Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Kurt-Ledien-Weg

Niendorf (1982): Dr. Kurt Ledien (5.6.1893 Charlottenburg – 23.4.1945 KZ Neuengamme), Richter, Mitglied des Hamburger Zweiges der Weißen Rose.


Siehe auch: Margaretha-Rothe-Weg. Stolperstein: Hohenzollernring 34. Mahnmal: Tisch mit 12 Stühlen, siehe dazu unter: Georg-Appel-Straße

Kurt Heinrich Ledien, geboren am 5. Juni 1893, stammte aus einer Berliner Familie. Seine Eltern Louis und Gertrud Ledien, beide jüdischer Herkunft, erzogen ihn, seine Schwester und seinen Bruder im christlichen Glauben und ließen ihn konfirmieren. 1912 legte Kurt Ledien am Gymnasium Christianeum in Altona das Abitur ab. Im Ersten Weltkrieg diente er in der Armee. Nach einem Jurastudium in Lausanne, München und Kiel wurde er in Göttingen promoviert. 1925 heiratete er Martha Liermann aus Winsen an der Luhe, die damals als Buchhändlerin in Hamburg arbeitete. Sie war nichtjüdischer Herkunft. Das Ehepaar bezog eine Parterrewohnung in der Giesestraße 9 in Altona-Othmarschen. 1926 wurde die Tochter Ilse Luisa Ida geboren, 1929 folgte die Tochter Ulla Gertrud Martha. Seit 1927 war Kurt Ledien Amtsgerichtsrat am Amtsgericht Altona. 1933 wurde er nach Dortmund versetzt, wo er als Landgerichtsrat am Landgericht tätig war. Doch 1934 wurde er aus „rassischen Gründen“ auf Grund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwangsweise in den Ruhestand versetzt und kehrte nach Hamburg zurück. Er bezog ein Ruhegehalt, verfügte aber noch über Nebeneinkünfte, denn er arbeitete erst in der Rechtsabteilung der Bavaria-Brauerei, dann, als auch dies ihm untersagt wurde, bei den jüdischen Rechtsanwälten Dr. Wilhelm Gutmann und Dr. Samson als Sachbearbeiter in Auswanderungssachen. Als die Verfolgung der Juden sich zuspitzte, konnten seine Schwester nach Wien und sein Bruder mit Familie 1938 nach Amerika entkommen. 1938 musste Kurt Ledien, wie alle dazu veranlagten Juden, zwanzig Prozent seines Vermögens als Judenvermögensabgabe entrichten. Nach der Entlassung Kurt Lediens musste die Familie die Wohnung in der Giesestraße aufgeben und zog in eine Erdgeschosswohnung im Hohenzollenring 34 in Ottensen. Die jüngere Tochter Ulla erinnert sich, dass ihre Eltern über Emigration sprachen: „Meine Mutter drängte auf Auswanderung, aber mein Vater sagte: ‚Wir sind privilegiert’. Er wollte erst anderen helfen rauszukommen, verschaffte ihnen Geld und Dokumente. Er konnte sich schwer dazu entschließen, Deutschland zu verlassen, es war die Heimat. Es war schwierig, das Geld zusammen zu bekommen. Sie bekamen das Affidavit, die Bürgschaft für die Auswanderung in die USA, über England, erst am 3. September 39 – zu spät, zwei Tage nach Kriegsbeginn.“ Ulla hatte zunächst die Volksschule am Klopstockplatz besucht. Ab 1940 ging sie zur Oberschule Klosterschule und nach deren Schließung infolge von Luftangriffen ab Ostern 1944 zum Bertha-Lyzeum in Othmarschen. Doch in der achten Klasse musste sie als „Mischling ersten Grades“ die Schule verlassen. Ihre Schwester Ilse musste ebenfalls 1942 von der staatlichen Oberschule Klosterschule abgehen und besuchte dann die Handelsschule. Dort freundete sie sich mit Maria Leipelt an, die ebenfalls jüdischer Herkunft war. Ostern 1943 mussten beide die Schule wegen verschärfter Rassebestimmungen verlassen. Eine private Sprachenschule nahm sie bis Juli 1943 als Schülerinnen auf. Ilse