Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Ohnsorgweg

Groß Flottbek (1950): Dr. phil. Richard Ohnsorg (3.5.1876 Hamburg -11.5.1947 Hamburg), Gründer der Niederdeutschen Bühne (heute Ohnsorg-Theater).


Siehe auch: Cilli-Cohrs-Weg und Heidi-Kabel-Platz
Siehe auch: Gorch-Fock-Wall
Siehe auch: Fritz-Reuter-Straße
Siehe auch: Langbehnstraße
Siehe auch: Boßdorfstraße
Siehe auch: Klaus-Groth-Straße
Siehe auch: Stavenhagenstraße
Siehe auch: Langmaackweg

Schon als Jugendlicher hatte Richard Ohnsorg den Wunsch, Schauspieler zu werden, doch seine Eltern – der Architekt Hermann Ohnsorg und seine Frau Bertha – erlaubten dies nicht. Richard Ohnsorg studierte Philologie und wurde Bibliothekar bei den Öffentlichen Bücherhallen in der Mönckebergstraße. Er wollte „dem Volk umsonst und für wenig Geld das Beste aus Kunst und Wissenschaft (..) bieten“. 1) Richard Ohnsorg blieb bis zu seiner Pensionierung Bibliothekar. Doch seine Liebe galt dem Theater. Sein Beruf als Bibliothekar erlaubte es ihm, sich hauptsächlich seiner Theaterleidenschaft zu widmen. 1901 heiratete Richard Ohnsorg Anna Marie Glöckner (1877-1951). Ein Jahr später gründete er mit Laienschauspielern den Verein „Dramatische Gesellschaft“, 1906 umbenannt in „Gesellschaft für dramatische Kunst“. „Diese Gesellschaft wollte Stücke herausbringen, die wegen ihrer Besonderheit, (…) keine Chancen hatten, in das Repertoire der großen Bühnen aufgenommen zu werden.“ 2) Damals wurden noch hochdeutsche Stücke aufgeführt.

Das 1909 aufgeführte Stück „Lotsen“ von Fritz Stavenhagen (siehe: Stavenhagenstraße) gab Ohnsorg „den entscheidenden Anstoß, sich ganz dem plattdeutschen Drama zu widmen“. 3) Gerd Spiekermann schreibt über die Ursachen, wie es zur Hinwendung zum Niederdeutschen kam: „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich in Hamburg eine Reihe von Vereinen etabliert, die sich der ‚Niederdeutschen Bewegung‘ zurechneten, die im zurückliegenden Jahrhundert deutliche Strukturen entwickelt hatte.“ 4) Dazu gehörte auch „die 1908 unter Mitwirkung Richard Ohnsorgs gegründete ‚Stavenhagen-Gesellschaft‘ (…). Die ideologisch-weltanschauliche Ausrichtung all dieser Vereine war dezidiert konservativ und antisozialistisch und allgemein gegen die kulturelle Moderne gerichtet. Ihre Ziele beschrieben sie mit Vokabeln wie ‚völkisch‘, ‚stammlich‘ und ‚nordisch‘. (…) Niederdeutschtum stand beispielsweise gegen ‚vaterlandslosen Radikalismus‘, gegen die erstarkende Sozialdemokratie und deren ‚Gleichmacherei‘. Niederdeutsches Theater sollte, so die Stavenhagen-Gesellschaft, zu einem eigenständigen Faktor in der Kultur Norddeutschlands werden und Hamburg zur ‚wahren Hauptstadt Niederdeutschlands‘. So dachte und fühlte auch Richard Ohnsorg, der konservative Bildungsbürger. (…) 1910 übernahm er den Vorsitz der ‚Gesellschaft für dramatische Kunst‘ und verfolgte fortan mit aller Energie sein Ziel, überwiegend plattdeutsche Stücke zur Aufführung zu bringen.“ 5)

Zwischen Richard Ohnsorg und Gorch Fock (siehe: Gorch-Fock-Straße und Gorch-Fock-Wall) entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit. „Weder Ohnsorg noch Gorch Fock wollten an die niederdeutsche Theatertradition anknüpfen. Sie wollten weg von den plattdeutschen Possenspielen und Schwänken des 19. Jahrhunderts. In ihrer Vorstellung sollte das neue niederdeutsche Theater gleichberechtigt neben dem hochdeutschen stehen.“ 6) „Aus Anlaß einer Benefizveranstaltung für die mittellose Witwe des Hamburger Dichters Gorch Fock (1880-1916) erhielt der Verein 1916 den Namen ‚Niederdeutsche Bühne‘: Freunde und Kollegen des Dichters hatten im Thalia Theater Hamburg unter der Spielleitung O.s dessen Stücke ‚Cili Cohrs‘ [siehe: Cilli-Cohrs-Weg] und ‚Die Königin von Honolulu‘ aufgeführt.“ 7)

Nach dem Ersten Weltkrieg fehlte es Ohnsorg an geeigneten plattdeutschen Stücken. Mangels von Männern verfasster Stücke war nun der Weg frei für eine Dramatikerin. Ohnsorg, der „zeit seines Lebens behauptet [hatte], eine Frau als Dramatikerin schrecke das Publikum ab“, 8) griff nun doch auf eine zu, versuchte dies aber damit zu vertuschen, dass er nur den Anfangsbuchstaben ihres Vornamens öffentlich machte: A. Rogge. Hinter dem A. verbarg sich der Frauenname Alma. Es handelte sich um die Schriftstellerin Alma Rogge (1894-1969).

