Julius-Campe-Weg
Billstedt (1945): Julius Campe (18.2.1792 Deensen - 14.11.1867 Hamburg), Buchhändler, Verleger, Patriot, Freiheitskämpfer, Freimaurer
Siehe auch: Rudolphiplatz
Siehe auch: Lyserstraße
Siehe auch: Autor des Verlages war auch Heinrich Heine (siehe: Heinrich-Heine-Weg). Villa des Verlages am Harvestehuder Weg 42.
Vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten hieß die Straße Rathenaustraße. Nach der Machtübernahme wurde sie 1933 umbenannt in Horst-Wessel-Straße. Im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes 1937 sollte die Straße nach Julius Campe umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen kam. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung. Die Benennung geschah gleich nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Karl Balser schreibt in der Neuen Deutschen Biographie über Julius Campes Werdegang: „Nach der [Buchhändler] Lehre bei seinem Halb-Bruder August in Hamburg (1805–10) und Reisen zu seiner weiteren Ausbildung, nahm C. als Lützower Jäger unter einem Decknamen am Feldzug 1813 teil. Dreimal verwundet, blieb er als Premierleutnant bis 1816 in preußischen und braunschweigischen Diensten und trat nach einer 2jährigen Italienreise, (…), in das Geschäft [Verlag Hoffmann & Campe] seines Bruders August ein, das er 1823 erwarb und bald zu einer geistigen Macht in Deutschland ausbaute. Das brachte ihm in der Zeit der Demagogenverfolgung und im Vormärz unendliche Scherereien mit der Zensur des Deutschen Bundes. Mit wahrer Meisterschaft und unverkennbarem Behagen begegnete er den kraft- und zeitraubenden Zugriffen der ihm verhaßten geistigen Bevormundung. Das ging bis zur ‚Geldtortur‘ (mit steigenden Bußen), das brachte ihm Verluste und sogar Haft ein, um Verfassernamen mißliebiger Schriften von ihm zu erpressen. C. blieb jedoch standhaft und verriet niemanden. Sein Name stand auf der Bannliste fast aller Regierungen, und endlich verbot Preußen im Dezember 1841 die gesamte Produktion seines Verlages. Ähnlich verhielt sich das Metternichsche Österreich, von wo er ‚zensurflüchtige‘ Schriften übernahm (…) Neben den Großen seines Verlags, Heine und Hebbel, zog er auch kleinere Sterne an: Börne, Gutzkow, Laube, Th. Mundt, Hoffmann von Fallersieben, die ganze literarisch-politische Bewegung, deren von Ludolf Wienbarg in der Widmung zu seinen ‚Aesthetischen Feldzügen‘ (1834) geprägter Name ‚Das Junge Deutschland‘ wohl auf ihn zurückgeht. Der ‚kämpferische Verleger‘ verband mit Leidenschaft kühl abwägendes Berechnen. (…). Seine Buchhandlung war Sammelpunkt nicht nur von Hamburgs literarischem Leben.“ 1)

In der Datenbank „Hamburger Persönlichkeiten“ steht über Julius Campe und seinen Verlag: „Die Campesche Buchhandlung, zunächst in der Hamburger Bohnenstraße, später in der Schauenburgerstraße, entwickelte sich Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem literarischen Zentrum, dessen Einfluss weit über Hamburg hinausstrahlte. Während Julius Campe den Verlag leitete, erschienen rund 1.100 Titel. Es waren besonders politische Publikationen, die den Verlag so berühmt machten. (…). [Unter den von Julius Campe verlegten Schriften] befindet sich auch das ‚Lied der Deutschen‘ von Hoffmann von Fallersleben [Hoffmann-von-Fallersleben-Straße]. Der Text für die spätere deutsche Nationalhymne erschien erstmals bei Hoffmann und Campe 1841. (…). “. 2)
1832, im Alter von 40 Jahren, heiratete Julius Campe die damals 28-jährige Magdalene Bühring (1794-1843). Das Paar bekam zwei Kinder. Zwei Jahre nach dem Tod von Magdalene Campe, die im Alter von 49 Jahren verstarb, heiratete der damals 53-jährige Julius Campe die damals 24-jährige Louise Friederike Giese (1820-1899), Tochter eines Stadtsoldaten und Schumachers. Das Paar bekam ein Kind.
