Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Dellestraße

Jenfeld (1947): Gustav Delle (20.9.1880 Botnang/Kreis Stuttgart -25.4.1945 auf dem Transport von seinem Wohnort Ahrensburg ins Krankenhaus Bad Oldesloe), Bürgermeister in Wandsbek (1932-1933), 1945 gestorben im KZ Neuengamme. Gegner/Opfer des Nationalsozialismus
Stolperstein vor: Schlossstraße 60 (Bezirksamt Wandsbek)


Früher hieß die Straße Estorffstraße. Wegen dieses militärischen Namens wurde die Straße 1947 umbenannt in Dellestraße (vgl.: Staatsarchiv Hamburg, Registratur Staatsarchiv AZ. 1521-1/5 Band 3-5: Straßennamen (neue Kartei), alphabetisch geordnet mit Hinweisen).

Die Umbenennung - wie auch andere Umbenennungen - erfolgten auf Anweisung der britischen Militärregierung, denn „vor dem Hintergrund der veränderten politischen Landschaft gerieten die sogenannten ‚militärischen‘ Namen erstmals ins Blickfeld. Die Umbenennung dieser Namensgruppe wurde durch eine ausdrückliche Anweisung der Militärregierung veranlaßt und stellte die zweite Welle von politisch motivierten Umbenennungen der Nachkriegszeit dar. Im Jahre 1946 gab es nach einer Aufstellung des Bauamtes 145 Straßen, die nach ‚Militärpersonen, militärischen Ereignissen und militärischen Einrichtungen‘ benannt worden waren. Etwa 18 davon waren in der Zeit zwischen 1933 bis 1945 entstanden. (…). Der Senat erörterte dieses Thema in seiner Sitzung am 22. Januar 1946. Man betrachtete lediglich 37 Namen als nicht akzeptabel, darunter 28 Namen von Generälen und Admirälen und einigen militärischen Einrichtungen aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Sie wurden im Laufe der nächsten zwei Jahre umbenannt.“ (Siehe auch unter Kriegerdankweg und Paul-Bäumer-Brücke). (Bericht über Umbenennungen von Straßennamen in Hamburg seit 1918, März 1987, Staatsarchiv Hamburg, S. 16.)

Der Kommunalpolitiker Gustav Delle wurde 1933 wegen seiner SPD-Zugehörigkeit als politisch untragbarer Oppositioneller inhaftiert, aus dem Dienst entfernt und schließlich ins KZ Neuengamme verbracht.

Am 20. September 1880 im württembergischen Botnang/Kreis Stuttgart geboren, ergriff Gustav Delle nach seiner Schulzeit den handwerklichen Beruf des Malers. Er heiratete die gleichaltrige Luise, geb. Nobes, die ebenfalls aus dem Württembergischen stammte. 1905 wurde die Tochter Grete geboren, die noch zwei Geschwister bekam: Hans und Hilde. 1911 trat Delle in die SPD ein. 1913 zog die Familie laut Meldekarte von Stuttgart nach Wandsbek-Gartenstadt, in die Erikastraße 34, wo sie bis 1916 lebte. Nach weiteren zehn Jahren in der Rosenstraße 71 bezog sie in der Bramfelderstraße 168 vermutlich ein eigenes Haus, das sie bis 1934 bewohnte.

Gustav Delles Karriere entwickelte sich stetig: Er war Stadtverordneter, seit 1919 hatte er die Position eines besoldeten Stadtrats und Dezernenten für das Wohlfahrtswesen in Wandsbek inne. In diesem Amt erwarb er hohes Ansehen, war gleichermaßen kompetent, arbeitsam und beliebt. 1931 kandidierte er erfolgreich zum Zweiten Bürgermeister der Stadt Wandsbek.

Unmittelbar nach der Machtübernahme begannen die Nationalsozialisten damit, die Opposition auszuschalten und Ämter und Positionen mit eigenen Leuten zu besetzen. Das bekam auch Delle zu spüren, der am 6. März 1933 zusammen mit drei weiteren Wandsbeker Sozialdemokraten festgenommen und als sogen. Schutzhäftling 14 Tage im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert war. Auch Delles Schwiegersohn wurde 1933 aus dem Dienst bei der Stadt Wandsbek wegen „politischer Unzuverlässigkeit" entlassen.

Als Ende April 1933 der Zweite Bürgermeister gewählt werden sollte, wurde die SPD übergangen und dem NSDAP-Kreisleiter Eggers die Position zugeschoben. Da Gustav Delle jedoch (noch) nicht aus dem Amt entlassen war, suchte man nach einem Vorwand, ihn mit juristischen Tricks, sozusagen unehrenhaft, aus dem Dienst zu jagen. Die Federführung übernahm dabei Oberbürgermeister Ziegler. Dieser war jahrelang Zweiter Bürgermeister gewesen, bis er 1931 die Nachfolge des Oberbürgermeisters Rodig [siehe: Rodigallee] angetreten hatte – mit Unterstützung der SPD. Ziegler hatte den Machtwechsel unbeschadet überstanden. Bei der Entlassung Delles demonstrierte der Jurist bereits nationalsozialistische Gesinnung. Er setzte den Hebel beim berüchtigten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an.

