Wuthenowstraße
Jenfeld, seit 1947, benannt nach Alwine Wuthenow, geb. Balthasar, Pseudonym: Annmariek Schulten (16.9.1820 Neuenkirchen b. Greifswald– 8.1.1908 Greifswald), niederdeutsche Schriftstellerin aus Pommern
Siehe auch: Fritz-Reuter-Straße
Siehe auch: Klaus-Groth-Straße, Schöfferstieg, Billstedt (1948)
Vor 1938 wurde die Straße in Tirpitzstraße benannt. Alfred von T. 1849-1930. „Deutscher Großadmiral und Politiker, Staatssekretär im Reichsmarineamt. Motivgruppe: Namen aus dem Ersten Weltkrieg: Marine. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).
In der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Erckertstraße umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1947 bei Tirpitzstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Die Umbenennung in Wuthenowstraße - wie auch andere Umbenennungen - erfolgte auf Anweisung der britischen Militärregierung, denn „vor dem Hintergrund der veränderten politischen Landschaft gerieten die sogenannten ‚militärischen‘ Namen erstmals ins Blickfeld. Die Umbenennung dieser Namensgruppe wurde durch eine ausdrückliche Anweisung der Militärregierung veranlaßt und stellte die zweite Welle von politisch motivierten Umbenennungen der Nachkriegszeit dar. Im Jahre 1946 gab es nach einer Aufstellung des Bauamtes 145 Straßen, die nach ‚Militärpersonen, militärischen Ereignissen und militärischen Einrichtungen‘ benannt worden waren. Etwa 18 davon waren in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 entstanden. (…). Der Senat erörterte dieses Thema in seiner Sitzung am 22. Januar 1946. Man betrachtete lediglich 37 Namen als nicht akzeptabel, darunter 28 Namen von Generälen und Admirälen und einigen militärischen Einrichtungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Sie wurden im Laufe der nächsten zwei Jahre umbenannt.“ (Siehe auch unter Kriegerdankweg und Paul-Bäumer-Brücke). (Bericht über Umbenennungen von Straßennamen in Hamburg seit 1918, März 1987, Staatsarchiv Hamburg, S. 16.)
Alwine Balthasar wuchs in einer Pastorenfamilie auf. Der Vater Johann Carl Balthasar war Superintendent in Gützkow, die Mutter Ida Johanna Dorothea, geb. Otto, entstammte ebenfalls einer Pfarrersfamilie.
Fast ihr ganzes Leben litt Alwine an einer, wie es damals hieß, Geisteskrankheit, die sich zeitweilig in Zwangsvorstellungen und Angstzuständen äußerte, was zu mehrfachen Aufenthalten in „Nervenheilanstalten“ führte. Die ersten Angstzustände waren nach dem Tod der Mutter aufgetreten – Alwine war damals sieben Jahre alt gewesen und so handelte es sich hier wohl um ausgeprägte Verlassenheitsängste.
Nach dem Tod der Mutter heiratete der Vater erneut, aber auch die Stiefmutter, die sich liebevoll um Alwine kümmerte, konnte ihr nicht helfen.
Zwecks einer schulischen Ausbildung kam Alwine in Pension zu dem Greifswalder Professor Hornschuh. Im Alter von sechzehn Jahren wurde sie in eine „Heilanstalt“ eingewiesen. Dort begann sie zu schreiben. Sie verfasste Gedichte auf Platt und brachte Naturbetrachtungen sowie heitere und religiöse Gedanken aufs Papier. Nach zwei Jahren wurde sie entlassen und lernte bei einem Fest ihren zukünftigen Ehemann, den Juristen Ferdinand Wuthenow kennen. Sein Freund und auch der Pastor rieten ihm von einer Ehe mit Alwine ab. Doch Ferdinand Wuthenow ließ sich nicht beirren, und so fand 1843 die Hochzeit zwischen Alwine Balthasar und Ferdinand Wuthenow, der zum Bürgermeister von Gützkow avanciert war und später Kreisrichter wurde, statt. Fortan traten Alwines Angstzustände nicht mehr auf, denn nun hatte sie wieder eine Heimat, eine enge Bezugsperson. Das Paar bekam fünf Kinder.