Julius Campe, so Carl Brinitzer, hatte eine uneheliche Tochter. Sie hieß Mathilde. Als Mutter des Kindes war Sophia Petersen aus Heide 1824 im Taufregister der alten Katharinenkirche eingetragen. 17 Jahre später wurde diese Eintragung abgeändert. „Eine neue Mutter tauchte auf: Christine Magdalena Catharina Bühring aus Meldorf (…), die Julius Campe im Oktober 1832 geheiratet hatte. Ein neues Blatt wurde in das Register eingeheftet, geschmückt mit dem Wappen der Stadt. Auf diesem Blatt hieß es, daß das ‚mehrgeachte‘ Kind Mathilde der Magdalena Bühring als durch nachfolgende Ehe, per subsequens matrimorium, legitimiert zu betrachten sei. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Name der ‚Wehmutter‘ gestrichen, die das ‚mehrgedachte‘ Kind zur Welt gebracht hatte. (…)
Sophia Petersen aus Heide ist nach der Eintragung im Taufregister als Mutter des ‚mehrgedachten‘ Kindes nie wieder im Leben von Julius Campe aufgetaucht. Wir wissen indessen, daß Julius Campe seine spätere Frau Magdalena Bühring, die ‚zweite‘ Mutter seiner Mathilde, ebenfalls schon zu jener Zeit kannte. Leider ist auch ihr Stammbaum unbekannt, vor allem deswegen, weil sie aus einer Familie kam, in der man weder Geld noch Zeit zum Pflanzen von Stammbäumen hatte. (…)
Fest steht jedenfalls, daß dieses Kind im ersten Jahr der Selbständigkeit Julius Campes geboren wurde und daß er der glückliche oder unglückliche Vater war. Es steht auch fest, daß sein Halbbruder August diese Vaterschaft keineswegs begrüßte. (…).“ 3), schreibt Carl Brinitzer in seinem Buch „Das streitbare Leben des Verlegers Julius Campe“
Nach der Hochzeit mit Christine Magdalena Catharina Bühring kündigte August Campe seinem Bruder das private Wohnhaus. August war empört über die Verehelichung. „Vielleicht würde Julius gleich nach der Verehelichung mit Magdalena Bühring sein Töchterlein Mathilde, das damals achteinhalb Jahre alt war, ‚durch nachfolgende Ehe‘ legitimieren lassen. Ganz gewiß, meinte August, war das seine Absicht, obwohl im Taufregister (…) nicht Magdalena Bühring als Mutter der Mathilde eingetragen war, sondern Sophia Petersen aus Heide. Auch die Hebamme war dort angegeben, die bei der Entbindung Hilfe geleistet hatte. Und doch hatte Julius immer seine Freundin Magdalena als Mutter der Mathilde bezeichnet. Wenn er jetzt versuchen sollte, sein Töchterlein durch nachfolgende Ehe legitimieren zu lassen, so war das ja nur möglich, indem man Mathildes ‚erste‘ Mutter aus der Welt schaffte, zumindest aber aus dem Taufregister. Nun, es mag schon sein, daß Julius Campe bereits damals mit diesem Gedanken spielte, dessen Ausführung nur durch eine Falschbeurkundung im Kirchenbuch zu erreichen war. Aber August wußte zuviel. Und das war wohl der Grund, warum er diesen gewagten Schritt erst viele Jahre später unternahm, erst nachdem der Bruder gestorben war, Auf alle Fälle war August auch ohne Legitimation der kleinen Mathilde gegen die Heirat. Schon ein paar Tage nach der