Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Wichernsweg

Hamm-Mitte, seit 1890, benannt nach dem Theologen Johann Hinrich Wichern, ergänzt 2001/ 2002 um die ebenso bedeutende Ehefrau Amanda Wichern. Neuer Erläuterungstext: benannt nach dem Ehepaar Johann Hinrich W. (21.4.1808 Hamburg – 7.4.1881Hamburg), Theologe, Gründer des Rauhen Hauses, und Amanda W. (12.9.1810 Hamburg – 7.5.1888 Hamburg), Leitende Mitarbeiterin ihres Mannes


Siehe auch: Amalie-Sieveking-Weg
Siehe auch: Elise-Averdieck-Straße
Siehe auch: Marianne-Wolff-Weg
Siehe auch: Friedrich-Naumann-Straße, Heimfeld, seit 1929: Dr. Friedrich Naumann (1860–1919), Mitbegründer der DDP, Mitglied der Weimarer Nationalversammlung, Reichstagsabgeordneter
Siehe auch: Rautenbergstraße, St. Georg, seit 1899: Johann Wilhelm Rautenberg (1791–1865), Pastor
Siehe auch: Sievekingdamm, Hamm, seit 1945: Dr. Karl Sieveking (1787–1847), Senatssyndikus, seit 2018 nach Amalie Sieveking
Siehe auch: Wicherns Garten, Hamm-Mitte, seit 1930: Johann Hinrich Wichern (1808– 1881)
Siehe auch: Nicolaus-Heinrich-Julius-Weg

Das Rauhe Haus fungierte als Rettungshaus für „verwahrloste“ „Unterschichtkinder“.

Johann Hinrich Wichern: wurde in Hamburg als ältestes von acht Kindern in einem christlichen Elternhaus geboren. Der Vater Johann Heinrich hatte sich vom Kutscher zum Notar hochgearbeitet. Die Mutter, Caroline Maria Elisabeth, geb. Wittstock, wird als energisch, fromm und praktisch beschrieben.

Wichern besuchte eine Privatschule und wurde dort nach den Lehren des Pädagogen Pestalozzis (siehe: Pestalozzistraße) unterrichtet. Später kam Johann Hinrich Wichern auf das Johanneum.

Als Wichern fünfzehn Jahre alt war, starb der Vater, und Wichern musste für den Lebensunterhalt der Familie mit aufkommen. Er gab Nachhilfe; seine Mutter vermietete Zimmer und handelte mit Wolle.

Noch vor dem Abitur verließ Wichern die Schule und wurde Erzieher in einer christlichen Erziehungsanstalt. Hier entwickelte sich auch sein Selbstverständnis als Christenmensch. Er holte sein Abitur nach, studierte Theologie in Göttingen, später in Berlin – finanziert u. a. von Amalie Sieveking (siehe: Amalie-Sieveking-Weg) – und wandte sich der christlichen Erweckungsbewegung zu.

Nach dem Examen kehrte er nach Hamburg zurück und wurde 1832 Oberlehrer und Leiter der u. a. von Johann Wilhelm Rautenberg (siehe: Rautenbergstraße) initiierten Sonntagsschule der Evangelischen Kirchengemeinde im damaligen Armenviertel St. Georg. Wichern betreute rund 400 Kinder und Jugendliche, die „wegen der Armut ihrer Eltern oder Pflegeeltern die Wochenschule nur sparsam und zu Zeiten gar nicht besuchten“. Nach Wicherns Auffassung lag die Hauptursache der Armut im „zunehmenden Sittenverderben des Volks, das einzig und allein aus der herrschenden Irreligiösität, der Verachtung des wahren Christentums und dem gottlosen Unglauben entsteht“. 1) Eine weitere Ursache der Armut sah Wichern in den zerrütteten Familienverhältnissen des Proletariats.

