. Aber das Ganze plaudert so unschuldig fröhlich dahin, daß mans sich gern gefallen läßt. Leider machte der Erfolg unserer gelehrten Freundin den Kamm schwellen. In ihrem ‚Grundriß einer Natürlichen Historie und eigentlichen Naturlehre für das Frauenzimmer‘ (Halle 1751), den sie nun schon ohne Onkel Krüger’s Hilfe herausgibt, will sie bereits eine Lehrerin ihres Geschlechts werden. (…) Die U. hält es (…) für ihr Menschenrecht, gleich den Männern von Wein und Liebe zu singen (…). Sie befehdet Gleim grollend, weil er alle Mädchen für Puppen erklärt hat, (…), ja sie lehrt: ‚Lernet mit den Männern zechen!‘ (…).“
Als Charlotte Unzer 1782 in Altona mit erst 57 Jahren starb, wurde sie allenthalben tief betrauert.
Johann August Unzer, der als Herausgeber der Wochenschrift „Der Arzt“ (erschienen zwischen 1759 und 1764 und übersetzt in mehrere Sprachen) sowie durch seine psychologischen Schriften und ein Medicinisches Handbuch bekannt wurde, hatte schon 1769 seine medizinische Praxis niedergelegt, um sich ganz seinen Forschungen widmen zu können. Er kämpfte gegen den Alkohol, schrieb u. a. auch über Sterndeutung, Seelenwanderung und den Gebrauch des Kölnisch Wassers.
Johann Christoph Unzer, Neffe von Johann August Unzer und aus Wernigerode stammend, zog nach seiner Promotion in Medizin zu seinem Onkel nach Altona, um dort als praktischer Arzt und Geburtshelfer zu arbeiten. Außerdem war er theaterbegeistert, schrieb ein Schauspiel, dramatische Dichtungen und beschäftigte sich literarisch auch mit Frauenkrankheiten.
In dem vom Bürgerverein Flottbek-Othmarschen herausgegebenen Buch „Flottbek Othmarschen einst und jetzt“ steht zu Johann Christoph Unzer: „Dieser Othmarscher Grundbesitzer war damals Professor am akademischen Gymnasium in Altona, dem späteren Christianeum, und außerdem ein beliebter Frauenarzt, im ganzen aber eine schillernde Persönlichkeit. Politisch gab er sich als linksradikaler ‚Salon-Jakobiner‘ und galt auch als ein bedeutender Dichter. Im Foyer des ersten Altonaer Theaters an der Palmaille prangte sein Porträt zwischen den Medaillons Lessing und Goethe, die man alle drei für die größten Dichter Deutschland hielt. (…)
Seinen Othmarscher Hof verkaufte Unzer wieder nach drei Jahren, da er als musischer Mensch kein Verhältnis zu dem großen Grundbesitz hatte. Aber einen nachhaltigen Eindruck hinterließen seine lyrischen Gedichte, die aus dem Erlebnis der Landschaft zwischen Rolandsmühle und Quellental entstanden waren. Das galt besonders für das Gedicht ‚Die Lerche‘, das Stinchen Sieveking, inzwischen zur Gattin des französischen Gesandten in Hamburg geworden, besonders gut zu rezitieren verstand. (…).“ 3)
1778 hatte er die Schauspielerin Dorothea Ackermann (1752–1821) (siehe: Ackermannstraße) geheiratet. Vor seiner Verbindung mit Dorothea Ackermann war er in deren Schwester Charlotte (1757–1775) verliebt gewesen (siehe: Ackermannstraße). Durch diese war er in den Theaterkreis um Lessing (siehe: Lessingstraße) aufgenommen worden.
Nach der Hochzeit gab Dorothea Unzer ihre Arbeit als Schauspielerin auf, trat aber auf privaten Feiern noch auf.
„Über die Zeit bekommt das Paar drei Söhne, doch es wird nicht glücklich miteinander. Auch Eifersüchteleien sollen ständige Unruhe in die Beziehung gebracht haben. Am Ende hält es Dorothea als Erste nicht mehr aus, sie flüchtet mit den zwei jüngeren Kindern 1794 zu ihrem Stiefbruder Schröder nach Rellingen bei Hamburg. Dort hat er ein Anwesen gekauft. Was folgt ist ein öffentlicher Streit um Scheidung und Sorgerecht. 1797 entführt Johann Christoph die Kinder sogar. Er veröffentlicht außerdem alle Einzelheiten des Streits in einer Schrift, in der er behauptet, Dorothea sei unfähig, sich um die Kinder zu kümmern.
Schröder soll einen Großteil der Ausgaben daraufhin aufgekauft und vernichtet haben, sie gilt bis heute als verschollen. 1798 wird das Paar schließlich geschieden. Unzer heiratet 1807 ein zweites Mal die wohlhabende Jeanne Lefebvre-Millot, die unschöne Scheidung kratzt nicht lange an seinem guten Ruf. Dorothea dagegen bleibt bei Schröder in Rellingen, nun abseits der Hamburger Gesellschaft, die ihr die alleinige Schuld am Scheitern der Ehe gibt. Bis zu ihrem Tod am 26.10.1831 in Hamburg lebt sie ein eher zurückgezogenes Leben. Am Ende bleibt ihr das Lob ihres Stiefbruders Schröder: „so ist nicht zu zweifeln, daß sie auch die zärtliche Mutter Deutschlands geworden wäre, wenn sie sich der Bühne erhalten hätte.“ 4)
Der Arzt Heinrich Friedrich Unzer war in erster Ehe verheiratet mit der Schauspielerin Wilhelmine Luise Friederike Fleck (1794 Berlin – 1824 Hamburg). nach dem Tod ihres Mannes heiratete sie 1814 den Schauspieler Johann Reinhold von Lenz.