Bruno-Tesch-Platz
Altona-Altstadt/Altona-Nord (2007): Bruno Tesch (22.4.1913 Kiel -1.8.1933 Altona hingerichtet), Klempner, Kommunist, Gegner des Nationalsozialismus, hingerichtet am 1.8.1933 wegen angeblicher Mordbeteiligung am Altonaer Blutsonntag Stolperstein Max-Brauer-Allee 89.
Vor der Benennung dieses Platzes war dies ein unbenannter Teil im Eckbereich Große Bergstraße/Jessenstraße.
Siehe auch: Karl-Wolff-Straße
Am 17. Juli 1932 marschierten 7000 SA- und SS-Männer uniformiert und teilweise bewaffnet durch Ottensen und Bahrenfeld in Richtung Altona. Starke Polizeikräfte schützten den Aufmarsch. Dieser öffentlich angekündigte Propagandamarsch stellte eine gezielte Provokation im bekanntermaßen „roten Altona" dar, Angriffe und gewalttätige Zwischenfälle waren zu erwarten. Die Anhänger der Kommunisten und der „Antifaschistischen Aktion" hatten Widerstand angekündigt und Häuserschutzstaffeln gebildet.
An der Ecke Große Marienstraße/Schauenburger Straße/Große Johannisstraße (heute Schomburgstraße/Walter-Möller-Park) in der KPD-Hochburg Altona-Altstadt kam es aus dem Umzug heraus zu gewalttätigen Übergriffen auf Passanten, heftige Auseinandersetzungen zwischen Zugteilnehmern und Gegendemonstranten folgten. Dabei fielen offenbar Schüsse, ob von SA-Männern oder von versteckten Schützen der Häuserschutzstaffeln, konnte nie geklärt werden. Die Situation eskalierte, als die Polizei massiv eingriff und in den winkligen Straßen und Gassen wahllos zu schießen begann. Bei dieser gewaltsamen Auseinandersetzung, einer der heftigsten am Ende der Weimarer Republik, gab es 80 zum Teil Schwerverletzte und 18 Tote, darunter zwei SA-Männer. Die meisten Opfer kamen durch Querschläger zu Tode, als die Polizei wild um sich schoss und die Kugeln von den Hauswänden abprallten. Dieser Tag ging als „Altonaer Blutsonntag" in die Geschichte ein.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme begann am 8. Mai 1933 der erste Prozess gegen 15 Angeklagte vor einem eigens eingerichteten Sondergericht im Gebäude des Landgerichts Altona, dem heutigen Amtsgericht in der Max-Brauer-Allee. Hauptvorwurf war die Ermordung der beiden SA-Männer Koch und Büddig aus dem berüchtigten Altonaer SA-Sturm 2/31. Am 2. Juni 1933 verurteilte das Sondergericht August Lütgens, Bruno Tesch, Karl Wolff [siehe: Karl-Wolff-Straße] und Walter Möller wegen angeblichen „gemeinschaftlichen Mordes" an den beiden erschossenen SA-Männern zum Tode. Stichhaltige Beweise, dass einer der vier Hauptangeklagten an der Tat beteiligt gewesen war, wurden nicht erbracht. Weitere Angeklagte erhielten hohe Zuchthausstrafen. Bei diesem ersten politischen Prozess einer den nationalsozialistischen Zielen dienenden Justiz sollte Macht bewiesen und ein Exempel statuiert werden.
Am 1. August 1933 wurden die vier angeklagten Männer auf dem Hof des benachbarten Gefängnisses mit dem Handbeil hingerichtet.
Erst mehr als 60 Jahre später, am 13. November 1992, hob das Hamburger Landgericht die auf zweifelhaften Zeugenaussagen und manipulierten Beweisstücken beruhenden Urteile auf und rehabilitierte die Hingerichteten.
Bruno Tesch:
Mit gerade zwanzig Jahren war der in Kiel geborene Bruno Tesch der jüngste der vier zum Tode Verurteilten. Er stammte aus einer italienischen Familie. Seinen leiblichen Vater, der im Ersten Weltkrieg gestorben war, hatte er nie kennen gelernt. Bruno lebte von seinem siebten bis zwölften Lebensjahr bei seinen Großeltern in Fiume in Italien. Als seine Mutter Virginia Hermann Tesch, Arbeiter und Betriebsratsmitglied bei den Altonaer Gaswerken, geheiratet hatte, kam der nun zwölfjährige Bruno nach Hamburg. Sein Stiefvater nahm ihn wie einen eigenen Sohn auf und gab ihm seinen Namen. Die Familie wohnte in der Schauenburgerstraße 34, der heutigen Schomburgstraße. Bruno hatte noch eine Schwester namens Virginia.
Mit 16 Jahren begann Bruno Tesch eine Klempnerlehre und besuchte die Berufsschule in der Museumsstraße. Nach seiner Gesellenprüfung war er arbeitslos wie viele Jugendliche und nahm am Freiwilligen Arbeitsdienst teil. 1930 trat er in die SAJ ein, die SPD-nahe Sozialistische Arbeiterjugend, wechselte aber ein Jahr später aus Enttäuschung über die Rüstungspolitik der SPD zum Kommunistischen Jugendverband. Vor dem Altonaer Blutsonntag hatte Bruno Tesch bei der organisierten Verteidigung gegen die zunehmenden Überfälle nationalsozialistischer Schlägertrupps auf linksgerichtete Berufsschüler mitgewirkt, in Altona war er bekannt. Schon im Februar 1932 hatten ihn drei SA-Männer in der Altstadt überfallen.
