Poelsweg
Hamm (1929): Piter Poel (17.6.1760 Archangel – 3.10.1837 Altona), Schriftsteller, Herausgeber des altonaischen Mercurius.
Siehe auch: Reimarusstraße
Siehe auch: Emma-Poel-Straße
Siehe auch: Büschstraße
Siehe auch: Caspar-Voght-Straße, Baron-Voght-Straße
Piter Poel war der Sohn von Magdalena Poel, geborene van Brienen und des Kaufmanns und Gutbesitzers Jacobus (Jacob) Poel.
Seine Mutter starb, als er zwei Jahre alt war. Im Alter von 15 Jahren verlor er auch seinen Vater durch Tod. Über Piter Poels Kindheit und Jugend schreibt Konrad Veilchenfeldt: „P.s Kindheit und Jugend waren vom frühen Tod seiner Eltern überschattet. Zusammen mit seiner Schwester [Magdalena, später verheiratete Pauli] die seit dieser Zeit mit ihm in ständiger Verbindung lebte, wurde er zuerst in Hamburg in ein französisches Mädchenpensionat, später in eine Knabenpension gegeben.“ 1)
Zu Magdalena Poel, verheiratete Pauli (23.2.1757 Archangelsk – 4.1.1825 Bückeburg)

Durch die geschäftlichen Kontakte, die Magdalenes Vater Jacob Poel mit der Familie Pauli in Lübeck pflegte, erwuchs eine Verbindung zwischen Magdalena Poel und dem Sohn der Familie Pauli: Adrian Wilhelm Pauli (1749-1815). Die Eltern der beiden arrangierten die Ehe. Und so heiratete Magdalena 1776 den Geheimen Legationsrat und Kaufmann Adrian Wilhelm Pauli. Ein Jahr zuvor war Magdalenas Vater gestorben und sie hatte Güter in Zierow/Mecklenburg und in Rethwisch/Stormarn geerbt.
Das Ehepaar Pauli bekam fünf Kinder und lebte zunächst in Lübeck und im Sommer in Zierow. Die Historikerin Angela Kuhlenkampff schreibt in einem Portrait über Magdalena Pauli: „Gemeinsam mit Klopstocks späterer zweiter Gemahlin, Johanna Elisabeth von Winthem, stand Magdalena im Mittelpunkt der zumeist im Hause Johann Georg Büschs stattfindenden ‚Lesegesellschaft‘. Die junge Frau, die neben Deutsch und Englisch auch Französisch und Italienisch sprach, bezauberte durch ihre jugendliche Anmut und eine liebliche, von italienischen Sängerinnen ausgebildete Stimme. (…) In diesem geselligen Kreis lernte Caspar Voght die frisch vermählte 19-jährige Magdalena Pauli kennen und verliebte sich leidenschaftlich in sie. (…).“ 2)
Der Reichsfreiherr, Kaufmann und Sozialreformer Caspar Voght (1752-1839) war mit Magdalenas Bruder Pieter Poel befreundet. Ein Jahr nach ihrem Kennenlernen gebar Magdalena ihr zweites Kind (geb. 1785); ein weiteres Jahr später (1786) erneut ein Kind, das aber nur kurze Zeit lebte. 1791 und 1992 kamen noch zwei weitere Kinder hinzu. „Welche Qualen und Kämpfe diesen Geburten vorausgingen bei einer Frau, die einen anderen liebte und durch Gesetz gezwungen war, ihren Körper ihrem Ehemann nicht zu verweigern, läßt sich nur erahnen“,3) schreibt sehr einfühlend Alfred Aust in seinem Buch „Mir war ein schönes Loos. Liebe und Freundschaft im Leben des Reichsfreiherrn Caspar von Voght.“
Caspar Voght beschrieb seine Geliebte wie folgt: „Nie hat eine Frau einen so entscheidenden allgemeinen Ruf von Liebenswürdigkeit und zugleich von Strenge der Grundsätze gehabt. Hochverehrt hatte sie jeden Neid ihres Geschlechts zu entwaffnen gewußt. Diese so allgemein geliebte Frau war klein, nicht einmal gut gebaut; eine dunkle Farbe deckte die nicht feine Haut ihres Gesichts, äußerst kurzsichtig bedeckten nur zu oft die Gläser ihren Blick. Haarwuchs und Füße waren das einzige, was die Frauen Schönes an ihr fanden; (…). ihre Blicke drangen ins Herz und zogen unwiderstehlich an sich, und dieses alles mit einer Wahrheit und einer Natur, welche die leiseste Spur von Gefallsucht verbannte. Was sie vorzüglich auszeichnete, war die tätige Empfindsamkeit, mit der sie in jede Gesellschaft ein neues Leben brachte. Grazie war in allen ihren Bewegungen, und wo sie war, verschwand die Apathie in der Gesellschaft, und geistvolle Freude war um sie her.“4)