Als Wichern älter wurde, empfand er den Sozialismus und die Arbeiterbewegung als eine Gefahr, denn er hielt beides für zu materialistisch ausgerichtet und gottesfeindlich.

1833 gründete Johann Hinrich Wichern in Hamburger Vorort Horn die Anstalt „zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“ (Rauhes Haus). Der Hamburger Syndikus Karl Sieveking (siehe: Sievekingsallee) hatte ihm hierfür ein Bauernhaus mit Grundstück überlassen. Im Laufe der Zeit kamen weitere Gebäude hinzu, dazu auch Landwirtschaft und Werkstätten. Im Rauhen Haus sollten so genannte verwahrloste Kinder bis zur Konfirmation „Zuflucht finden und Erziehung bekommen, die durch die Eltern nicht geleistet werden konnte“. Die Kinder lebten in Gruppen, wurden von einem Gehilfen, bzw. einer Gehilfin (Bruder/Schwester) betreut und christlich erzogen. Sie erlernten Rechnen, Lesen und Schreiben und wurden auch an Handwerke bzw. häusliche Dienste herangeführt und so auf eine Lehre vorbereitet.

Nachdem Johann Hinrich Wichern 1833 mit seiner Mutter und seiner Schwester ins Rauhe Haus gezogen war, die ersten zwölf Jungen hier untergebracht worden waren und ein Jahr später bereits ein weiteres Haus gebaut worden war, wurden ab 1835 auch Mädchen im Rauhen Haus aufgenommen. Im selben Jahr heiratete Johann Hinrich Wichern Amanda Böhme. Er hatte die junge Frau in der Sonntagsschule von Pastor Rautenberg, wo sie als Sonntagsschullehrerin tätig war, kennen und lieben gelernt.

Amanda Böhme, geboren am 12. September 1810 in Hamburg, hatte mit ihren Eltern – ihr Vater war Direktor der hamburgischen Feuerversicherungskasse – und Geschwistern am Besenbinderhof gewohnt. Als Amanda dreizehn Jahre alt war, starb ihre Mutter. Amanda, dunkelhaarig und klein von Statur, sanftmütig und gelassen, übernahm die Erziehung ihrer jüngeren Geschwister – und damit war der Grundstock für ihre weitere Lebenslaufbahn gelegt.

Im Rauhen Haus wohnte das junge Paar mit Wicherns Mutter Caroline im Mutterhaus. Amanda ging der Schwiegermutter bei der Haushaltsführung zur Hand und wollte es der Schwiegermutter recht machen. Doch es gab Konflikte und so manche heimlich vergossene Träne, bis der Gatte es eines Tages bemerkte und eine Aussprache mit seiner Mutter führte. Danach übergab er seiner Frau einen Teil seiner Geldgeschäfte und stellte für die Hilfe im Haushalt eine Küchen- und eine Wäschefrau ein. Damit schien der Konflikt zwischen Schwiegertochter und Schwiegermutter bereinigt gewesen zu sein.

1836 kam Amanda Wicherns erstes Kind zur Welt. Dazu gesellten sich im Laufe der nächsten Jahre noch weitere acht Kinder. Ein Kind starb bereits im Kindesalter, ein weiteres wurde im Alter von 22 Jahren als Soldat im Krieg getötet.

Die Arbeit im Rauhen Haus reichte Wichern nicht, er wollte solche „Werke rettender Liebe“ in ganz Deutschland anregen. Deshalb unternahm er viele Vortragsreisen. Als 1848 die bürgerliche Revolution ausbrach, verurteilte er diese als Erhebung gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit. Er hatte die Vorstellung, dass die Gesellschaft nur durch christliche Liebe, die sich in der inneren Mission zeige, gerettet werden könne. „Im September 1848 versammelten sich rund 500 Männer der evangelischen Kirche, der Universitäten und kirchlich interessierte Bürger in Wittenberg (…). Getragen war die Zusammenkunft von dem Wunsch, die verschiedenen Strömungen des Protestantismus und die verschiedenen protestantischen Landeskirchen in einem Kirchenbund zu vereinigen und damit den politischen Forderungen nach deutscher Einheit auf kirchlichem Gebiet zu folgen. Auch Wichern nahm an dieser (…) Versammlung teil und hielt (…) eine entscheidende Rede (…). Er rief (…) dazu auf, die innere Mission endlich als große, gemeinsame Aufgabe der evangelischen Kirche anzuerkennen.“ 2)