Allerdings wählte Ziegler die falsche Begründung, nämlich Paragraph 2. Dieser sah eine Entlassung ohne Ruhegeld vor, wenn bei dem betreffenden Mitarbeiter mangelnde Vorbildung oder Eignung für das Amt vorlag. Das traf auf Gustav Delle jedoch nicht zu, weshalb das preußische Innenministerium in die Angelegenheit eingriff und Einspruch gegen die Begründung erhob. Die Stadt Wandsbek wurde verpflichtet, Delle eine Pension zu zahlen. In der Zurückweisung des Ziegler’schen Ansinnens hieß es, Delles Lauterkeit der Gesinnung und Handlungen, seine einwandfreie Amtsführung und die in 13 Jahren für die Stadt erbrachten Leistungen seien nicht in Zweifel zu ziehen.

Derart belehrt, wandte der Oberbürgermeister nun Paragraph 4 des o.g. Gesetzes an. Danach war derjenige zu entlassen, dessen bisherige politische Betätigung nicht die Gewähr dafür bot, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten.

Der Fall Delle und die Art und Weise, wie mit ihm umgegangen wurde, ließ einige Wandsbeker mit intaktem Rechtsgefühl nicht zur Ruhe kommen. 1934 machte der langjährige frühere Oberbürgermeister Rodig noch einen Versuch und setzte sich für Delles Wiederverwendung im Staatsdienst ein. In seinem Brief an den preußischen Innenminister bescheinigte er Delle hervorragende fachliche Fähigkeiten und die Kunst, bei aller Liebenswürdigkeit das Höchstmögliche an Arbeitsleistung von Untergebenen herauszuholen, wobei sich bewährt habe, dass er aus einem Handwerksberuf käme.

Rodigs Bemühungen blieben nicht nur erfolglos, sie riefen eine höhnische Gegenstellungnahme von Oberbürgermeister Ziegler hervor. Darin hieß es: „Falls Bürgermeister a.D. Delle sich zur Mitarbeit in der Wohlfahrtspflege in seinem jetzigen Wohnort Ahrensburg zur Verfügung stellen will, ist ihm hierfür in der von der NS-Volkswohlfahrt betreuten Winterhilfe reichlich Gelegenheit geboten."

Das aufgeheizte politische Klima, das seine Entlassung begleitete, zwang Delle 1935, seinen langjährigen Wirkungskreis Wandsbek zu verlassen. Er zog mit seiner Familie nach Ahrensburg, Am Tiergarten 16, wo sie das Obergeschoss mit drei Zimmern bewohnten. Das Haus hatte Delle mit Vorkaufsrecht gepachtet, es bestand der Plan, es später zu kaufen.

1944, nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli, wurden im Zuge von reichsweiten Razzien und Verhaftungswellen, der sogen. Aktion Gewitter, auch frühere Oppositions-Politiker inhaftiert. Gustav Delle wurde am 22. August 1944 an seinem Wohnort festgenommen. Der Chef der Gemeindepolizei Gramm und der Polizist Claussen übergaben ihn der Gestapo, die Delle am 27. August ins KZ Neuengamme einwies. Dort musste er sich Experimenten mit reinem Salicyl unterziehen, dem Wirkstoff des Schmerzmittels Aspirin. Bei höheren Dosierungen und längerfristiger Einnahme konnten Magenbeschwerden und Magenblutungen auftreten. Die Nebenwirkungen führten dazu, dass sich ein bereits vorhandenes Magenleiden Delles verschlechterte. Zudem führten ihn körperliche Misshandlungen an den Rand des Zusammenbruchs. Aufgrund der Intervention eines Bekannten, der ihn schätzte, wurde er am 1. November 1944 aus dem KZ entlassen. Es war jedoch schon zu spät. Gustav Delle erholte sich nicht mehr. Er starb am 25. April 1945 in Bad Oldesloe.

Der Sozialdemokrat Heinrich Wichelmann [siehe: Wichelmannweg] gehörte zu Delles Weggefährten aus der Wandsbeker Zeit. Auch er war 1933 verhaftet worden. Nach dem Krieg arbeitete er als Redakteur des Hamburger Echos, der von der SPD herausgegebenen Tageszeitung. 1955 veröffentlichte er eine Würdigung Delles zum 10. Todestag.

Delles Arbeitsplatz, die städtische Verwaltung des Magistrats Wandsbek, hatte sich im Wandsbeker Rathaus an der Königstraße 12 (Wandsbeker Königstraße) befunden, ebenso wie die Diensträume der beiden Bürgermeister Rodig und Ziegler. Es bestand also eine langjährige Zusammenarbeit nicht nur mit Delles Befürworter Rodig, sondern auch mit dessen Nachfolger Ziegler. Doch seit März 1933 galten frühere Allianzen nichts mehr. (…)

Text: Astrid Louven

Text entnommen aus: www.stolpersteine-hamburg.de