Lawaetzweg
Altona-Altstadt (1950): Johann Daniel Lawaetz (19.2.1750 Rendsburg -7.10.1826 Neumühlen/Hamburg), Kaufmann, Etatsrat, Direktor der Armenkolonie Friedrichsgabe.
Siehe auch: Salomon-Heine-Weg
Siehe auch: Döringweg
Siehe auch: Caspar-Voght-Straße
Vor 1950 hieß die Straße Kleine Westerstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Lawaetzweg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es aber nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1950 bei Kleine Westerstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Johann Daniel Lawaetz war der Sohn von Hedwig Christiane Lawaetz, geborene Otte (22.2.1723 - 18.12.1792 Altona) und Hinrich Franz Lawaetz. Sein Vater starb, als Johann Daniel zwölf Jahre alt war. Bis dahin von Hauslehrern erzogen, kam er nun in die kaufmännische Lehre.
Seine berufliche Laufbahn hat Johann Daniel Lawaetz auch seiner Mutter und deren familiären Verbindungen zu verdanken. Seine Mutter entstammte einer Eckernfördener Reedersfamilie. Ihr Vater war der Großkaufmann und Reeder Christian Otte. Dazu schreibt der Volkskundler und leider früh verstorbene Manfred von Essen: „Die Familie Otte unter Führung von Lawätz‘ Onkel, Friedrich Wilhelm Otte, gehörte zu den einflussreichsten Familien in Schleswig-Holstein in der Mitte des 18. Jahrhunderts. (…).
Lawätz verdankte seine Stellung bei der Firma Pierre His, dem größten und renommiertesten Handelshaus Hamburgs, den Verbindungen Friedrich Wilhelm Ottes. Seine Kenntnisse des ‚Fabrikwesens‘ erhielt Lawätz u. a. in der Firma seines (angeheirateten) Vetters Niels Ryberg in Kopenhagen. Diese Kenntnisse erweiterte Lawätz auf der anschließenden, fast dreijährigen Reise durch Europa, die durch den Anteil am Otte‘schen Erbe finanziert wurde.
Die Verleihung des ‚Hofagenten‘-Titels bei der Niederlassung in Altona ging nicht zuletzt auf den Einfluss Niels Rybergs zurück. Die Gründung eines eigenen Handelshauses und die Aufnahme der Geschäfte wurde erleichtert durch die Beziehungen und Erfahrungen, die Lawätz während seiner elfjährigen Tätigkeit bei der Firma Pierre His erwerben konnte. Diese Beziehungen und der familiäre Hintergrund müssen der Grund dafür gewesen sein, daß er schon im Jahr der Niederlassung in die Direktion der Altonaer Girobank berufen wurde. Die verwandtschaftlichen Bande wurden 1801/02 auch wirksam im Zusammenhang mit dem Privilegium für die Wollmanufaktur und die Anlage am Elbufer, einerseits durch den Neffen Heinrich Joachim Lawätz als ‚Bevollmächtigten‘ im ‚Bureau des Fabrikations- und Industrie-Fachs‘ und andererseits durch den vorerwähnten Niels Ryberg.“ 1)1778, als sich Johann Daniel Lawaetz als Kaufmann und Manufakteur in Altona niederließ, heiratete er die Hamburger Kaufmannstochter Catharina Maria Langhof (Lebensdaten nicht bekannt). Das Paar blieb kinderlos.
1793 erwarb Lawaetz am Elbuferhang in Neumühlen einen großen Landbesitz mit einer dort vorhandenen Ölmühle und einer Kalkfabrik. Weiterer Grundbesitz kam hinzu, auf dem er sich zum Beispiel ein großes Landhaus mit Blick auf die Elbe erbauen ließ.