In dieser Rede legte Wichern den Grundstein für die „Innere Mission“. Er führte aus, „dass, während sich der revolutionäre Schrecken über ganz Europa wie ein großes Netz verbreitet habe und die Sendboten in immer größerer Zahl zu den Heiden hinausgezogen seien, der Gedanke nahe gelegen habe, im eigenen Hause, in der Heimat, Missionstätigkeit zu üben. So sei der Name der Inneren Mission aus den Kreisen derer entstanden, welche die äußere Mission betrieben. Aber die hier zu leistende Hilfe sei und bleibe unvollkommen, wenn sich der Blick nicht erweitere ins staatliche und politische Leben. Der Staat erfordere diese Arbeit ebenso sehr wie die Kirche. Die tiefsten sittlichen Grundlagen, auf denen das staatliche Leben beruhe, seien erschüttert, ja zum Teil bereits ins Bodenlose versunken, daher die Revolution und die drohende Anarchie. Hierher gehöre auch das Gebiet der Verbrechen. Die Hebung des geistlich-sittlichen Zustandes müsse mit der Hebung der materiellen Armut und der Pflege der Kranken im Rahmen einer kirchlichen Diakonie einhergehen, die wiederum Anlass zur Missionierung böte, denn ‚alles aber werde überboten von dem furchtbaren Zustand des Proletariats in den großen Städten des Vaterlands.‘

Die Re-Missionierung in Deutschland sollte somit nicht zuletzt der Niederhaltung von Aufständen und Revolutionen dienen, die als Ausfluss der Sünde eines unchristlichen Lebens interpretiert wurden“, 3) schreibt Frigga Tiletschke in ihrer Dissertation „ ‚Afrika müssen wir auch haben!‘ Die Bethel-Mission in Ostafrika 1885 – 1970.

„Wicherns christlicher Ethos floss auch in die Geschichte des politischen Liberalismus. Einer seiner Bewunderer war Friedrich Naumann [siehe: Friedrich-Naumann-Straße].“ 4)
Wichern gründete die erste deutsche „Innere Mission“, die in Hamburg „Stadtmission“ hieß, in Hamburg. Die Helferinnen und Helfer besuchten arme Familien, boten christlichen Lesestoff, Rat und Hilfe bei der Erziehung und bei der Pflege von Wöchnerinnen an und unterrichteten arme Kinder.

Während Johann Hinrich Wichern auf Reisen war, übernahm seine Ehefrau die vielfältigen administrativen Arbeiten für den Geschäftsbetrieb des Rauhen Hauses. Sie war nicht nur – obwohl auch dies schon erheblich war – Mutter und Hausfrau, sie war auch Verwalterin und Managerin des Rauhen Hauses und leitete das Haus in Abwesenheit ihres Mannes. Auch war sie für die im Rauhen Haus aufgenommenen Mädchen und deren Arbeitsgebiete zuständig.

Zum Rollenverständnis zwischen Mann und Frau äußerte sich Johann Hinrich Wichern wie folgt: „Mutter zu sein, ist der erste Beruf einer Frau. Ihr Wirkungskreis ist das Haus. Als Organ, als Diakon Gottes, dient sie dem Tisch, wie der Mann dem Worte dient. Der Dienst bei Tische ist dem Dienst des Mannes am Wort nicht untergeordnet, sondern nebengeordnet. Über diese Trennung jedoch darf kein Zweifel bestehen.

