Hamburger Straßennamen -
nach Personen benannt

Schimmelmannstraße

Marienthal, Jenfeld (vor 1864), Graf Heinrich Carl von Schimmelmann (13.7.1724 Demmin – 16.2.1782 Kopenhagen), dänischer Finanzminister mit dem Titel Schatzmeister. Siehe auch: Schatzmeisterstraße.


Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 umbenannt in Eppstraße (siehe zu Epp unter Schimmelmannstieg); am 1.10.1945 erhielt die Straße ihren alten Namen „Schimmelmannstraße“ zurück.

Siehe auch: Hudtwalckerstraße, hier: Margarethe Milow, Schwester von Johann Michael Hudtwalcker, nach dem die Straße benannt und deren Mann bei Schimmelmann als Pastor angestellt war.
Siehe auch: Brodersenstraße (zu Adeline von Schimmelmann)
Siehe auch: Lengerckestraße
Siehe auch: Moojerstraße
Siehe auch: Van-der-Smissen-Straße
Siehe auch: Baurstraße
Siehe auch: Caspar-Voght-Straße
Siehe auch: Schimmelmannstieg
Siehe auch: Schimmelmannallee

In der Zeit des Nationalsozialismus erhielt die Straße nach 1933 die Bezeichnung Eppstraße. Franz Xaver Epp, seit 1916 Ritter von Epp, war Berufssoldat, später NSDAP-Politiker. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde die Straße rückbenannt in Schimmelmannstraße.

Im folgenden Text wird das N-Wort im historischen Zitat voll ausgeschrieben. 1)

Anfang des 18. Jahrhunderts siedelte sich Dietrich Jakob Schimmelmann aus der wohlhabenden Rostocker Kaufmannsfamilie in Demmin/Vorpommern an. Sein dritter Sohn Heinrich Carl Schimmelmann fing eine Kaufmannslehre in Stettin an, stieg dann in Dresden in den Kolonialwarenhandel ein.

Im Siebenjährigen Krieg beauftragte ihn Friedrich II. mit Getreidelieferungen für die preußischen Truppen. Als Dank durfte er die vom König konfiszierten Lagerbestände der Meißner Porzellanmanufaktur zu günstigen Konditionen kaufen. Die kostbare sächsische Kriegsbeute im geschätzten Wert von 300.000 Talern erwarb Schimmelmann zum halben Preis. Das Porzellan ließ er in hundert Kisten nach Hamburg schaffen und 1758 bei einer spektakulären Auktion verkaufen, wobei er einen erheblichen Gewinn erzielte. 1759 half er dem Preußenkönig mit etwas undurchsichtigen Geldtransaktionen aus England aus. Dabei fiel er mit Münzfälschung auf: Das in seinem Auftrag geprägte Hartgeld wies einen zu niedrigen Silbergehalt und einen gefälschten Stempel auf.

Als Kriegsgewinnler konnte Schimmelmann das luxuriöse Gottorper Palais in der Mühlenstraße unterhalb der Hamburger Michaeliskirche kaufen, wo er auch sein Kontor einrichtete. Den Hamburger Kaufleuten war der neureiche Zuzügler mit seiner fürstlichen Hofhaltung suspekt, und sie lehnten seine Einbürgerung ab. 1759 besaß Schimmelmann schon einen Million Taler und konnte sich das Ahrensburger Schloss und Gut mit 319 leibeigenen Bauern leisten, hinzu kamen weitere Schlösser, Paläste und Landgüter in Kopenhagen, Berlin, Wandsbek und Lindenborg, die größte Zuckerraffinerie Nordeuropas in Kopenhagen, Baumwollwebereien, eine Brauerei und eine Branntweinbrennerei in Wandsbek, die einzige Waffenproduktion Dänemarks in seiner Kronborg-Fabrik bei Hellebaek sowie die vier größten Zuckerplantagen auf den Dänisch-Westindischen Inseln in der Karibik. Zudem war Schimmelmann Großaktionär an der Königlich Dänisch-Westindisch-Guinesischen-Compagnie sowie der Asiatischen Compagnie, die Handel in China und auf den dänischen Kolonien Tranquebar in Indien und Trinquemale auf Ceylon betrieb.

