Bräsigweg
Bramfeld (1951): Romanfigur aus dem Roman „Ut mine Stromtid“ von Fritz Reuter
Siehe auch: Fritz-Reuter-Straße: hier Näheres zur Person Fritz Reuter
Siehe auch: Havermannstieg
Siehe auch: Nüßlerkamp
Bereits in der NS-Zeit wurde der Bräsigweg als neuer Straßenname (alter Straßenname: Teichstraße) in der Liste „Umbenannte Straßen“ aufgeführt. Die Liste wurde im Hamburger Adressbuch von 1943 veröffentlicht und listet alle in der NS-Zeit umbenannten Straßen auf, auch diejenigen, bei denen die konkrete Umbenennung noch nicht vollzogen wurde. Bereits umbenannte Straßen wurden mit einem Stern gekennzeichnet.
Nach der Einführung des Groß-Hamburg-Gesetzes im Jahre 1937, durch das z. B. Altona, Wandsbek, Harburg-Wilhelmsburg, Lokstedt, Niendorf, Schnelsen, Rahlstedt, Bramfeld, Lohbrügge und andere Gebiete, die heute Hamburger Stadtteile sind, nach Hamburg eingemeindet wurden, ergaben sich bei den Straßennamen häufig Doppelungen. So entschloss sich das NS-Regime 1938, „insbesondere Namen aus dem niederdeutschen Raum“ und „Personen der schleswig-holsteinischen Geschichte“ bei der neuen Straßennamenvergabe zu berücksichtigen.
Viele der für eine Umbenennung in Frage kommenden alten Straßennamen wurden in der NS-Zeit aber nicht mehr umbenannt. Eine Umbenennung nach den 1943 aufgelisteten neuen Straßennamen erfolgte für diverse Straßennamen dann nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. So wurde der Bräsigweg 1951 benannt.
Fritz Reuter (7.11.1810 Stavenhagen – 12.7.1874 Eisenach) wurde von den Nationalsozialisten instrumentalisiert. Dazu schreibt der Literaturwissenschaftler und Reuter-Forscher Arnold Hückstädt: „Fritz Reuter für die Mechanismen nationalsozialistischer Literaturpropaganda handhabbar zu machen, ist den Nazi-Ideologen nicht leicht geworden. Sie sahen sich, wo sie eine Einvernahme Reuters in ihre Blut- und- Boden-Mystik versuchten, gezwungen, das humanistische Anliegen seiner Kunst zu verdrehen, ja, seine Werke zu mißbrauchen. Nicht ein einziges Mal gelang ihnen das mit ganzer Konsequenz. Immer blieb da ein Rest, den sie nicht bewäItigten und der ihnen mehr als Unbehagen bereitete. Deklarationen vöIliger Eingliederung Reuters in den braunen Ungeist gab es zur Genüge: Reuter habe dazu beigetragen, ‚die Tore zum Dritten Reich‘ aufzustoßen. Das Dritte Reich verhelfe 'ihm und seiner volkstümlichen Dichtung zum Durchbruch‘ und schaffe 'seinem Werk freie Bahn‘. Seine Werke seien ‚das treue Spiegelbild einer Volksgemeinschaft, die wir Nationalsozialisten als Ideal erstreben'. (…)
Aus Ut mine Stromtid glaubten die Nazis vor allem eine Kronzeugenschaft Reuters gegen Judentum, Demokratie und Parlamentarismus ableiten zu müssen. (…) Über Moses, dem zugestanden wurde, ein doch ‚ehrlicher‘ und ganz ‚braver‘ Jude zu sein, verlautete das Nazi-Blatt, 'daß auch dieser Jude eben Jude bleibt und über die blutsmäßigen Anlagen seines Volkes nicht hinwegkommt. . . . Reuter ahnt also schon recht deutlich, was es mit den volksmäßigen Gegebenheiten des zwischenstaatlichen Judenvolkes auf sich hat, wenn auch die größte Erkenntnis auf diesem Gebiet dem Nationalsozialismus vorbehalten blieb' (…). Hitlers Chefideologe Alfred Rosenberg war einer der ersten, dem die Ungefügigkeit bewußt wurde, mit der sich Reuters Schriften und Figuren der nazistischen Einvernahme widersetzten. An Onkel Bräsig statuierte Rosenberg das Exempel seiner Reuterenttäuschung: ‚Bräsig sei doch das beste Beispiel dafür, wie 'volksunnahe' Reuter gedacht und geschrieben hätte. Ein blödelnderJunggeselle sei zur Zentralfigur eines dicken Romans gemacht worden, ein impotenter Sprachverschandler, nicht fähig, gesunden Nachwuchs zu zeugen, geschweige denn, für derlei volkspolitische Grundsätze überhaupt Interesse zu zeigen. Hinter Bräsig verberge sich Fritz Reuter, -- der demzufolge 'volkspolitisch‘ als untauglich einzustufen sei‘.