Hochzeit kündigte er dem Bruder den Mietkontrakt. Julius Campe kaufte sich jetzt ein Haus in der Bohnenstraße. Hier verbrachte er bis zum großen Hamburger Brand glückliche Jahre mit seiner Frau. Sie wurde zwar von der Familie geschnitten. Aber Campe machte sich nicht viel daraus. Zumindest war er zu stolz, es sich merken zu lassen. Nur einmal ließ er seinen Gefühlen freien Lauf. Es war, als sein Neffe Friedrich Vieweg von ‚Tante Magda‘ sprach, nicht etwa um durch das Wort ‚Tante‘ die Frau seines Onkels als Vertreter der jüngeren Generation in den Schoß der Familie aufzunehmen, sondern nur aus ‚Schabernack‘, wie er Heine eingestand. (…) Er {Julius Campe] hätte wie der Gründer der Firma, August Benjamin Hoffmann, oder wie seine Brüder Friedrich und August eine wohlhabende Bürgersfrau heiraten können (…). Er tat es nicht. Magdalena Bühring war arm. Als er nach ihrem Tode eine zweite Ehe einging, gab er die urkundliche Erklärung ab, seine verstorbene Frau habe ihm durchaus nichts in die Ehe gebracht und während der Ehe nichts geerbt. Aber Magdalena Bühring wurde ihm eine gute Kameradin. Sie war tüchtig und tapfer. (…) Das erste Kind aus dieser Ehe kam ein Jahr nach der Trauung tot zur Welt. (…) Erst eineinhalb Jahre später war ein neues Kind ‚unterwegs‘. Julius Campe erhoffte sich einen Thronerben. (…),“ 4) schreibt Carl Brinitzer.
Doch es kam anders. Enttäuscht schrieb er an Heinrich Heine (siehe: Heinrich-Heine-Weg): „‚Meine Frau ist niedergekommen, aber nicht mit einem Activum, sondern einem Passivum, einem kleinen freundlichen Mädchen.‘ Das kleine, freundliche Mädchen war Helene Campe, deren Lebensweg noch überreichlich mit Passivis gepflastert sein sollte“, 5) äußert Carl Brinitzer in seiner Biographie über Julius Campe.
Als 1842 der große Brand in Hamburg ausbrach, war Julius Campe nicht in Hamburg. Seine Frau lag seit Monaten krank im Bett. Dennoch schaffte sie es, seine Vermögens-Papiere zu retten.
Seine Tochter Mathilde heiratete 1844 Louis Bahre, der Bevollmächtigte der Colonia-Versicherungsgesellschaft. Ein Jahr später, Campe war bereits Witwer, heiratete er Louise Friederica Giese, die damals 24 Jahre alt war, und „gewisse Garantien dafür bot, daß der Name Campe nicht aussterben würde“. 6), denn es fehlte schließlich immer noch der „Thronfolger“.
Louise war die Tochter eines Stadtsoldaten, also nicht vermögend. Das machte Campe nichts aus. „Er suchte eine junge und gesunde Frau mit gutmütiger Derbheit, die hauptsächlich für den Kochtopf erzogen war, kein verzärteltes Frauenzimmer mit durchsichtigem Modeteint. Er suchte keine Frau, die gewohnt war, auf großem Fuß zu leben. (…) [An seinen Bruder Heinrich Campe schrieb Julius Campe zur Entbindung seines ersten Sohnes]: ‚Am 18. ward meine Frau von einem derben Knaben entbunden, was ich Dir, als Senior unseres Stammes, vor allen Anderen melde und Dich bitte, bei ihm Patenstelle zu übernehmen.‘“ 7)
Campes Tochter Helene heiratete den Kaufmann Alexander Gentz.