Für seine nächste Aufgabe in Dänemark – die Sanierung der Staatsfinanzen – bedankte sich der König beim ihm mit Adelstitel und berief ihn zum dänischen Schatzmeister (Finanzminister). Als Politiker und Kaufmann in Personalunion konnte Schimmelmann seine eigenen wirtschaftlichen Interessen absichern. Seine Plantagen, Landgüter, Fabriken und Manufakturen vernetzten Handel, landwirtschaftliche Produktion und Kapitalbeschaffung, damit schuf er einen autarken Wirtschaftskreislauf, das „System Schimmelmann“, in dessen Mittelpunkt der transatlantische Menschenhandel stand.

In Schimmelmanns Manufakturen mussten Waisenkinder aus Armenfürsorgeeinrichtungen in langen Arbeitstagen Wolle und Baumwolle weben. Der Straßenname Kattunbleiche in Wandsbek erinnert noch heute an die großflächigen Bleicherwiesen für Baumwolle am Fluss Wandse, an dessen Ufern die Straßennamen die reichen und global agierenden Tuchhändler Peter von Lengercke (siehe: Lengerckestraße und Lengerckestieg) und Johannes Moojer (siehe: Moojerstraße) würdigen, die mit Schimmelmann Geschäfte machten. Bunt bedruckter Baumwollstoff, billiger Branntwein, Waffen und Schießpulver gehörten zu Schimmelmanns Warensortiment in Westafrika. Seine Schiffe brachten die Ware zum Fort Christiansborg (Osu Castle) und zu den weiteren Sklavenburgen an der Guineaküste, wo diese gegen Versklavte eingetauscht wurden. Nach Bedarf hielten Werften im dänischen Altona zusätzliche Schiffe zum Chartern bereit: die Firma Hinrich van der Smissen & Söhne (siehe: Van-Der-Smissen-Straße) und das Altonaer Unternehmen der Familie Baur (siehe: Baurstraße) boten speziell umgebaute und ausgerüstete Schiffe für den transatlantischen Dreieckshandel mit Menschen an. „Baur hat eine schöne zweigedeckte Fregatte von 150 Last, er fordert dafür 4.500 Mark Banco per Monat. Dann kann das Schiff hingehen, wohin es soll. Von anderer Seite war (…) ein Schiff von 120 Last zu 3.500 Mark Banco per Monat angeboten ohne die inwendige Ausrüstung, die Bretter, eisernen Schlösser und was mehr dazu gehörte. Es handelte sich darum, neutrale Waren von Bordeaux nach Guinea zu bringen, von da mit Negern nach S. Domingo zu fahren und mit neutralen Waren nach Hamburg zurück”, notierte 1783 der ebenso am Menschenhandel interessierte Kaufmann Georg Heinrich Sieveking aus dem Hamburger Handelshaus Caspar Voght & Co. (siehe: Caspar-Voght-Straße und Baron-Voght-Straße).

Mit den eisernen Schlössern und Ketten wurden die Gefangenen zu zweit an den Händen und Füßen gefesselt. Auf der monatelangen Schifffahrt über den Atlantik bekamen sie nur eine schmale Liegefläche zugewiesen. Viele der Kinder, Frauen und Männer starben unterwegs an Entkräftung und um sich greifenden Krankheiten. Die Überlebenden kamen im Hafen der dänischen Insel St. Thomas an und wurden auf die Inseln St. Croix und St. Jan (John) verteilt, wo sie zu harter Arbeit auf Schimmelmanns Zuckerrohr- und Baumwollfeldern verpflichtet wurden. Mit rund 1.000 Versklavten auf seinen Plantagen war der Wandsbeker Kaufmann der größte private Versklaverer seiner Zeit. Weitere Mitglieder der Schimmelmann-Familie waren ebenfalls Plantagenbesitzer oder Anteilsinhaber. Als „Eigentumsnachweis“ ließ er den Menschen, die er versklavte, mit einem Brenneisen die Buchstaben „BvS“ (Baron von Schimmelmann) in die Haut einbrennen. Der „Schimmelmannsche Wirtschaftskreislauf“ schloss sich mit der Verschiffung der Plantagenerzeugnisse Rohzucker und Baumwolle aus Westindien zur Weiterverarbeitung in den eigenen Manufakturen.