Die Frau hat sich nicht in den lärmenden Streit der Männer zu mischen, und in der Kirche hat sie zu schweigen. Mann und Frau gehören zueinander wie die Räder einer Achse. Sie helfen sich gegenseitig, fortzukommen. Ich bin der Außenminister des Rauhen Hauses und Du der Finanzminister.“

Als in den 1850er-Jahren das Preußische Gefängniswesen reformiert werden sollte, wurde auch Wicherns Hilfe benötigt. Er wandte sich gegen Zuchthausdrill, Misshandlungen in Zuchthäusern sowie Massenunterbringung in Zuchthauszellen und plädierte stattdessen für Einzelhaft. In seiner Funktion als Vortragender Rat für die Strafanstalten und das Armenwesen im Innenministerium gründete Wichern, der neben dieser Arbeit weiterhin die Leitung des Rauhen Hauses innehatte, 1858 in Berlin das Brüderhaus Johannisstift u. a. zur Ausbildung von Gefangenenaufsehern auf christlicher Grundlage. „Allerdings lehnten viele Experten und die liberale Mehrheit des Preußischen Abgeordnetenhauses die Ausbildung des Gefängnispersonals nach Wicherns Vorstellungen ab. Sie befürchteten Indoktrination der Gefangenen durch eine christliche Aufseherschaft.“ 5) Nach der Abdankung des Königs wurde die Gefängnisausbildung nicht verlängert; Wichern war tief enttäuscht.

1856 waren Amanda Wichern und zwei ihrer Töchter ihrem Mann nach Berlin gefolgt. Die anderen Kinder waren entweder in einem Internat untergebracht, absolvierten eine Lehre oder lebten bei der Großmutter, um in Hamburg weiterhin zur Schule gehen zu können.

Im Laufe der Jahre bekam Johann Hinrich Wichern mehrere Schlaganfälle, seinen ersten 1866. Nach seinem zweiten Schlaganfall 1871 wurde er vom Staatsdienst beurlaubt, und das Ehepaar Wichern kehrte ganz nach Hamburg ins Rauhe Haus zurück. Wichern begann an Depressionen zu leiden. 1873 übernahm sein Sohn Johannes das Vorsteheramt. 1874, nach seinem dritten Schlaganfall, schied Johann Hinrich Wichern aus dem preußischen Staatsdienst aus.
Sieben Jahre bis zu seinem Tod pflegte Amanda aufopferungsvoll ihren Mann. Am 7. April 1881 wurde die Achtzigjährige Witwe. Fünf Jahre später erblindete sie und starb zwei Jahre darauf am 7. Mai 1888.

Die Tochter: Amanda Caroline Wichern
Wicherns älteste Tochter Amanda Caroline (13.9.1836 Hamburg Horn – 22.3.1906 Hamburg-Horn) „hatte mit ihrem Vater in engster Gemeinschaft gestanden. Sie war musikalisch sehr begabt und half ihrem Vater bei der Herausgabe nicht nur der ersten, sondern auch weiterer Auflagen des weit verbreiteten Rauh-Häusler-Liederbuches, so dass sie schließlich selbst die Herausgeberin diese Sammlung deutscher und volkstümlicher Lieder wurde. Sie trat mit Liedern auf und gab Gesangsunterricht. 1881 folgte sie einem Ruf in ein College in Manchester, 1896 kehrte sie nach Hamburg zurück. wo sie im Rauhen Haus als Dirigentin tätig war und Gesangsunterricht gab. 1900 dirigierte sie in Hamburg ein Orchesterkonzert mit eigenen Kompositionen. Sie gab Liedersammlungen heraus, bearbeitete wallisische Volksweisen, komponierte Lieder, Gesänge, Klaviermusik und schrieb auch eine Reihe von Weihnachtsliedern. Sie „machte das bekannte Weihnachtslied ‚Stille Nacht‘ auch in England bekannt.“ 6)