„Im Jahre 1848 schwappte die Welle der Revolution [gemeint ist die bürgerliche Revolution von 1848, die demokratische Reformen forderte] auch nach Pommern. Pastor Balthasar als geistliches Haupt des Städchen Gützkow wurde wie sein Schwiegersohn, der Bürgermeister Wuthenow, vom rasenden Pöbel bedroht, Wuthenow sogar für abgesetzt erklärt. Er konnte durch sein mutiges, besonnenes Auftreten verhindern, dass ihm und seiner Familie ein Leid zugefügt wurde – seine größte Sorge galt Alwine, die kurz vor der Niederkunft stand und um das Leben ihres Mannes und ihres Kindes zitterte. (…) Als sich die Wogen wieder geglättet und weder Pastor noch Bürgermeister ernstlichen Schaden erlitten hatten, schwanden auch Alwines Ängste.
Ein Jahr später wurde Wuthenow ans Greifswalder Kreisgericht versetzt. Hier kamen bei Alwine plötzlich die alten Zwangsvorstellungen in so heftiger Weise wieder, dass sie erneut in eine Heilanstalt gebracht werden musste. Gesund ist sie nie wieder geworden. Viele Jahre musste sie in Anstalten verbringen; die Aufenthalte bei ihrem Mann und ihren später fünf Kindern waren nur von kurzer Dauer, aber Ferdinand stand treu zu ihr.
Sobald die schlimmsten Zustände vorüber waren, griff Alwine zur Feder,“ 1) heißt es in einer Biographie über Alwine Wuthenow, veröffentlicht im Kulturportal West–Ost der Stiftung deutsche Kultur im östlichen Europa – OKR.
Alwine Wuthenow veröffentlichte 1855 und 1856 in Fritz Reuters (siehe: Fritz-Reuter-Straße) Unterhaltungsblatt plattdeutsche Gedichte. 1858 gab er, der mit Alwine Wuthenows Ehemann befreundet war, auch den ersten selbstständigen Band ihrer Gedichte heraus. Diese erschienen unter einem Pseudonym. „(…) die einfachen Worte (…) trafen die Leser ins Herz. Briefe von Bewunderern flatterten in die Heilanstalt, und Alwine war fast glücklich. Schnell war das Buch vergriffen‚ und 1860 erschien eine zweite Auflage. Im Jahr darauf gab Reuter eine weitere Gedichtsammlung Alwines heraus, die den Titel trug: ‚Nige Blomen ut Annmariek Schulten ehren Goren von A. W.‘ Alwine selbst übernahm 1862 die Herausgabe ihrer hochdeutschen Gedichte, die auch gern gelesen wurden, hinter den plattdeutschen aber zurückstehen. Eine dritte Auflage der Blomen wurde nötig; 1896 erschien eine neue Sammlung, die ihre besten Gedichte und einige noch unveröffentlichte enthielt“. 2)
Auch der Dichter Klaus Groth (siehe: Klaus-Groth-Straße) schätzte die Werke der Autorin.
Trotz ihres literarischen Erfolges konnte Alwine jahrelang nur kurz die „Anstalt“ verlassen. Erst 1874, sie war 54 Jahre alt, durfte sie für immer nach Hause zurückkehren, ohne als geheilt angesehen zu werden. „Acht glückliche Jahre konnte sie an der Seite ihres Mannes verbringen, bis er 1882 starb. Alwine erholte sich nur langsam von dem schweren Verlust, aber auch diese Situation bewältigte sie, indem sie schrieb. 26 Jahre blieben ihr noch, in denen sie bei ihrer jüngsten Tochter in Greifswald lebte, ihre Kraft im Gebet fand und dichtete.“ 3)