Nachdem Campe 1865 einen Schlaganfall erlitten hatte, übernahm sein Sohn, damals im Alter von neunzehn Jahren, das Geschäft. „In seinem Testament hatte er seinen Sohn Julius zum Universalerben eingesetzt. Seiner Witwe und seinen beiden Töchtern hinterließ er je 100.000 Mark Banko.“ 8)
Julius Campes Schwägerin: Elisabeth Campe, geb. Hoffmann
Julius Campes Bruder August Campe (1773-1836) war verheiratet mit Elisabeth Hoffmann (12.6.1786 Hamburg - 27.2.1873 Hamburg). „Wenn ich des Gegenstandes wegen auch nicht für nöthig halte, daß ich genannt werde, und keinen Werth darauf lege, so bin ich mit 72 Jahren doch alt genug, um kein zimperliches Incognito bewahren zu wollen.“ 1) Die hier einwilligt, öffentlich als Verfasserin einer Schrift genannt zu werden, ist Elisabeth Campe, geb. Hoffmann. Hoffmann und Campe, diese beiden Namen trägt der renommierte Hamburger Verlag bis zum heutigen Tag, und der Anlass für die Fusion war Elisabeth – Tochter von Benjamin Gottlob Hoffmann und Ehefrau von Franz August Gottlob Campe, beide Verleger und Buchhändler. Elisabeth Campes eigenständige Bedeutung für die Verlagsgeschichte aber liegt auf einem anderen Gebiet, auf dem der Autorenschaft. Mit ihren Briefen aus der Zeit der zweiten Besetzung Hamburgs durch die Franzosen wollte nach deren Abzug der Verlag ihres Mannes, der damals noch nicht mit dem ihres Vaters zusammengelegt war, seine Arbeit wieder aufnehmen. Die Briefe waren eigentlich für Johann Nicolas Böhl von Faber bestimmt gewesen, der sich wiederfindet in der Figur des Johannes in Joachim Heinrich Campes berühmtem Roman „Robinson der Jüngere“. Der erfolgreiche Kaufmann, Liebhaber und Kenner spanischer Poesie und mittelhochdeutscher Literatur, Herausgeber einer Liedersammlung aus des „Knaben Wunderhorn“ hatte Hamburg kurz nach dem Einzug der russischen Befreier verlassen müssen, um beim Rückmarsch der Franzosen aus Pommern auf seinem Gut Görslow in Mecklenburg anwesend zu sein. Elisabeth Campe hatte dem Freund beim Abschied versprochen, ihn über die Veränderungen nach der Befreiung von den Franzosen auf dem Laufenden zu halten. Doch noch ehe sie den ersten Brief abgeschickt hatte, waren die Franzosen wieder in der Stadt. Sie berichtete von allen großen und kleinen Vorfällen, wusste die Briefe aber nicht zuzusenden, weil der Freund sein Gut verlassen hatte und nach Spanien zurückgegangen war. Eben diese Briefe wurden auf inständiges Bitten und Drängen von Vater und Ehemann im Juli 1814 unter dem Titel „Darstellung von Hamburgs außerordentlichen Begebenheiten in den Jahren 1813 und 1814“ anonym veröffentlicht. Elisabeth Campe hatte erst nach langem Zögern und nur unter der Einschränkung zugestimmt, dass ihr Name nicht genannt werde. Inwieweit bei dieser Bedingung auch anerzogene Zurückhaltung mitspielte, da es für Frauen als unschicklich galt, an die Öffentlichkeit zu treten, und Schriften von Frauen allein aufgrund der Tatsache, dass sie von Frauen geschrieben waren, zumeist herablassend und unsachlich rezensiert wurden, mag dahingestellt sein. Fest steht, dass die geistreiche und lebendige Elisabeth Campe von großer persönlicher Bescheidenheit war.