Sein Geld verdiente er mit seinen Fabriken, aber auch durch die für ihn arbeitenden flachs- und hanfspinnenden - meist Frauen -, die in Holstein wohnten und in Heimarbeit (Verlagssystem) in ihren Wohnungen dieser Tätigkeit nachgingen. Nach Angaben von Lawaetz sollen es 600 bis 800 Menschen gewesen sein. „In den Armenanstalten seiner Heimatstadt Rendsburg arbeiteten nach Aufzeichnungen vom 11. Februar 1797 etwa 400, darunter 163 Soldaten des dortigen Militärs. Die übrigen Arbeitskräfte waren Frauen und Kinder.“ 2)
1802 ließ Laweatz auf seinem Grundstück in Neumühlen eine Manufaktur errichten. In seiner Tuch- und Leinenmanufaktur und in der Woll- und Segeltuchmanufaktur sowie in der Bleiche und in der Strumpfmanufaktur beschäftigte Laweatz insgesamt mehrere hundert Menschen. Viele der dort zu verrichtenden Tätigkeiten wurden von Frauen ausgeführt.
An der Ausbreitung und Entwicklung der industriellen Produktion und damit der Fabriken – damals noch Manufakturen – sowie der Herausbildung des Kapitalismus hatten auch Kolonial-Kaufleute einen nicht geringen Anteil, indem sie die Preise für die nach Übersee exportierten Waren hoch ansetzten und zu niedrigen Preisen in den Kolonien die dort vorhandenen Rohstoffe einkauften. Mit dieser Praxis wurden große Gewinne erzielt. „Die Anhäufung großer Geldvermögen wurde beschleunigt durch die brutale Kolonialpolitik in Form von (…) Rohstoffausbeutung und Sklavenhandel. Ohne dieses Geldkapital wäre der Durchbruch der industriellen Produktion so nicht möglich gewesen. Die erweiterten Märkte und die großen Vermögen förderten die Entstehung neuer Produktions- und Unternehmensformen wie Verlagssystem, Manufakturen und Fabriken,“ 3) schreiben Ingrid Bauer, Jochen Bohnsack, Heinz Brüdigam und Ulrike Linke in ihrer Publikation „Armut, Arbeit und bürgerliche Wohltätigkeit. Johann Daniel Lawaetz und seine Zeit“. Und sie erklären weiter: „Neue Absatzmärkte ergaben sich (…) in dem nun unabhängigen Nordamerika und in den westindischen Kolonien Dänemarks. Geliefert wurden besonders Leinwand aus Westfalen und Schlesien, Strümpfe und Webwaren, zurück kamen die Altonaer Schiffe mit Kaffee, Kakao, Zucker, Tabak, Reis und Baumwolle. (…) ‚Die Kauffahrteischiffe der van der Smissen [siehe: Van-der-Smissen-Straße], Matthiesen, Baur [siehe: Baurs Park], Donner [siehe: Donnerstraße], Dultz, Lawaetz u. a. waren ständig unterwegs nach Skandinavien, Rußland, Holland, Frankreich, der iberischen Halbinsel, den Mittelmeerländern, namentlich nach Nordafrika und der Türkei, ferner nach Westindien und Asien.‘“4)
Durch die Lohnpolitik, die Lawaetz auf dem Gebiet des Verlagswesens betrieb, blieben die Erwerbstätigen in Armut, denn er zahlte einen sehr geringen Lohn, von dem man sich kaum ernähren konnte. Das änderte sich auch nicht, als er dazu überging, Armen Arbeit zu verschaffen, indem er zum Beispiel ab 1797 verschiedene Manufakturen und Werkstätten errichten ließ. Doch solange die Löhne so gering waren, dass kaum das Existenzminimum damit bestritten werden konnte, blieben trotz Erwerbstätigkeit die Menschen in Armut. Das traf besonders Frauen, die zum Beispiel als Spinnerinnen und Strickerinnen tätig waren. Sie bekamen grundsätzlich weniger Lohn als Männer für gleichwertige Arbeit, weil die Arbeit der Frauen in der patriarchalen Gesellschaft als Zuverdienst zum Einkommen des Ehemannes betrachtet wurde. Viele der armen Frauen hatten aber gar keinen „Ernährer“, waren Witwen, alleinlebend oder Mütter von noch nicht arbeitsfähigen Kindern.