Im großen Stil betätigte sich Schimmelmann auch als Menschenhändler. Vom Hafen der Insel St. Thomas aus wurden Versklavte im karibischen Raum oder nach Amerika weiterverkauft. Das Schiff Graf Ernst Schimmelmann wurde in Altona und Kopenhagen stets bereitgehalten. 1780 segelte der Altonaer Cargadeur Anton Friedrich Gebauer über den Atlantik mit dem Auftrag, er solle „mit einer Partie Sclaven nach St. Domingue weiter segeln, um sie dort zu verkaufen.” Das Schiff brachte 800 Fass wertvollste Kolonialwaren – Puderzucker und Kaffee – zurück. Schimmelmann konnte zufrieden sein: Bei dieser Fahrt wurde ein Reingewinn von 75.350 Reichstaler erzielt. Die „Schatzmeisterin“ Caroline Tugendreich, Schimmelmanns Frau, konnte seine Ankunft kaum erwarten. In einem Brief 1781 schrieb sie an Schimmelmann: „Kommt Gehbauer [sic] nach Hamburg? … Was trägt die axie (…) was thun die 4 Procente welche du mir versprochen von den profit (…)? ich glaube, das ich nun balde eine Capitalistin sein werde, darauf rechne ich ganz gewies.“ Gebauer ließ sich 1806 vom damaligen Stararchitekten Christian Frederik Hansen eine prächtige Villa am Philosophenweg in Altona bauen.

Viel Geld brachte Schimmelmann auch der Handel mit Schwarzen Dienerinnen und Dienern. Er ließ von seinen Plantagen junge Menschen bringen, die er an die Herrenhäuser in Schleswig-Holstein und Kopenhagen verkaufte. Europäisierte Namen und einige biographische Spuren sind auf den Schiffslisten und Verkaufsdokumenten erhalten geblieben von denjenigen, die im Haushalt der Schimmelmann-Familie dienen mussten: Joseph Ambach, Christoph (Petersen) Tafeldecker, Emilia Regina, Sabina Helena. Hans Jonatan gelang es, 1805 nach Island zu flüchten, wo er heiratete; inzwischen hat er dort fast fünfhundert Nachfahren. Von Anfang an leisteten die Verschleppten Widerstand. Auf der atlantischen Mittelpassage kam es häufig zu Meutereien an Bord. Viele konnten von den Plantagen in die Berge oder auf benachbarte Inseln fliehen. 1733 gelang es ihnen, die Insel St. Jan monatelang unter ihrer Kontrolle zu halten, bevor europäische Truppen den Freiheitskampf brutal niederschlugen. 1779 kam es zu einem Aufstand auf Schimmelmanns Plantage Carolina.

Für seinen posthumen Ruhm sorgte Schimmelmann schon zu Lebzeiten, indem er sich und seiner Frau am Wandsbek-Markt ein prächtiges Mausoleum im klassizistischen Stil erbauen ließ. Die zwei Sarkophage aus dunklem, golden geadertem Carrara-Marmor wurden 1790 mit einem Spezialtransport aus Italien herangeschafft. Schimmelmann hinterließ seinen Nachkommen acht Millionen Reichstaler, Schlösser, Paläste, Kaufmannsspeicher, Schiffe, Gutsbesitz in Schleswig-Holstein und Dänemark mit leibeigenen Bauern, Fabriken und Manufakturen mit einer subproletarische Arbeiterschaft sowie Eigentum an Plantagen in Westindien mit Zuckermühlen und tausend Versklavten, zudem Aktienanteile an den west- und ostindischen Kompanien.

Sohn Ernst Heinrich von Schimmelmann (1747-1831) wurde 1780 zum „Direktor des Sklavenhandels“ der erneut gegründeten Königlich Dänisch-Westindisch-Guinesischen-Compagnie ernannt. Alarmiert durch die Haitianische Revolution von 1791, bei der sich die Versklavten selbst befreien konnten, und durch die Widerstandskämpfe auf den eigenen Karibikinseln lockerte er das grausame Strafreglement „St. John’s Slave Code“. Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Die alte Plantagenwirtschaft war nicht mehr profitabel. 1792 erließ Dänemark als erstes Land ein Menschenhandelsverbot, doch mit einer „Übergangszeit“ bis 1803; Versklaverei blieb weiterhin bestehen. Im Vorfeld der neuen Gesetzgebung nahm der Menschenhandel deutlich zu: Bis 1789 wurden von der Guineaküste schätzungsweise 12.000 Versklavte verschleppt, darunter viele Frauen und 2.000 Kinder. „Bestandserhaltung“ der Plantagenarbeitskraft war nun die Devise, die hohe Kindersterblichkeit sollte beseitigt, Eheschließungen und Nachwuchs gefördert werden. Gegen diese halbherzigen „Reformen“ reagierten die versklavten Frauen mit Gebärstreiks.