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bestätigte der NS-„Kampfbund für deutsche Kultur“ Ohnsorg „mit den Vollmachten gemäß ‚Führerprinzip‘ als Leiter der Niederdeutschen Bühne“. 9) Richard Ohnsorg war kein Mitglied der NSDAP. Vor 1933 war er auf Anraten Henry Schapers, einem Mitbegründer der Dramatischen Gesellschaft, in die Deutsche Staatspartei eingetreten, um mehr staatliche Beihilfe zu bekommen. Dazu schreibt Bruno Peyn, ehemaliger Geschäftsführer vom Ohnsorg-Theater und ehemaliges Mitglied der NSDAP sowie ehemaliger Obmann der NS-Reichsschrifttumskammer 1965 in seinen Erinnerungen über das Ohnsorg-Theater: „Ich erinnere mich an eine dieser Sitzungen, wo Senator Stubmann als Vertreter der ‚Staatspartei‘ zu einer Erklärung ansetzte, daß er eigentlich nicht einsehen könne, warum einer reinen Liebhaber-Laien-Bühne ein Zuschuß gewährt werden sollte. – Da zupfte ihn der neben ihm sitzende Parteifreund Schaper am Ärmel und flüsterte ihm zu: ‚ … ist doch Mitglied der Partei!‘ – und schon schaltete Stubmann um (…).“ 10)

„Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten (…) brachen für die Niederdeutsche Bühne unruhige Zeiten an“ 11), schreibt Gerd Spiekermann. „Die Hamburger Vertreter der neuen Machthaber störten sich nicht am Spielplan. Ihnen ging es ausschließlich um die Anstellung ihrer Mitglieder bei der Ohnsorg-Bühne. Bereits im Februar 1933 diffamierte eine Gruppe arbeitsloser Schauspieler, die sich in der NSBO (Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation) innerhalb des ‚Kampfbundes für deutsche Kultur’ organisiert hatte, die Niederdeutsche Bühne. Sie wurde als ‚Dilettantenbühne‘ bezeichnet, die Berufsschauspielern die Arbeit nähme und darüber hinaus, da einige Mitglieder des Ensembles miteinander verheiratet seien, auch das Doppelverdienertum fördere.“ 12) Ohnsorg und Peyn konnten all die Anwürfe abwenden. „Aber auch innerhalb des Ensembles hatte Ohnsorg Ärger. Im Juni 1933 schloss er einen Vertrag mit Max Friedländer, dem Direktor der ‚Flora‘, über die Aufführung des musikalischen Lokalstücks ‚Hamburg an der Alster!‘. (…) Einige Mitglieder des Ensembles forderten daraufhin, eine Betriebsversammlung einzuberufen. Da Friedländer Jude war, weigerten sie sich, in der ‚Flora‘ aufzutreten. Ohnsorg besetzte die Rollen neu und erfüllte den Vertrag – ohne Folgen.“ 13)

1936 erhielt die Niederdeutsche Bühne neue Räume an den Großen Bleichen. „Es war jetzt ein Theater mit staatlicher Unterstützung und das verlangte die Trennung von künstlerischer Leitung und Geschäftskontrolle. Ein ‚Verein Niederdeutsche Bühne Hamburg e. V.‘ – schon vorher von Ohnsorg ins Leben gerufen (…) wurde nun zum eigentlichen Träger und bestimmte zusammen mit der Kulturbehörde den Direktor des Theaters. Ohnsorg musste sich entscheiden, ob er den Vorsitz des Vereins oder die Leitung des Hauses übernehmen wollte, und entschied sich, natürlich, für letzteres. Bruno Peyn (1887-1970), Schriftsteller und Oberstudiendirektor in Hamburg-Blankenese, wurde kaufmännischer Direktor“ 14) In der NS-Zeit wurden auch nationalsozialistisch ausgerichtete Stücke gespielt. Bruno Peyn tat „diese Tatsache nach dem Krieg verharmlosend als ‚Klöterkram‘ ab: ‚Wir brachten z. B. ‚De swatte Fahn‘, ein ‚Bombensmieterspill‘, ein Stück um den Arbeitsdienst, auf die Bühne, von den Autoren artbewusst angemerkt, hingen an den Wänden die Bilder der neuen politischen Koryphäen und es gab keinen Auftritt ohne die zum Gruß erhobene Rechte.‘“ 15) Nachdem Goebbels 1944 alle Theater schließen ließ, wurden „Ohnsorg-Schauspieler eingezogen und die Schauspielerinnen waren ‚dienstverpflichtet‘. Sie mussten im Haus an den Großen Bleichen Viehfutter abpacken“. 16)

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und „der Besetzung Hamburgs durch die britischen Truppen nahm die Niederdeutsche Bühne den Spielbetrieb wieder auf – unter neuer Führung. Die Kulturverwaltung ernannte Rudolf Beiswanger zum neuen Intendanten. Richard Ohnsorg wurde Ehrenintendant, und das Haus trug jetzt seinen Namen. Obwohl in der Presse immer wieder betont wurde, dass bei diesem Wechsel ‚keinerlei politische Gründe maßgebend waren‘ (…), so war den Kennern der Szene klar, dass der neue, von der britischen Militärregierung eingesetzte Senat, zu dem auch Mitglieder der KPD gehörten, alle exponierten Positionen mit ‚unbelasteten Personen‘ besetzen wollte. Dazu gehörten weder Bruno Peyn, der im September seines Postens bei der Niederdeutschen Bühne enthoben wurde, noch Richard Ohnsorg. Der war zwar nie in die NSDAP eingetreten (…). Aber, so teilte ihm der damalige Kultursenator Biermann-Ratjen mit, der Senat müsse und wolle auch kulturelle Posten mit Kommunisten besetzen, und so ist Herr Rudolf Beiswanger zum Intendanten der Niederdeutschen Bühne ernannt worden.‘ Als Ehrenintendant konnte Ohnsorg keinerlei Einfluss auf die Gestaltung des Spielplans oder die administrativen Vorgänge nehmen.“ 17)