Für Hamburg lässt sich eine direkte Verbindung von Zugehörigkeit zum Stand der Armen und Arbeit in Manufakturen nachweisen. Das scheint in Altona nicht anders gewesen zu sein. Der größte Teil der Armut erwuchs aus ökonomischen Zwängen, war nicht selbst verschuldet. 5) Um 1800 gehörten nur 5% der Einwohnenden zur „Oberschicht“, dagegen 55% zu den „Unterschichten“.
Philanthropen und Aufklärer des 18. Jahrhunderts sahen die Lösung, aus der Armutsschicht herauszukommen, die in den Handelsmetropolen immer deutlicher sichtbar wurde, in der Hilfe zur Selbsthilfe. Im Wikipedia Eintrag zu Lawaetz heißt es dazu u. a. „Aus der Erkenntnis des Zusammenhangs zwischen Staats- und Wirtschaftskrisen und deren Auswirkungen vor allem für die, wie er sie nannte, ‚unteren Bevölkerungsschichten‘, leitete Lawaetz die Notwendigkeit einer staatlichen Arbeitspolitik ab. (…)
1815 erschien sein Buch mit dem Titel: Über die Sorge des Staats für seine Armen und Hülfsbedürftigen. Der Kerngedanke der Schrift war es, Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit nicht mit Almosen, sondern durch ‚Gelegenheit und Mittel‘ zu bekämpfen, die ‚ihn (den Hülfsbedürftigen) auf den selbst gewünschten Weg des Erwerbs bringt‘, also Hilfe zur Selbsthilfe. (…)“. 6) Außerdem sollten die Armen zur Arbeit moralisch erzogen werden. Betteln wurde verboten. Bettlerinnen und Bettler kamen ins Werk- und Zuchthaus, wurden dort zur Arbeit „erzogen“ und hatten Arbeiten für Manufakturbesitzer zu verrichten.
Die Hilfe zur Selbsthilfe musste scheitern, wenn die Manufakturbesitzer und andere Unternehmer den Arbeitenden kein existenzsicherndes Einkommen zahlten.
Auch die im 18./19.Jahrhundert eingerichteten Allgemeinen Armenanstalten, die arbeitssuchende Arme an Manufakturbesitzer vermittelten und für diese Arbeitskräfte ein Viertel des Lohnes übernahmen, erreichten nicht, dass sich diese Menschen durch Erwerbstätigkeit aus der Schicht der Armut befreien konnten. Die Manufakturbesitzer stellten zwar gern die bei der Armenanstalt gemeldeten Personen ein, weil deren Lohn zu einem Viertel von der Armenanstalt übernommen wurde. Doch der ausgezahlte Lohn blieb weiterhin meist so gering, dass damit das Existenzminimum nicht oder nur mühsam bestritten werden konnte.
Johann Daniel Lawaetz rief „1812 die ‚Schleswig-Holsteinische patriotische Gesellschaft ins Leben, die sich vor allem des Armenwesens und der Agrarreformen annahm. 1821 schuf er die Armenkolonie Friedriksgabe, als Friedrichsgabe dann eine der Keimzellen der heutigen Stadt Norderstedt. Caspar Voght, [siehe: Caspar-Voght-Straße] dessen Mustergut Flottbek zu einem Mittelpunkt moderner Landwirtschaft in Deutschland wurde, gehörte zu Lawaetz‘ Mitstreitern.“ 6)
Unter Armenkolonien verstand Lawaetz: „Ich verstehe hierunter keine kostbare, keine durch Einberufung fremder Auswandrer bewirkte Anlagen, sondern einfache, mit strengster Oeconomie für einheimische unbemittelte, zur Arbeit geneigte Menschen, die sich mit dem Anbau und der Benutzung ungebrauchter Landstrecken beschäftigen lernen, einzurichtende Colonien.“7)
Wer zu den Kolonisten zählen sollte, beschrieb Lawaetz wie folgt: „A. Nur Dürftige, ohne Unterschied der Religion, die den einheimischen Armenkassen, entweder jetzt schon zu Last fallen, oder diesem nahe zu seyn, von den Communen- und Armenvorstehern anerkannt werden, mithin keine, die schon im Besitz eines ernährenden Gewerbes sind, oder als Arme, aus der Fremde einwandern, können in diesen Kolonien zugelassen werden.“ 8)
In Hochzeiten der Kolonie lebten in Friedrichsgabe rund 196 Personen.