Alfred Aust schreibt über die Ursachen der Leidenschaft zwischen Magdalena Pauli und Caspar Voght: „ (..) Voght musste in der steifen und derben Geselligkeit des Hamburger Bürgertums im 18. Jahrhundert einer jungen, gebildeten Frau als weltgewandter, vollendeter Kavalier mit höfischen Sitten, mit umfassender Bildung und großer Weltkenntnis besonders auffallen. Auf seinen Bildungsreisen durch fast alle Hauptstädte Europas hatte er sich Fähigkeiten angeeignet, die ihn zum Mittelpunkt eines jeden Festes werden ließen. (…)
Diese Frau, die wie ein leuchtender Stern in der Hamburger Gesellschaft aufgestiegen war, musste auf einen Mann mit einem leicht entzündbaren Herzen, auf den schöne und geistreiche Frauen schon immer ‚viel Wirkung‘ gemacht hatten, der in seinen jungen Jahren das ‚Lieben und Geliebtwerden‘ zur Devise seines Lebens erhoben hatte, einen Sturm der Gefühle und Empfindungen hervorrufen, der alle Regeln gesellschaftlicher Konvention durchbrach.“ 5)
„Als [jedoch] der Klatsch in der Hamburger Gesellschaft über die beiden Liebenden Formen angenommen hatte, daß der Ehemann seine Frau bespitzelte, wenn sie sich in Hamburg bei ihrer Schwägerin Dorothea Glashoff oder bei ihrer intimsten Freundin Hannchen, der Frau von Voghts Geschäftspartner Georg Heinrich Sieveking, aufhielt, blieb ihnen nichts übrig, sich – wenn auch schweren Herzens – zu trennen, weil Voght fürchtete, daß dieser Elende ‚sie alle den Ausschweifungen preisgäbe, die die Folgen der Eifersucht bei so einem Menschen sein könnten.‘ Er wollte ihm ‚keine Veranlassung geben, das edelste und geliebteste Weib zu mißhandeln‘.“6)
Um die Trennung von seiner Geliebten zu überwinden, reiste Voght nach Paris und London, beschäftigte sich mit Agrarreformideen, wollte in der Philosophie den Sinn des Lebens ergründen und begann sich, um Armenpflege zu bekümmern. D. h., sein Liebeskummer öffnete ihm sein Herz den Armen und gab seinem Intellekt Inspiration für Reformideen.
Voller Sehnsucht nach seiner Geliebten kam Voght nach einigen Jahren seines Wanderlebens 1786 nach Hamburg zurück. Die beiden Liebenden trafen sich fortan bei ihren Freunden, so im Reimarus-Kreis, bei Elise Reimarus, bei Sievkings und auf anderen Festen. Doch weil sie überall beobachtet wurden, wagten sie nie längere Zeit miteinander zu sprechen. Mit Briefen hielten sie weiterhin Kontakt zueinander.
Sie konnten nicht voneinander lassen. Und so wurde für Voght die Lage immer unerträglicher. Er begab sich wieder auf Reisen, löste 1793 seine Sozietät mit Sieveking auf, war nun frei und blieb zwei Jahre weg von Hamburg. Als er 1795 mit Anfang 40 zurückkehrte, „flippte“ er – wie man heute sagen würde - ein wenig aus. Alfred Aust schreibt: „Ein Fest folgte dem anderen (…) die Tage [werden] mit mimischen Possen und dummen Scherzen verbracht. In der Nacht erklingen französische zärtliche Liebeslieder, die für Mädchen- und Frauenohren der ‚guten Gesellschaft‘ nicht bestimmt sind. 1796 verliebt er sich Hals über Kopf in die französische Sängerin und Schauspielerin Madame Chevalier (…). Was mochte in Voghts Herzen vor sich gegangen sein? (…) Hatte ihn die Verzweiflung gepackt über seine hoffnungslose Liebe, über die Unerfüllbarkeit seines größten Wunsches, über die Leere seines Lebens? (…) Auch seine Erkenntnis über die Ehe, (…) ist aus eigener tragischer Verkettung gewonnen: ‚Grausam sind unsere ehelichen Einrichtungen! Der Irrtum in der ersten Wahl entscheidet unwiederbringlich das Unglück des ganzen Lebens.‘ (…) All seine Enttäuschung, sein Fühlen und Denken sucht er im Trubel der Feste und Vergnügungen zu betäuben.“7)
Als 1799 Voghts Freund Georg Heinrich Sieveking und Voghts Mutter starben, änderte sich Voghts Seelenlage. Trauer machte sich in seinem Herzen breit, die Leidenschaft zu Magdalena Pauli erlosch und machte dem Gefühl der innigen Freundschaft Platz, die bis zu beider Lebensende halten sollte.