Eine Reihe einflußreicher Ideologen und Schriftsteller der NS-Zeit folgte den Ansichten Rosenbergs und rückte von Reuter ab. (…)
Dennoch: 1934 erhielt die Tobis Rota Film-Aktiengesellschaft von der Reichsfilmkammer den Auftrag, Reuters Stromtid zu verfilmen. (…). Der Reuterstreifen trug den Namen Onkel Bräsig. Was die Nazis von diesem Film erwarteten, ist einer Drehbuchbewertung zu entnehmen, die aus der Feder des Reichsdramaturgen Rainer Schlösser stammte. Er schrieb: ‚Es besteht kein Zweifel daran, daß erst der Nationalsozialismus in der Lage gewesen ist, Fritz Reuters Ideen zu dechiffrieren und sie in den Kosmos der neuen Welt einzuordnen. Der Kulturwille des deutschen Volkes hat uns dazu ermächtigt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Nicht alles bei Fritz Reuter geht auf den gesunden Kern des Deutschtums zurück. . .. Darum ist der Reuterfilm ein gutes Stück Aufklärung. Dem Trottel Bräsig und dem lüsternen Juden wird in der Gestalt des aufrichtigen Landjunkers der echte deutsche Typus entgegengestellt, der sich durchsetzt, zu reiner Liebe fähig ist und ein Geschlecht zeugen wird, das Bestand hat und die neuen Ideen verkündigen wird. Diesem Junker gehört unsere volle Sympathie'. - Was aber Drehbuch, hervorragende Schauspieler und der fertige Film nicht vermochten, war, Reuter und dessen literarische Vorlage in die ideologische Willfährigkeit der Nazis zu zwingen. Die Distanz der Nazis zu Reuter und dessen Stromtid wurde größer. Die programmatische Zeitschrift, Die Neue Literatur, erfüllte den Auftrag, deutsche Dichtung nazistisch einzufunktionieren, im Falle Fritz Reuters nicht. Mit Bedauern stellte die Zeitschrift 1938 fest, daß die ‚Volksgenossen immer noch dem alten Pharisäer Fritz Reuter verfallen‘ sind, daß 'dessen Werke, ungeachtet der Proteste ... der Reichsschrifttumskammer, immer noch in neuen Auflagen erscheinen, ja, daß Reuter ‚den gesegneten Stand des deutschen Bauerntums in den Dreck zog und die Helden der Ackerkrume als unwertes Leben im Sinne von Analphabeten und Blödianern darstellt' und daß er darum ‚in keiner Weise das Ideal des deutschen, völkischen Literaten‘ verkörperte. Die Auseinandersetzungen mit Fritz Reuter und seinem Werk wurden im wesentlichen innerhalb der ideologischen Führungskreise der NSDAP ausgetragen und vor der Öffentlichkeit weitgehend verborgen gehalten. Durchgreifende Verbotsmaßnahmen gegen Reuter, die übrigens schon formuliert waren, mußten zurückgenommen werden, weil, wie es in einem vertraulichen Dokument hieß, einer solchen Verfügung eingedenk der 'Popularität Fritz Reuters im Volke .. . ein negatives Echo beschieden sein dürfte‘. Das niederdeutsche Leserpublikum hielt seinem Fritz Reuter die Treue, wie sehr auch den Nazis dieses Treueverhältnis ein Dorn im Auge war.“ 1)
Onkel Bräsig ist eine Romanfigur aus Fritz Reuters Roman „Ut mine Stromtid“ (hochdeutsch: aus meiner Volontariatszeit: hier gemeint: Praktikum der Landwirtschaft), zuerst erschienen 1862.