Geboren wurde sie am 12.Juni 1786. Ihre Mutter war eine geborene Ruperti (Rupertistraße). Die Eltern ließen ihrer ältesten Tochter, die ihnen als einziges von drei Kindern erhalten blieb, eine gründliche Erziehung angedeihen. Elisabeth Campe besuchte die französische Schule bei Madame Mollinier, bewegte sich bald mit großer Selbstverständlichkeit in den ersten Hamburger Kreisen, die in ihrem Elternhaus verkehrten, und begleitete die Eltern auf deren Reisen. Besonders liebte sie die Fahrten zur Leipziger Messe, wo sie Gelegenheit hatte, Menschen kennenzulernen und Freundschaften zu schließen. Am 6. Dezember 1806 heiratete sie den Verleger und Buchhändler Franz August Gottlob Campe, der im Jahre 1800 aus Braunschweig nach Hamburg gekommen war und hier eine Buchhandlung eröffnet hatte. Der Anfang war ihm dadurch erleichtert worden, dass er von den Hamburger Freunden seines Onkels Joachim Heinrich Campe, in dessen Schulbuchhandlung er in Braunschweig gelernt hatte, – Klopstock (siehe: Klopstockstraße), Reimarus (siehe: Reimarusstraße), Sieveking und Hoffmann –, freundlich aufgenommen wurde. Von der Heirat schreibt Elisabeth Campe in ihrem Nekrolog auf ihren Mann: „Seine Ansprüche waren immer nur auf ein bescheidenes Lebensglück gerichtet und hierin fand er die vollste Übereinstimmung der Gesinnungen, als er im J. 1806 die einzige Tochter seines älteren Collegen B. G. Hoffmann zur Lebensgefährtin wählte.“ 2) Was sie unter einem „bescheidenen Lebensglück“ verstand, zeigt eine Art Vermächtnis, das sie im März 1840 für Elise Friederike Reclam (Reclamstraße) schrieb. Das Ehepaar Campe, das selbst kinderlos blieb, hatte die siebenjährige Nichte Elisabeth im Herbst 1818 als Pflegekind bei sich aufgenommen: „Erhalte Dein Herz weich“, heißt es da, „freundlich und liebevoll gegen alle Menschen, dann stehst Du nie allein; der Beruf, andere zu beglücken, ist an keinen Stand, an kein Verhältnis gebunden, Gottes Reich ist überall, und die Liebe macht alles gleich! Sieh nicht auf das Aeußere. Du findest Menschen in den beschränktesten Lebensverhältnissen, deren innerer Reichtum bei weitem den Glanz dieser Welt überragt. Ist aber Dein geistiges Leben dem Himmel wie der Erde zugewandt, so wird es Dir immer leichter werden, in Anderen das Gleiche zu erkennen; da nur schließe Dich an, ohne jedoch zu vergessen, dass es auch Pflicht und Beruf ist, Gottes Reich zu fördern, und die Segnungen, die es uns gebracht, in froher Verkündigung denen mitzutheilen, welchen Morgenröthe noch nicht erschienen ist! … Du kennst die Nachtheile des Alleinlebens; davor sei ernstlich gewarnt. Unabhängigkeit und Freiheit sind Hirngespinste; Niemand ist unabhängig und frei zu nennen, als wer allen Ernstes Herr seiner Fehler und Leidenschaft geworden; nach dieser Freiheit des Geistes dürfen wir allein ringen. Kannst Du Dich hier, in Deiner zweiten Vaterstadt, guten Menschen anschließen, Dir mit den Mitteln, die Gott Dir gegeben, eine zweckmäßige Thätigkeit schaffen, ohne der Eitelkeit nach außen Raum zu geben, so bleibe in Gottes Namen hier und erhalte das Andenken beider würdigen Männer, Deines und meines Vaters, deren Thätigkeit Du diese Mittel dankst, bei den Zeitgenossen im Segen! – Gutes wirken kannst Du allenthalben; fühlst Du Dich in Braunschweig oder Leipzig glücklicher, heimischer, zufriedener, so folgt Dir unser Segen allenthalben, wohin Du dich wendest! – “ 1) .
