Struenseestraße
Altona-Altstadt (1950): Johann Friedrich von Struensee (5.8.1737 Halle – 28.4.1772 Kopenhagen), Stadtphysikus in Altona.
Siehe auch: Klopstockstraße
Siehe auch: Auf dem Königslande
Siehe auch: Scheelring
Siehe auch: Noerstraße
Bereits 1943 wurde die Struenseestraße als neuer Straßenname (alter Straßenname: Kleine Mühlenstraße ) in der Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt. Die Liste wurde im Hamburger Adressbuch von 1943 veröffentlicht und listet alle in der NS-Zeit umbenannten Straßen auf, auch diejenigen, bei denen die konkrete Umbenennung noch nicht vollzogen wurde. Bereits umbenannte Straßen wurden mit einem Stern gekennzeichnet.
Umbenennungen mussten u. a. deshalb erfolgen, weil sich nach der Einführung des Groß-Hamburg-Gesetzes im Jahre 1937, durch das z. B. Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Rahlstedt, Bramfeld, Lohbrügge und andere Gebiete, die heute Hamburger Stadtteile sind, nach Hamburg eingemeindet wurden, häufig Doppelungen bei den Straßennamen ergaben. „Insbesondere Namen aus dem niederdeutschen Raum“ und „Personen der schleswig-holsteinischen Geschichte“ sollten bei der neuen Straßennamensvergabe berücksichtigt werden.
Doch viele Straßennamen wurden in der NS-Zeit nach 1943 nicht mehr umbenannt. Eine Umbenennung nach den 1943 aufgelisteten neuen Straßennamen erfolgte für diverse Straßennamen dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. So wurde die Struenseestraße 1950 benannt.
Kurt Grobecker und Kerstin von Stürmer schreiben 2005 über den Pastorensohn Johann Friedrich von Struensee (die Eltern hießen Maria Dorothea, geborene Carl und Adam Struensee) in ihrem Buch „Hamburg skandalös“: „Schon die erste Stufe auf der Karriereleiter des Johann Friedrich Struensee ist ungewöhnlich: Im Februar 1758 wird der in Halle und Berlin ausgebildete und promovierte Arzt zum Stadtphysikus in dem zum dänischen Staatsverband gehörenden Altona bestellt, obwohl er sich um dieses Amt gar nicht beworben hat, während acht andere auf den Posten scharf sind.
Kurz darauf wird Struensee zusätzlich noch Landphysikus in der Grafschaft Rantzau, und zwar auf eigenen Wunsch zum Null-Tarif, denn die dänische Staatskasse leidet seit langem unter chronischer Schwindsucht.
In den Elendsvierteln Altonas studiert Struensee die Ursachen und die gesundheitlichen Folgen der Armut. Über Hygiene lernt er in den Kneipen und Bordellen der Hafenstadt mehr als in allen Universitäts-Colloquien. Hier legt er die gedanklichen Grundlagen für eine Reform des Gesundheitswesens, die er gern (…) durchgesetzt haben würde, wenn ihm dazu nicht die Macht gefehlt hätte.“1)
Struensee setzte sich für die Pockenimpfung ein, ließ ein kleines Krankenhaus und eine Entbindungsanstalt errichten, in der auch ledige Schwangere entbinden durften.
Durch sein erfolgreiches Bekämpfen der Pockenkrankheit wurde Struensee auch Arzt schleswig-holsteinischer Adelsfamilien und schließlich Hofarzt des dänischen Königs Christian VII (siehe: Auf dem Königslande). Dadurch bekam Struensee Macht und Einfluss.