Ledien arbeitete dann als Stenotypistin bei einer Versicherungsfirma. Marias Bruder Hans Leipelt (siehe: Leipeltstraße) und seine Mutter Katharina Leipelt versammelten Gegner und Gegnerinnen des nationalsozialistischen Regimes um sich. Man traf sich in ihrer Wilhelmsburger Wohnung und während des Krieges im Keller der Buchhandlung am Jungfernstieg 50 bei dem Juniorchef und Studenten Reinhold Meyer (siehe: Reinhold-Meyer-Straße). In der Gruppe wurde verbotene Literatur gelesen, diskutiert, abgeschrieben und verbreitet. Es ging den Studenten und Intellektuellen zunächst vor allem um die freie Meinungsäußerung; sie wollten unzensierte, offene Diskussionen führen. Hans Leipelt, Student in München, war von den Aktivitäten um die Geschwister Scholl begeistert. Als er Ostern 1943 nach Hause kam, lud die Familie Leipelt auch Ilse Ledien und ihren Vater ein. In einem Gesprächskreis wurde darüber diskutiert, was nach dem Krieg kommen solle, wie man den Widerstand ausbauen könne. „Der Vater war dabei eher die warnende Figur“, schilderte Ulla Greuner. Nach der Zerschlagung des Widerstandskreises „Weiße Rose“ in München und der Ermordung der Geschwister Scholl (siehe: Geschwister-Scholl-Straße) druckte die Gruppe die Flugblätter der Weißen Rose nach und verbreitete sie in Hamburg. Deshalb wurde der Freundeskreis nach dem Zweiten Weltkrieg „Hamburger Zweig der Weißen Rose“ genannt. Im September 1943 wurde Kurt Ledien, der durch die „Mischehe“ mit seiner nichtjüdischen Frau zunächst vor der Deportation geschützt blieb, zu einem Zwangsarbeitereinsatz unter Leitung der SS in Berlin eingeteilt. Am 15. September schrieb er eine Postkarte aus dem Berliner Zwangsarbeiterlager: „Meine liebsten Frauen, […] Meine einzigste Sorge ist, daß ihr euch nicht um mich sorgt, es wird schon werden. Ich hoffe daß die Arbeit nicht zu schwer wird, wegen der Verpflegung werde ich genau u. ehrlich berichten, daß ihr euch nicht sorgen müßt […] Nun müßt ihr gefaßt bleiben und vergnügt, dafür wird Ulla schon wieder sorgen. Mit Gruß, Vati.“ Nach dem Krieg beschrieb ein ebenfalls dort eingesetzter Zwangsarbeiter die Arbeitsbedingungen dieses Kommandos: „Wir mussten allerschwerste Betonarbeiten machen, Steine und Zementsäcke transportieren. Der Arbeit war Dr. Ledien nicht gewachsen […] Es war schwerste Vernichtungsarbeit.“ Ein anderer ergänzte: „Wir mussten beim Hauptsicherheitsamt der Gestapo in der Kurfürstenstraße beim Bunkerbau arbeiten. Die Aufsicht hatten SS-Leute, Sturmführer und Obersturmführer. Besonders ein Obersturmführer Tuschka [richtig vermutlich: Lischka, B. M.] hat viel misshandelt und mit Füßen getreten. Für Dr. Ledien, der vorher Landgerichtsrat war und wohl in seinem Leben noch keinen Hammer in der Hand gehabt hatte, war die Arbeit besonders schwer. Ich habe die Zeit mit ihm zusammengearbeitet, er konnte gar nicht arbeiten, aber er musste.“ Am 17. Dezember 1943 nahm die Gestapo Kurt Lediens Tochter Ilse wegen „Hochverrat“ in Schutzhaft; sie saß im KZ Fuhlsbüttel ein. Ihre Freundin Maria und deren Bruder Hans Leipelt waren zuvor verhaftet worden. Offenbar hatte die Gestapo den gesamten Freundeskreis der Geschwister Leipelt im Visier. Möglicherweise war bekannt geworden, dass Ilses Freundschaft zu Maria Leipelt sie und ihren Vater in Kontakt zu der „Weißen Rose“ gebracht hatte. Martha Ledien wurde wegen der Verhaftung ihrer Tochter in der Zentrale der Gestapo in der Rothenbaumchaussee vorstellig – ohne Erfolg. Ulla Greuner berichtete, dass ihr Vater die Nachricht von der Verhaftung seiner Tochter kaum verkraften konnte: „Weihnachten 43 war ich mit meiner Mutter in Berlin. Mutti hatte ihm telefonisch von Illes Verhaftung berichtet. Er hatte einen Nervenzusammenbruch und war in die Krankenstation des Polizeigefängnisses gekommen.