Zur Handlung heißt es in Wikipedia: „Der Roman Ut mine Stromtid schildert Ereignisse aus dem Alltagsleben der Landbewohner Mecklenburgs, wie sie sich so wie geschildert um 1850 alltäglich zugetragen haben bzw. zugetragen haben könnten. Im Einzelnen geht es um die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Güter durch deren Verwalter (‚Inspektoren‘), um alltägliche, aber gleichwohl dramatische Überschuldungs-, Finanzierungs- und Versteigerungsprobleme, um das Weiterleben der nach Sterbefällen allein gelassenen Kinder im Haushalt gutherziger Ersatzeltern, um den Gegensatz zwischen hartherzigen Erwerbslandwirten (‚Dat Allens is Min‘) und weichherzigen Personen, die nach Fritz Reuter überall zu finden sind, wo man das am wenigsten vermuten würde (…).
Hauptperson des Romans ist der Pachtbauer Karl Hawermann, der sich nach dem Tod seiner Frau und der Unterbringung seiner zurückgelassenen kleinen Tochter bei dem Pastor Behrens, als Gutsverwalter des ‚Herrn Kammerrates‘, eines sanftmütigen Adeligen, verdient macht, den er u. A. dazu drängt, ein Landstück des Pastors Behrens zu pachten, dessen Frau seine Tochter aufgenommen hat. (…). Für das erwähnte Landstück hätte sich aber auch der hartherzige ‚Pomuchelskopp‘ interessiert, der aus diesem Grunde – von vornherein missgelaunt –- bei der Pastorenfamilie einen missglückten ‚Antrittsbesuch‘ absolviert. Schon durch seinen Namen gibt Pomuchelskopp dem Dichter Anlass zu vielen plattdeutschen Späßen. Seine Frau – ebenfalls hartherzig – nennt ihren Mann abwechselnd nur ‚Kopp‘ oder ‚Muchel‘, je nachdem, ob sie härtere oder mildere Töne bevorzugt; er selbst nennt sie abwechselnd ‚Min Hoening‘ (mein Hühnchen) oder ‚Min Klucking‘ (meine kleine Glucke).
Eine große Rolle in dem Roman spielt auch der gutherzige, behäbig-joviale ‚Entspekter Onkel Bräsig‘, der immer wieder im entscheidenden Moment auftaucht und scheinbar endgültige Verwirrungen herbeiführt, die er aber mit gesundem Menschenverstand rechtzeitig wieder aufknüpft. Er gibt außerdem Anlass zu zahlreichen humoristischen Einlagen – eine Paradefigur für das Schauspiel! –, z. B. indem er immer wieder ins Hochdeutsche verfällt und dabei regelmäßig ‚mir‘ und ‚mich‘ verwechselt. (…)
Versteckt hinter der volkstümlichen und humorvollen plattdeutschen Sprache und hinter den skurrilen Einwürfen des gutmütig-klugen ‚Entspekters Bräsig‘ übt Reuter an den abschreckenden Beispielen des hartherzigen Gutsbesitzers Pomuchelskopp und des missratenen Sohnes des ‚Kammerrates‘ indirekt gleichzeitig fundamentale Kritik, (…). Kritisiert werden die zurückgebliebenen Verhältnisse im damaligen vom Kleinadel dominierten Mecklenburg bzw. im preußischen Vorpommern, wo es noch schlimmer zugehe, weil dort alles so gemacht werde, wie es der Landrat für richtig hält.“ 2)
In den 1970er-Jahren entwickelte die ARD für das Fernsehen eine Fernsehserie über „Onkel Bräsig“. 1978 wurde sie erstmals zur regionalen Vorabendsendezeit in 28 Folgen ausgestrahlt.
Nach der Romanfigur „Onkel Bräsig“ ist sogar ein Angelverein benannt worden. Wie dieser zu dem Namen kam: „Um eine eventuell bevorstehenden Umbenennung nach einem DDR-Politiker oder Kommunisten zuvor zu kommen, suchte [der Grabower Angelverein] nach einem neutralen Namen. Da bot sich Onkel Bräsig gerade zu an, er ist keine reale Person und Fritz Reuter war aufgrund seiner politischen Tätigkeit in der Jenaer Burschenschaft in der DDR als prokommunistisch eingestuft. Am 20.01.1978 wird die Ortsgruppe Grabow in die ‚Betriebsanglergruppe Onkel Bräsig‘ 2804 Grabow in einer konstituierten Sitzung im Hotel Stadt Grabow (heute Hotel Stadt Hamburg) umbenannt. (…). Heute ist Angelverein "Onkel Bräsig" Grabow e.V. 19300 Grabow die genaue Bezeichnung des Vereins.“ 3)