1788 beauftragte Ernst Schimmelmann den Botaniker und Chirurgen Paul Erdmann Isert, an der Guineaküste nach einem passenden Ort für eine Versuchsplantage zu suchen. In den südlichen Akwapim-Bergen wurde Isert fündig, gründete das königlich-dänische Gut Frederiksnopel und fing an, das Land mit bezahlten Arbeitskräften zu roden. Bereits zwei Monate später starb er vor Ort. Die Asante griffen die als Eindringlinge empfundenen Plantagenbetreiber wiederholt an, und so wurde das Anwesen schnell wieder aufgegeben. 1848 führte General Buddhoe, der auf Schimmelmanns Plantage La Grange auf St. Croix gearbeitet hatte, eine Revolution, die schließlich zur Befreiung von der Versklavung führte. Dänemark war nun gezwungen, das perfide System der Versklaverei ganz aufzugeben. Indes dauerten auf den Inseln unfaire Arbeitsverhältnisse bis ins frühe 20. Jahrhundert an. 1917 kauften die USA St. Thomas, St. Croix und St. John.

2006 stellten Bezirk Wandsbek und Stadt Hamburg eine neu gestaltete Büste zu Ehren von Heinrich Carl Schimmelmann auf dem Wandsbeker Marktplatz auf. Wiederholte Proteste der Black Community Hamburg führten zur Entfernung des Sklavenhändlerdenkmals 2008. In einem Park auf der Insel St. Croix wurde zur Erinnerung eine Büste aufgestellt, die nicht Schimmelmann ehrt, sondern General Buddhoe, den Schwarzen Führer der Revolution von 1848, an den auch mit einem Lied erinnert wird: Clear the road, all you clear the road / Clear the road, let the slaves pass / We are going for our freedom / We don‘t want any bloodshed, not a drop of bloodshed / What we want is freedom, oh, give us freedom. / Come let us go to town, let us meet the General / The General‘s name is Buddhoe, he‘s going to give us pure freedom.

Text: HMJokinen, Mitarbeit: Frauke Steinhäuser


Die Ehefrau: Caroline Tugenreich Schimmelmann, geb. Friedeborn
Verheiratet war Schimmelmann seit 1747 mit Caroline Tugendreich, geb. Friedeborn (29.9.1730 Görlitz – 4.11.1795 Wandsbek), Tochter eines preußischen Oberstleutnants und Pflegetochter des Kursächsischen Geheimrats Heinrich Ernst von Gernsdorff. Da Caroline nicht von Gernsdorff adoptiert worden war, war sie auch nicht adelig. Es ging aber das Gerücht um, Caroline sei Gernsdorffs leibliches Kind, denn es wurde ihm nachgesagt, dass er zahlreiche außereheliche Kinder gezeugt hätte. Dieses Gerücht über Caroline nutzte Schimmelmann, um seine Frau (Heirat: 1747) als eine geborene „von“ auszugeben. Für Schimmelmann als einem bürgerlichen Emporkömmling wäre es nämlich kaum möglich gewesen, in den Adel einzuheiraten. Caroline und ihr Gatte Schimmelmann bekamen sieben Kinder. Berühmt waren Carolines glänzenden Fähigkeiten, Feste mit Charme und Geschick zu gestalten. Während ihr Mann seinen Geschäften und Ämtern nachging, sorgte sie für den erforderlichen gesellschaftlichen Rahmen. Aber nicht nur das: Sie unterstützte ihren Mann in seinen Geschäften. Dazu schreibt Dietmar Pieper in seinem lesenswerten Buch „Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche. Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben“: „Als der Altonaer Schiffseigner Anton Friedrich Gebauer in dessen Auftrag 75 360 Taler Gewinn mit dem Transport von Sklaven, Zucker und Kaffee erzielt, schreibt sie [Frau Schimmelmann] ihrem Gatten ungeduldig: ‚Kommt Gebauer nach Hamburg? … Was trägt die Aktie, was tun die 4 Prozente, welche Du mir versprochen hast von dem Profit?‘ In freudiger Erwartung fügt sie hinzu: ‚Ich glaube, dass ich nun balde eine Kapitalistin sein werde, darauf rechne ich ganz gewiss.‘“ (Dietmar Pieper: Zucker, Schnaps und Nilpferdpeitsche. Wie hanseatische Kaufleute Deutschland zur Kolonialherrschaft trieben. München 2023, S. 47.)