Solche Armenkolonien stießen aber auch auf Kritik. Pastor Claus Harms sah darin „eine Verbannung der Armen“ und sprach sich auch „gegen die beabsichtigte Zucht und Ordnung.“ aus. 9)
Unterstützt wurde Lawaetz von dem dänischen König Frederik VI. Dieser gab das Land – deshalb auch der Name Frederiksgabe (heute: Friedrichsgabe). Der Bau und die Unterhaltung der Kolonie sollten durch den Erwerb von Aktien gesichert werden. Lawaetz verpfändete sein Erbe in Neumühlen, Bürger aus Altona und Hamburg kauften Aktienbriefe, darunter auch Salomon Heine (siehe: Salomon-Heine-Weg).
Doch schon bald gab es wegen der Kolonie Auseinandersetzungen, und zwar „zwischen der Kolonialdirektion und dem Landdrosten Döring [siehe: Döringweg], dem verantwortlichen königlichen Verwalter der Herrschaft Pinneberg. Er war mißtrauisch gegenüber der Kolonie und ihren Bewohnern und forderte Sonderregelungen für das Institut, da es nur zufällig in Pinneberg liege, aber ansonsten mit seiner Herrschaft nichts zu tun habe und ein Eigenleben führe. In der Frage des Heimatrechts konnte der Landdrost sich durchsetzen. Kein Siedler durfte in Frederiksgabe Heimatrecht erwerben. Für Versorgungsansprüche der Kolonisten und ihrer Familienangehörigen blieb die Herkunftsgemeinde zuständig. In den meisten Fällen war es Altona. Für den Fall der Ausweisung aus der Kolonie oder des Wegzugs mußten die Kolonisten wieder in die vorherige Kommune aufgenommen werden.
Zum fehlenden Heimatrecht kam noch hinzu, daß die Koloniebewohner den Grund und Boden, den sie bearbeiteten nie als Eigentum erwerben konnten. Sie blieben, so sie nicht wegzogen oder ausgewiesen wurden lebenslang ‚Landlose‘ (…).
Gleichzeitig wurde ihnen aber der Einsatz aller Kräfte und die Befolgung einer strengen Disziplin abverlangt. Daß solche Umstände nicht die Arbeitsfreude steigerten, liegt auf der Hand.“,10) schreiben Ingrid Bauer, Jochen Bohnsack, Heinz Brüdigam und Ulrike Linke.
Besonders schwierig war die Kultivierung des Bodens, denn es handelte sich um einen sandigen, unfruchtbaren Boden. Außerdem gab es kein Wiesenland für Heu und auch die Wasserversorgung ließ erheblich zu wünschen übrig. 11)
Nach dem Tod von Johann Daniel Lawaetz übernahm sein Neffe Heinrich Friedrich diesen Aufgabenbereich. Er leitete die Kolonie bis zu seinem Tod 1851. „Er konnte die angestrebten Ziele noch weniger umsetzen als sein Onkel. Das Projekt war endgültig zum Scheitern verurteilt.“ 12)
160 Jahre nach dem Ableben von Johann Daniel Lawaetz, der noch zu Lebzeiten die Gründung eines Instituts angeregt hatte, wurde: „die gemeinnützige Johann Daniel Lawaetz-Stiftung (kurz Lawaetz-Stiftung) als Stiftung des bürgerliches Rechts 1986 durch die Freie und Hansestadt Hamburg“ 13) [ins Leben gerufen]. Als Stiftungskapital stellte die Hansestadt das Lawaetz-Haus, Neumühlen 16–20, am Fuß des Elbhangs zur Verfügung. (…). Ziel der in Hamburg ansässigen Stiftung ist nach eigener Aussage, sozial- und wirtschaftlich benachteiligten Personengruppen über innovative Methoden der Mobilisierung von Selbstorganisationspotenzialen Zugänge zum Arbeits-, Ausbildungs- und Wohnungsmarkt zu ermöglichen. (…).“ 14)