“ Seine Frau konnte ihn mit Wäsche versorgen und erhielt zunächst noch Briefe von ihm. Doch plötzlich wurde auch Kurt Ledien in Berlin von der Gestapo in Haft genommen und am 2. März 1944 ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel transportiert. Aus der Haft schrieb er am 2. Juni 1944 an seine Frau und seine Tochter Ulla: „Welches Glück, daß Ille so zuversichtlich ist und in so vorbildlicher Weise mit ihrer Haft fertig zu werden sucht. Wie schwer ist das, was sie schreibt. […] Es ist schwer, den ganzen Tag untätig zu sitzen und nur seinen Gedanken überlassen zu sein. […] Sie ist aber doch noch hier? Wie lange kann es da noch dauern, bis es zur Verhandlung kommt? […] Ich bin gesund, aber mit den Nerven fertig, ist wohl kein Wunder. Schicke mir wieder Auszug aus Illes Brief. Euch beiden danke ich für Eure getreulichen Briefe und Ulla für all die Worte der Liebe, die sie immer neu findet für ihren Vati, u. Dir für die Leidenschaft, mit der du mich zu trösten suchst. In inniger Liebe Euer Vati.“ Wegen angeblicher „Vorbereitung zum Hochverrat“ blieb Kurt Ledien ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Ulla Greuner erinnerte sich: „Vater kam nicht wie andere vor den Volksgerichtshof, weil er Jude war. Weil er Richter gewesen ist, hat er immer noch geglaubt, er bekäme irgendwann einen Prozess oder einen Rechtsanwalt. Er hat uns immer Mut gemacht.“ Ende Dezember 1944 verlegte man ihn in das KZ Neuengamme. Kurz vor der Ankunft der Alliierten wurde er dort auf Anweisung der Hamburger Gestapo am 22. oder 23. April 1945 erschossen oder erhängt. Ilse Ledien blieb zehn Monate lang im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert, davon sechs Monate in strenger Einzelhaft. Doch die Gestapo konnte ihr nichts nachweisen. Nach einem weiteren halben Jahr Haft im Untersuchungsgefängnis Hamburg-Mitte wurde sie am 20. April 1945 entlassen. Martha und Ulla Ledien überlebten ebenfalls den Krieg. Kurt Lediens Mutter, die zuletzt auch im Hohenzollernring 34 gewohnt hatte, wurde 1943 nach Theresienstadt deportiert. Sie gehörte zu denjenigen, die am 30. April 1945 aus dem Getto mit einem Transport in die Schweiz gerettet wurden. Erst Jahrzehnte nach dem Krieg erzählte Ilse ihrer Schwester Ulla, dass sie als 17-Jährige zusammen mit Maria Leipelt das letzte Flugblatt der „Weißen Rose“ auf einer Schreibmaschine an ihrer Sprachenschule abgetippt und damit am Widerstand teilgenommen hatte. Darin hieß es: „Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung der deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk erduldet hat. Im Namen des ganzen deutschen Volkes fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen. In einem Staat rücksichtsloser Knebelung jeder freien Meinungsäußerung sind wir aufgewachsen. HJ, SA und SS haben uns in den fruchtbarsten Bildungsjahren unseres Lebens zu uniformieren, zu revolutionieren, zu narkotisieren versucht.“

Text: Birgit Gewehr, Stand September 2015, entnommen aus: www.stolpersteine-hamburg.de