Auch Bruno Tesch war an diesem Altonaer Blutsonntag auf der Straße. Als er an der Ecke Schauenburger Straße/Johannisstraße stand, wurde er von einigen Kollegen aus dem Arbeitsdienst, die im Demonstrationszug mitgingen, erkannt, überfallen und getreten. Ein Polizist befreite ihn schließlich. Obwohl er aus einer Kopfwunde blutete, brachte er noch eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die vor einem Lokal in Bedrängnis geraten war, in einem Haus in der Großen Marienstraße in Sicherheit. Dann wurde er verhaftet. Genau dieser Augenblick wurde später vor Gericht als Zeitpunkt genannt, zu dem Bruno Tesch geschossen haben soll. Ein Beweis dafür, dass er getötet oder eine Pistole mit sich geführt hatte, wurde nie erbracht. Frühere Arbeitskollegen, drei SA-Männer, belasteten ihn, sie wollten gesehen haben, wie er eine Waffe wegwarf.
Zeugnisse aus der Berufsschule bescheinigten Bruno Tesch gutes Betragen, Fleiß und Ordnungsliebe. Sein Gewerbelehrer schrieb in einem Brief an seinen Verteidiger: „Während der besonders im Jahre 1931/32 gesteigerten politischen Betätigung aller Jugendlichen übernahm er oft die Rolle des Beschützers anderer, körperlich nicht so stark entwickelter Mitschüler. Dadurch war er zwar öfters in Streitereien verwickelt, ohne allerdings von sich aus irgendwie den Angreifer zu spielen." Seiner Meinung nach hatte Bruno Tesch die Schule „als Mensch von aufrichtiger und anständiger Gesinnung" verlassen. (…)
Dem Gericht lag auch ein schriftliches Zeugnis des Pastors der Hauptkirche vor, in der Bruno Tesch konfirmiert worden war: „Man hatte das Gefühl rechtschaffener Tüchtigkeit bei ihm. Er lernte seine Aufgaben, aber er zeigte erst, daß er es konnte, wenn er dazu aufgefordert wurde. Auch bei dummen Streichen, die vorkamen, benahm er sich vorteilhaft. War er daran beteiligt, so war er nicht feige und verschmähte die Lüge. [...] Er machte überhaupt den Eindruck eines nicht nur gut erzogenen, sondern eines gut gearteten jungen Menschen."
Bruno Tesch saß in Einzelhaft und führte ein Gefängnistagebuch. „Ich habe bei der Verkündung nur ein starkes Rauschen verspürt, und da […] klang die Stimme des Richters durch. Nur einmal wäre es beinahe mit meiner Fassung vorbei gewesen, als ich das Weinen meiner Mutter heraushörte. Ich riss mich aber zusammen, denn ich hatte mir geschworen, den Leuten, die ja nur darauf lauerten, kein Schauspiel zu bieten. Nachher bei der Begründung hat mich das Theatralische des Richters innerlich belustigt, denn er ging ja wie die Katze um den heißen Brei herum, um ja nicht über seine Verdrehungen selbst zu erröten. Ich glaube bestimmt, dass er als erfahrener Richter die Aussagen des größten Teils der SA-Leute als das durchschaut hatte, was sie waren, als Lügen [...]. Der große Umschwung in der Stimmung kam erst ein paar Tage später, als die richtige Überlegung wiederkehrte; als ich mir vorstellte, dass ich erst zwanzig Jahre alt bin – wirklich nichts getan hatte – und dennoch zum Tode verurteilt wurde [...]. Für mich ist immer noch ein Trost zu wissen, dass ich, wenn ich hingerichtet werde, in der Arbeiterschaft nicht vergessen werde."
Bis zuletzt hoffte Bruno Tesch auf Begnadigung. Doch alle Gesuche der Angeklagten und Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurden abgelehnt. (…)
1.8.1933: „Liebe Mutter! Nun ist es endlich soweit. Die Begnadigung ist abgelehnt. Wenn du diesen Brief bekommst, dann lebe ich nicht mehr. Liebe Mutti, dass ich dir so einen Kummer bereiten musste, das schmerzt mich tief. Du glaubst es gar nicht. Ich bitte dich herzlich, nehme es nicht so schwer, tue es (nicht) mir zuliebe. Siehe, ich nehme es auch nicht so schwer. Wir unterhalten uns sehr ruhig, die Beamten sind sehr freundlich. Ich habe Kuchen und Tabak, alles was ich mir wünsche. Liebste Mutti, ich bitte dich, überwinde dies um meinetwegen. Du mußt leben bleiben um meine Unschuld ans Tageslicht zu bringen. Das ist mein letztes Vermächtnis an dich, du mußt es an den Tag bringen, was für ein grässlicher Justizmord hier verübt wurde. [...] Es ist vielleicht besser, als wenn ich Jahre im Zuchthaus gesessen hätte. Mein Leben wäre dann doch verpfuscht. Du hast vielleicht manchmal gedacht, dass ich dich nicht liebe, aber ich konnte meine Liebe nicht zeigen. Es lag mir nie. Aber ich habe dich sehr geliebt. Verzeih mir bitte, wenn ich manchmal recht lieblos zu dir war, aber es war Nervosität. [...] Es grüßt dich liebe Mutti zum letzten mal dein dich innigliebender Sohn Bruno.
Der Rechtsanwalt wird dir von meiner letzten Stunde berichten. Soeben erfahre ich, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt wurde. Leb wohl, geliebte Mutter, die Uhr ist jetzt 5, in einer halben Stunde hat mein Herz aufgehört zu schlagen. Sei recht tapfer, ich bin es auch. [...] Es küsst dich herzlich dein einziger Sohn Bruno."
Text: Birgit Gewehr
Text entnommen aus www.stolpersteine-hamburg.de