„Der junge König (…) schätzt an dem bürgerlichen Arzt offenbar dessen Offenheit und Mut, mit dem er den hochadligen Hofschranzen begegnet. Das ist eine seltene Eigenschaft am Hof und erweckt den Argwohn und das Mißtrauen des Adels (…).“ 2)
Struensee wurde auch der Geliebte der Königin, Caroline Mathilde (22.7.1751-17.1.1775). „Am Hof gibt es Gerüchte, daß der Arzt seinem Patienten [dem König] eine merkwürdige Therapie [König Christian leidet an einer „Geisteskrankheit“] zu verordnen beabsichtigt: eine Mätresse, die er mit Bedacht ausgesucht haben soll. Solche Gerüchte bringen Königin Caroline Mathilde gegen Struensee auf. Sie verfällt in Depressionen. Christian verlangt, seine Frau solle sich von seinem Leibarzt untersuchen lassen.“ 3) Das scheint zu helfen. „Ihr neues Selbstbewußtsein befreit sie von Konventionen (…). Im Sommer 1770 geht der Arzt mit dem königlichen Ehepaar auf eine Reise (…). Am Hof tuschelt man von ‚Flitterwochen einer Ehe zu dritt‘. Schloß Gottorp, wohin das Trio zunächst gereist ist, wird zur Bühne der tatsächlichen oder erfundenen Liebesaffaire. (…) Tatsache ist, daß weder die Königin noch Dr. Struensee etwas dagegen tun, für ein Liebespaar gehalten zu werden. (…)
Struensee nutzt die Gunst der Stunde und greift nach der Macht im Staat: Er läßt den König Edikte unterschreiben, die er selbst formuliert hat: gegen das Titelunwesen, gegen Beförderungen unfähiger Amtsträger: Nur der Tüchtige soll eine Chance bekommen. Die totale Pressefreiheit wird von Struensee eingefädelt und durchgesetzt (…). Er beendet Ministerkarrieren (…). Er mildert Strafen, läßt Brotpreise senken, setzt eine Agrarreform durch, stellt das Gesundheitswesen auf eine neue Basis, (…) macht die Verwaltung effizienter, fördert Manufakturen, verhängt Importverbote und baut Zölle auf. (…)“ 4)
Struensee plante darüber hinaus auch, die Leibeigenschaft und den Frondienst abzuschaffen. 1788 wurde die Leibeigenschaft in Dänemark und 1805 in Schleswig-Holstein tatsächlich abgeschafft. Auch trat Struensee für das Verbot des Sklavenhandels mit den westindischen Kolonien Dänemarks ein. 5) 1792 wurde dieses Verbot erlassen und 1803 in Dänemark durchgesetzt.
Struensee konnte all dies planen und in die Wege leiten, weil er am Hofe entsprechende Machtpositionen besetzte. So hatte er 1770 den Posten des Verwaltungschefs des königlichen Kabinetts übernommen und 1771 war er zum Kabinettsminister bestellt worden.
„Doch Struensees Pläne und Reformen stießen nicht überall auf Gegenliebe. Widerstand formiert sich. (…) Der König fällt in seine alte Apathie zurück. Die bei ihm von Struensee seit langem diagnostizierte Geisteskrankheit bricht verstärkt aus. Der noch junge Christian VII. wird unberechenbar.
Königin Caroline Mathilde bringt im Sommer 1771 ein Mädchen zur Welt: Louise Auguste von Dänemark [7.7.1771 Horsholm – 13.1.1843 Schloss Augustenburg, später verheiratet mit dem Herzog von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg und Mutter von Prinz Noer, siehe: Noerstraße, R. B.]. Der Volksmund nennt das Kind’ Prinzessin Struensee‘. (…) Struensee wird zwei Wochen nach der Geburt der Prinzessin in den Grafenstand erhoben. (…) Eine Verschwörung formiert sich. (…) Die Verschwörer ziehen den kranken König in ihr Boot und veranlassen ihn, als ‚Christian Rex‘ die Zeilen an Struensee zu unterschreiben: ‚Sie wissen, wie sehr ich Sie geliebt habe, aber ihr Betragen hat meine Erwartung nicht entsprochen; es zwingt mich, Sie von meinem Hof zu entfernen, und ich will, daß Sie nach Kronborg gehen, wo ich Ihnen eine glückliche Reue wünsche (…).