Über Magdalenas weiteren Lebensweg schreibt Angela Kuhlenkampffff: „Im gleichen Jahr [als Voght 1795 aus England zurückkehrte] bezogen die Paulis ein Haus in Altona (…). Wegen der Geschäftsuntüchtigkeit Adrian Wilhelm Paulis hatte Rondeshagen [ein weiteres Gut. Das Gut in Zierow war schon verkauft worden] verkauft werden müssen, und es scheint, dass Magdalena fortan von Freunden, darunter auch Voght, finanziell unterstützt wurde, während ihr Ehemann bei seiner Familie Unterkunft fand. Als Caspar Voght die Unterstützung nicht mehr im gleichen Umfang gewähren konnte, zog Magdalena Pauli mit ihren Kindern nach Bückeburg, wo sie am Hof des jungen Fürsten Georg Wilhelm von Schauburg-Lippe freundliche Aufnahme fand. Schon bald scheinen ihre geselligen Talente im Hofleben eine Rolle gespielt zu haben, wie aus den Briefen an Johanna Sieveking hervorgeht. Um ihre Einkünfte aufzubessern, nahm sie junge Hamburger in Pension auf.“8)
1808 trennte sich Magdalena von ihrem Ehemann. Nach dem Tod ihres Mannes 1815 kam Magdalena Pauli - damals 60 Jahre alt - 1817 als Gast zu dem damals 65-jährigen Voght nach Flottbek. Auch jetzt entschieden sie sich nicht für eine räumliche Zweisamkeit, obwohl, sie wussten, dass sie zueinander gehörten.
1820 zog Voght in einem Brief an seine Liebste „das Fazit seines Lebens (…). ‚Ist es auch nicht alles das, was sich der jugendliche Sinn, von den Blühten des Lebens umgeben, auf süßer, schmeichelnder Hoffnung Fittichen schwebend, von der späten Frucht versprach, so ward doch jedem sein bescheiden Theil der Freuden, die das Leben giebt, nur mit mehr Schmerz gemengt, als es uns gut war zu ahnden. Furcht wechselt mit Hoffnung, Entbehrung mit Genuß, Schmerz mit Vergnügen, Leid mit Freude, mehr als wir glaubten. Dunkle Fäden lauffen durch das Gewebe, das uns aus lauter Licht gewirkt schien, und am Ende dieses lieben, bittersüßen Daseyns wiegt ruhige Ergebung uns in den letzten Schlummer ein, und neues Licht räumt die aufs neue jugendliche Seele, wenn sie die dunkle Hülle verläßt. Keiner von uns möchte das Leben noch Einmal durchleben, und keiner möchte es nicht gelebt haben.“ 9)
Magdalena Pauli starb 1825 im Alter von 67 Jahren an Auszehrung. An ihrer Beerdigung nahm Caspar Voght teil.
Zurück zu Piter Poel
Piter Poel sollte, so war es der Wunsch des Vaters gewesen, Kaufmann werden. Ein Jahr nach dem Tod seines Vaters erhielt Pieter Poel 1776 „eine Stelle als Kopist im Handelshaus Hamann und Marheiljac in Bordeaux. Im September 1778 verließ er Frankreich wieder und nahm in Genf Wohnsitz, wo er bei der ihm von Hamburg her befreundeten Familie de Chapeaurouge [siehe: Chapeaurougeweg] Anschluß fand und sich privat auf die Universität vorbereitete. Zum Wintersemester 1780/81 ging er an die Univ. Göttingen, mußte sie aber wegen eines Duells, bei dem er selbst verwundet wurde, noch im gleichen Winter wieder verlassen. Nachdem er den Sommer 1781 bei der Schwester in Lübeck und auf dem elterlichen Gut Zierow verbracht hatte, kehrte er im Herbst nach Göttingen zurück. Ziel seiner Studien war die Vorbereitung auf ein Amt im höheren Staatsdienst, wobei er aber den geselligen Aspekt der von ihm gewünschten Laufbahn nicht außer Acht ließ. (…). 1783 ging er endgültig von der Universität ab.“ 10)
Piter Poels weiterer Lebensweg führte ihn nach Petersburg, wo er durch Vermittlung seines Onkels van Brienen eine Anstellung im russischen Staatsdienst erhielt. Doch dies sagte ihm nicht zu. Sein Wunsch war es, in den diplomatischen Dienst einzutreten. Als dies nicht klappte, kehrte er 1785 nach Hamburg zurück. Ausgestattet mit dem väterlichen Erbe konnte er sich eine eigene Existenz aufbauen, die es ihm erlaubte, unabhängig zu leben und sich seinen eigenen Vorlieben zu widmen. So wurde er Inhaber des „Altonaer Merkurs“ und gab mit anderen ab 1798 die politische Zeitschrift „Frankreich“ heraus.