Ein Leben in und für die Gemeinschaft Gleichgesinnter also, wie sie selbst es führte als Mittelpunkt eines großen literarisch interessierten Freundeskreises. Zu ihm gehörten neben Böhl von Faber, dem Adressaten ihrer Briefe aus der Franzosenzeit, der Biograph des Schauspieldirektors Friedrich Ludwig Schröder, Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer aus Bramstedt, und der Dichter Johann Diederich Gries (Griesstraße), der vor allem als Übersetzer von Tasso und Calderon bekannt geworden ist. Ihnen allen sollte Elisabeth Campe ein schriftliches Denkmal setzen, und der Beweggrund war immer derselbe: die Freunde in ihrer wahren Persönlichkeit darzustellen und sie vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Nach dem Tod von Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer verfasste Elisabeth Campe für seine Erben, die von ihrem Gönner kaum etwas wussten, einen „Abriß seines Lebens“. Später ergänzte sie ihn durch eine Auswahl von Briefen – von Bürger, Forster, Göckingh, Gotter, Herder (siehe: Herderstraße), Heyne, Schröder u. a. – und versah sie mit einleitenden Bemerkungen. So entstand ein zweibändiges Werk. Professor Wurm charakterisierte die Lebensskizze im Vorwort als mit „… einer leichten Federzeichnung zu vergleichen, die in unscheinbaren Umrissen die ganze Persönlichkeit zusammensetzt, und keinen andern Anspruch macht, als dem Leser das Interesse abzugewinnen, von dem Manne, den sie bezeichnet, mehr zu erfahren.“ 3) Das „Leben von Johann Diedrich Gries“ wurde nur als Handschrift gedruckt. Es entstand vor dem Hintergrund, dass der Dichter Gries durch seine lange Abwesenheit aus Hamburg der jüngeren Generation kaum bekannt war, und, als er schließlich als schwerkranker Mann 1837 nach Hamburg zurückkehrte, sich auch nicht mehr ins rechte Licht setzen konnte. Das tat Elisabeth Campe so weh, dass sie seine Lebensgeschichte aufschrieb und eine Reihe von Briefen berühmter Männer an Gries hinzufügte. Auch das dritte Porträt wurde nur als Handschrift gedruckt. Als im Jahr 1850 der Verein für Hamburgische Geschichte beschloss, ein Lexikon Hamburgischer Schriftsteller herauszugeben, machte Elisabeth Campe auf Böhl von Faber aufmerksam, der 1813 zuletzt in Hamburg gewesen und fast vergessen war. Ihr Artikel für das Lexikon wurde aber so lang, dass er zwar benutzt wurde, in vollem Umfang aber in den „kritischen und literarischen Blättern“ der Börsenhalle erschien. Varnhagen von Enses Interesse an Böhl von Faber ermunterte sie, die Skizze weiter auszuführen, und so entstand1858 ihre letzte Abhandlung, bei der sie nicht mehr auf Wahrung des Incognito bestand. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit, die eng mit der Realität verknüpft war und die Begebenheiten und Menschen ihrer Umgebung zum Gegenstand hatte, griff Elisabeth Campe auch unmittelbar ins Tagesgeschehen ein. Als 1813 die Bürgergarde gegründet worden war, weil man eine Rückkehr der eben abgezogenen Franzosen fürchtete, und ihr Mann sich sofort als Freiwilliger meldete, tat Elisabeth Campe sich mit Freundinnen zusammen, und gemeinsam stickten sie eine Fahne, die nach Übergabe an die Bürgergarde unter Anwesenheit der Frauen in der Michaeliskirche geweiht wurde. Zudem gründeten die Frauen einen Verein, der es sich zur Aufgabe machte, die kämpfenden Männer zu unterstützen. Als dazu keine Notwendigkeit mehr bestand, löste sich der Verein nicht auf, sondern die Frauen errichteten eine Schule für die Ausbildung armer Mädchen zu Dienstboten, in der Elisabeth Campe als Pflegerin tätig war und unterrichtete. Auch im Alter blieb Elisabeth Campe voller Schaffenskraft. Als sie 74jährig vollständig erblindete - die Sehkraft des einen Auges hatte sie