Nach dem Tod ihres Mannes 1782 zog sie sich auf die holsteinischen Güter Ahrensburg und Wandsbek und das Stadtpalais in Hamburg zurück, wo sie 1795 an Wassersucht verstarb. (siehe auch unter: https://de.wikibrief.org/wiki/Caroline_von_Schimmelmann)

Adeline von Schimmelmann
Zur Familie Schimmelmann gehört auch die Evangelistin Adeline Gräfin von Schimmelmann (19.7.1854 auf Schloss Ahrensburg – 18.11.1913 Hamburg)

Ruth Albrecht, Professorin für Kirchengeschichte an der Universität Hamburg und Regina Wetjen haben zu Adeline Schimmelmann geforscht. Aus diesem Grund sollen sie hier auch zu Worte kommen. So schreiben sie über diese starke Frau: „Am 19. Juli 1854 kam in Schloss Ahrensburg Luise Adelaide Caroline als fünftes Kind des Grafenpaares Ernst (1820–1885) und Adelaide (1823–1890) von Schimmelmann zur Welt. Mit ihren zehn Geschwistern, von denen zwei früh verstarben, verbrachte sie ihre Kindheit im südlichen Holstein. (…)

Adeline Schimmelmann wuchs in einer privilegierten Umgebung auf, in der Unterricht für Mädchen selbstverständlich war. Die gräflichen Kinder lernten mehrere Sprachen, so dass Adeline sich später in Dänemark, England, Amerika und Italien gut verständigen konnte. Da in der Umgebung des Gutes Ahrensburg Plattdeutsch gesprochen wurde, war ihr auch diese Sprache vertraut; später konnte sie diese Kenntnisse bei ihrer Arbeit mit Fischern und Seeleuten einsetzen. Ihre Eltern gehörten der lutherischen Kirche an, pflegten jedoch auch Kontakte zu den Hamburger Erweckten wie Johann Hinrich Wichern und Elise Averdieck.“ [1]

Von 1872 bis 1890 arbeitete Adeline Schimmelmann als Hofdame der Kaiserin Augusta.

„Im Februar 1886 hörte sie in Berlin einen Vortrag des bekannten Pfarrers und Volksschriftstellers Otto Funcke, dem sie im Rückblick ihre Bekehrung zuschrieb. Als sie sich im August 1886 zur Erholung auf der Insel Rügen im Ort Göhren aufhielt, lernte sie das Elend der dort arbeitenden Fischer kennen, welche sich nach dem Aufkommen des Tourismus ihrer Lebensgrundlage beraubt sahen. Schimmelmann konzipierte daraufhin am Göhrener Salzlagerplatz (Solthus) ein Seemannsheim. Es bot 50 Personen Platz und wurde 1887 eingeweiht. Später kaufte sie auch Grundstücke auf der Insel Oie und in anderen Orten entlang der Küste, um dort weitere Heime einzurichten. Insbesondere bemühte sie sich um die Bekämpfung des unter den Fischern weit verbreiteten Alkoholismus. Dafür predigte sie auch an den Stränden Rügens und setzte sich –entgegen dem Zeitgeist –auch für das Frauenwahlrecht ein. Als mit dem Tod der Kaiserin 1890 ihre Tätigkeit als Hofdame endete, konnte sie sich ganz ihren karitativen Projekten widmen.“ [2]