1787 hatte er Friederike Elisabeth Büsch (23.9.1768 Hamburg - 18.10.1821 Flottbek) geheiratet, die Tochter von Johann Georg Büsch (siehe: Büschstraße), dem Leiter und Gründer der Handelsakademie und der Sophie Catharina Büsch, geborene Müller. Das Paar hatte elf Kinder, von denen die Tochter Emma Sophie Cäcilie Wilhelmine Poel (31.1.1811 Altona – 3.12.1891) Mitbegründerin der organisierten Diakonie in Deutschland war. 2016 wurde nach ihr die Emma-Poel-Straße in Altona benannt. (siehe zu ihr unter: Emma-Poel-Straße)
1793 erwarb Piter Poel mit seinen Freunden Conrad Johann Matthiesen und Georg Heinrich Sieveking ein Landhaus in Neumühlen , in dem sie im Sommer wohnten. Die übrige Zeit lebte das Ehepaar Poel mit seinen Kindern in Altona.
Georg Heinrich Sieveking war mit Johanna Margaretha Reimarus (1760-1832) verheiratet. Hannchen – wie sie genannt wurde – führte mit Piter Poels Ehefrau Friederike Elisabeth Poel im wöchentlichen Wechsel den Haushalt. „Friederike und ich leben sehr innig zusammen; wir haben herausgefunden, daß wir in dieser kleinen Republik die Gewalt haben, und da wir nur das Gute wollen, behält das Gute die Oberhand“, schrieb Hannchen Sieveking 1794 an Caspar Voght [siehe: Caspar-Voght-Straße und Baron-Voght-Straße]. Der Landsitz in Neumühlen entwickelte sich zu einem literarischen Zirkel, was in erster Linie Hannchen Sieveking zu verdanken war. Hier trafen sich Klopstock (siehe: Klopstockstraße), Reimarus (siehe: Reimarusstraße), Johann Michael Hudtwalcker (siehe: Hudtwalckerstraße) und andere.
Piter Poel stilisierte Hannchen Sieveking sogar zur „personifizierten Charitas mit aller Grazie und Lebendigkeit des jugendlichen Alters. Hat je die Natur das Wort ‚Hilfreich‘ in leserlichen Zügen einem Wesen aufgeprägt, so ist es dieses gewesen. Mitten unter den Sorgen eines Hausstandes, der sich bald durch den Zufluß von Fremden während der Revolution [Französische Revolution] in einem Umfange erweiterte, wie man ihn nicht leicht bei Privatpersonen findet, und doch mit verhältnismäßig geringer Dienerschaft bestritten werden mußte, sah man sie doch stets mit dem Wohl und Weh anderer beschäftigt, wer, von Unglück befallen, sich ihr nahte, fand, wie fern er ihr auch sein mochte, immer liebevolle Aufnahme. Sie wußte stets Mittel zu finden, ihm Erleichterung zu verschaffen, und das ohne alles Aufsehen, ohne Anstrengung, ohne eigentliches Pflichtgefühl, sondern aus Bedürfnis, aus dem Instinkt des Wohltuns, aus reiner Liebe.““ 11)
„Nachdem der Landsitz 1811 aus wirtschaftlichen Gründen (Folgen der von Napoleon verhängten Kontinentalsperre) verkauft werden musste, verbrachte Poel die Sommer zunächst in Teufelsbrück und von 1816 bis 1822 zusammen mit Caspar Voght in Flottbek.“ 12) Sicherlich war auch seine Ehefrau mit dabei.
„Nach dem Tod seiner Frau führte er ein zurückgezogenes Leben und widmete sich ganz der Aufzeichnung seiner Erinnerungen.
P.s bleibende Bedeutung liegt in seiner publizistischen Tätigkeit. Als Verfechter der liberalen Ideen von 1789 und in engem Kontakt mit den sogenannten deutschen Jakobinern war er deswegen aber noch lange kein radikaler Befürworter der Französischen Revolution. Die von ihm ergriffenen Hilfsmaßnahmen für die Emigranten entsprangen einer humanitären Gesinnung, die er später (1816) ähnlich in einem Gutachten über das schleswig-holsteinische Armenwesen offenbarte und die ihn in die geistige Nähe von Voghts Christentum der Tat rückt.“ 13)