schon früher verloren -, suchte sie sich durch Stickereien für Hilfsbedürftige und die innere Mission zu beschäftigen. „Welch’ ein Segen für mein Geschlecht ist doch die Handarbeit“ 1), pflegte sie zu sagen. Sie, die sich so gerne schriftlich mitteilte, ersann auch bald eine eigene Vorrichtung, um ihre Gedanken aufschreiben zu können. Aber auch an persönlichem Kontakt fehlte es ihr nicht, obwohl sie keine nahen Angehörigen mehr hatte. Ihr Mann, August Campe, war bereits 1836 verstorben, die Nichte Elise Reclam 1861. Pastor C. Mönckeberg rühmt die alte Elisabeth Campe: „Es war auch ein Genuß, mit der edlen Frau sich zu unterhalten. Die Anmuth ihrer Erscheinung, die gewinnende Freundlichkeit, mit der sie Jedem entgegentrat, ihre feine, gebildete, ohne Ziererei doch immer das rechte Wort findende Sprache, die von Wahrheit durchdrungene Ausdrucksweise, ihre leichte und doch so gehaltvolle Art der Unterhaltung, die Fähigkeit zu erzählen, die sie auf liebliche Art besaß, mit lebendiger Erinnerung vergangener Stunden und frischer Darstellung des vor langer Zeit Erlebten, dabei die Leichtigkeit und Klarheit in Auffassung neuer Erscheinungen, das bestimmte, gesunde und doch so milde Urtheil, – Alles vereinte sich, die Stunden bei ihr schnell vergehen zu lassen, wenn sie sich nur erträglich wohl fand. Rührend war es aber auch, wenn sie ihres Schmerzes nicht Herr werden konnte und die aufsteigenden unzufriedenen Gedanken nicht ganz zu unterdrücken vermochte; da kämpfte sie mit Anstrengung, ohne eine Spur von Bitterkeit kund zu geben. Ihr festes Gottvertrauen läuterte ihre Seele immer mehr und mehr; und immer mehr zog sie sich in ihren Gott zurück.“ 1) Es entspricht ganz ihrem Wesen, wenn Elisabeth Campe bestimmte, dass sie so einfach wie möglich begraben werde und das dadurch ersparte Geld dem Turmbau der Nicolaikirche zukomme. Ihren Freunden und Bekannten hinterließ sie folgende Lebensbilanz: „Unser Leben währet 70 Jahre und, wenn es hoch kommt, so sind es 80, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es doch Mühe und Arbeit! Die Wahrheit dieses Wortes habe ich an mir selber erfahren. Denn wohl kann ich mein langes Leben als köstlich bezeichnen, und zwar durch die Gnade des Herrn, der mich in Verbindung mit so vielen vorzüglichen und edlen Menschen gebracht, deren Einfluß auf mich ich mir noch jetzt bewußt bin. Doch gab es auch viel Mühe und Arbeit, sowohl in den Irrgärten des Lebens, als auch im Kampfe mit bösen Neigungen, Selbstliebe und Eitelkeit, die dem reinsten Streben nur zu oft störend und hinderlich entgegentraten. Viele meiner liebsten Freunde und Zeitgenossen sind bereits heimgegangen, und da mir Gott auch alle meine nächsten Angehörigen nahm, darf ich wohl fragen: Hüter, ist die Nacht bald hin? Aber nah und fern sind mir noch so viele liebe Freunde, Verwandte und Bekannte geblieben, die sich mir in meinen letzten dunkeln Lebenstagen so freundlich, hülf- und trostreich erwiesen haben, daß ich allen, allen – wenn ich an meine Scheidestunde denke, – ein dankbares Lebewohl zurufen muß! Möge Gott sie dafür segnen, im Alter in ihren Kindern, und das jüngere Geschlecht behüten und bewahren! – Und nun noch eine letzte Bitte, – ist sie vielleicht auch kleinlich und bezeichnend im Festhalten am Irdischen, –:so erfüllt sie! Verschmähet nicht ein Andenken von mir; wählet aus meinem bescheidenen Nachlaß irgendeine Kleinigkeit, die dann zuweilen mein Gedächtnis in euch zurückrufen könnte! Mag dann der Gedanke laut werden: Sie war nicht frei von Fehlern, doch falsch und treulos war sie nicht! – Nun mein letztes Lebewohl bis zum Wiedersehen dort Oben, wo der Erlöser alle, die ihn lieben, um sich vereiniget!“1)
Text: Brita Reimers