Am 17. Januar 1772 ist der Sturz Struensees besiegelt. Man wirft ihn in den Kerker (…) Nach den Verhören unterschreibt Struensee, wohl schon durch die vielen intensiven Verhöre physisch und psychisch angeschlagen, ein Schuldbekenntnis, in dem zu lesen steht, daß seine ‚unzulässige Vertraulichkeit mit der Königin zu weit gegangen sei, als immer die Vertraulichkeit unter Personen verschiedenen Geschlechts gehen könne‘. (…) Am 25. April 1772 wird das Urteil gesprochen: Tod durch das Beil.“ 6)
2011 heißt es auf NDR über Struensee: „Johann Friedrich Struensee (…) schaffte es durch verbesserte Hygiene Seuchen zu bekämpfen - darunter die Maul- und Klauenseuche, die Struensee als erster beschreibt. 1768 begleitete er den dänischen König Christian VII. auf dessen Europareise und schaffte es, den labilen König zu stabilisieren. Daraufhin wurde er sein Leibarzt. Der König erhob Struensee darüber hinaus zum Geheimen Kabinettsminister und Grafen.
Ausgestattet mit Vollmachten, übernimmt Struensee die Staatsgeschäfte. Der Anhänger Voltaires und Rousseaus versuchte die Ideen der Aufklärung, wie Pressefreiheit, Abrüstung, Rechte für die Bauern und Religionsfreiheit durchzusetzen. Doch seine Machtfülle und seine Reformen stießen bei den alten Eliten nicht gerade auf Gegenliebe. Seine - nach heutigem Forschungsstand als sicher angenommene - Affäre mit Königin Caroline Mathilde nutzten seine Feinde und machten ihn nach einem Putsch den Prozess. Struensee wurde schuldig gesprochen und am 28. April 1772 in Kopenhagen hingerichtet, auf äußerst grausame Weise: Er wurde geköpft, gevierteilt und auf das Rad geflochten. Seine Leichenteile wurden noch jahrelang ausgestellt. (…)“. 7))
Über Caroline Mathilde von Dänemark siehe im Straßennamenseintrag: Auf dem Königslande. Ebenso in diesem Eintrag auch mehr zur „Stiefeletten-Katharina“.
1784 übernahm der 16-jährige Sohn von Christian VII. die Regierungsgeschäfte. Christian VII. starb im Alter von 59 Jahren in „Rendsburg an einem Herzinfarkt - nachdem er die verbündete spanische Flotte irrtümlich für die feindliche schwedische gehalten hatte“. 8)
Nach der Hinrichtung Struensees übernahm „Ove Høegh-Guldberg, einer seiner schärfsten Kritiker“ 9) die Geschäfte. „Er machte zahlreiche der Reformen, die Struensee veranlasst hatte, rückgängig und führte den dänischen Absolutismus alter Prägung wieder ein. Das Conseil wurde als Geheimer Staatsrat neu gegründet und bestand bis 1848. Die Norske Kammer, die von Struensee gegründete eigenständige Regierung Norwegens, wurde wieder aufgelöst. Rückgängig gemacht wurden auch die Abschaffung der Folter und das Verbot des Sklavenhandels. Von Struensees Reformen blieben u. a. die die Kirche betreffenden Änderungen, die Abschaffung der Patronyme als Nachnamen, die Trennung des Außenministeriums von der Deutschen Kanzlei sowie die Pressefreiheit (bis 1799).
Kronprinz Friedrich stürzte 1784 Høegh-Guldberg und begann als Regent für seinen Vater einzelne der Struenseeschen Reformen, darunter die Aufhebung der Leibeigenschaft 1805, wieder einzuführen, allerdings langsam und unter Mitwirkung der Regierung und der Landstände.“ 10)