Für die Fischer hielt sie auch Bibelstunden ab. „. Allmählich weitete sie ihren Aktionsradius aus und trat mit evangelistischen Vorträgen an der gesamten pommerschen Ostseeküste auf. Zudem nahm sie in ihr Fischerheim Jungen auf, um ihnen christlichen Elementarunterricht zu erteilen und sie gleichzeitig zu einfachen Handarbeiten anzuleiten. (…) Sie bezeichnete sie als ihre Pflegesöhne. Einen von ihnen konnte sie adoptieren: Paul Schimmelmann unterstützte seine Adoptivmutter bis zu deren Tod bei ihrer missionarischen und evangelistischen Arbeit. Das soziale Engagement auf Rügen und an der pommerschen Küste trug Adeline Schimmelmann öffentliche Anerkennung ein. Jedoch bereiteten ihr eigenwilliges Auftreten sowie die Tatsache, dass sie ihre Projekte aus ihrem Erbe finanzierte, den eigenen Geschwistern erhebliche Schwierigkeiten. In Zusammenarbeit mit dem bekanntesten dänischen Psychiater seiner Zeit, Knud Pontoppidan (1853–1916), ließen sie im Frühjahr 1894 die Gräfin als gefährlich und unzurechnungsfähig in eine geschlossene Abteilung des Kopenhagener Kommunehospitals einweisen. Adeline Schimmelmann wurde nach einigen Wochen als gesund entlassen – das Stigma, verrückt zu sein, begleitete sie jedoch bis an ihr Lebensende. Diese Psychiatrieeinweisung entfachte in Dänemark eine öffentliche Debatte über die psychiatrischen Einrichtungen des Landes und das Verfahren einer zwangsweisen Wegschließung. Dadurch erhielt die Gräfin weitere Aufmerksamkeit, die sie ihrerseits für die Ausweitung ihrer missionarischen Arbeit nutzte. Nach diesem traumatischen Einschnitt nahm sie die soziale Arbeit in Pommern wieder auf, verlagerte ihren Schwerpunkt jedoch zunehmend auf evangelistische Vorträge und schriftstellerische Projekte. Ihr luxuriöses Segelschiff ‚Duen‘ trug zu ihrer Bekanntheit bei, denn in der Kaiserzeit besaß nur eine kleine – meist männliche – Elite eine eigene Yacht. (…),“ [3] schreiben Ruth Albrecht und Regina Wetjen.

„Seit 1894 wirkte Schimmelmann in Deutschland, bald auch in anderen europäischen Ländern, als freie Evangelistin. Sie bereiste mit ihrer Yacht Skandinavien, England und Italien, wo sie sich ebenfalls für ein besseres Leben der Seemänner engagierte. Von 1898 bis 1900 bereiste sie die USA und Kanada, wo sie gut besuchte Vorträge hielt. Auch hier organisierte sie die Versorgung von Seeleuten. Schimmelmann schrieb zahlreiche Traktate, wurde allerdings von der Kirche nicht unterstützt. Männliche Pastoren sahen in der sogenannten Pietistin vielfach eine Konkurrenz, zumal sie auch Teile der etablierten Kirche sowie die Diakonissen kritisierte. (…).“ [4]

„Nach ihrer Rückkehr aus den USA ließ sich Schimmelmann zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeinsam mit ihrem Adoptivsohn Paul in Berlin nieder. Sie gründete die ,Adeline Schimmelmann’s Internationale Mission‘ sowie einen Verlag, der hauptsächlich ihre Schriften druckte. Seit 1903 erschien monatlich die Zeitschrift ‚Leuchtfeuer‘. Gleichzeitig kam die Gräfin einer umfangreichen Vortragstätigkeit nach. Ebenfalls kurz nach der Jahrhundertwende erwarben Paul Schimmelmann und seine Adoptivmutter einen abgelegenen Forsthof oberhalb von Bischofsheim in der Rhön. (…)“ [5]

1903 hielt Adeline von Schimmelmann einen Vortrag in der Gaststätte „Wandsbeker Hof“, der eine Auseinandersetzung im „Wandsbecker Boten“ nach sich zog. Pastor Brodersen von der Wandsbeker Kreuzkirche kritisierte in der Ausgabe vom 12.3.1903 scharf die Ausführungen von Adeline Schimmelmann und warf ihr vor, Unwahrheiten zu verbreiten. [6] Zur Unterstreichung seiner Behauptung ging er nicht gerade christlich vor. Er nahm den von Adeline Schimmelmanns Verwandtschaft perfide durchgesetzten Psychiatrieaufenthalt von Adeline zum Anlass, ihr eine psychische Krankheit nachzusagen, um sie damit als unzurechnungsfähig zu bezeichnen. Dazu schreiben Ruth Albrecht und Regina Wetjen: „Brodersen, der seit 1901 als Gemeindepastor in Wandsbek tätig war, deklarierte sein Eingreifen sowohl am Abend des Vortrags als auch in der veröffentlichten Stellungnahme als Ausdruck seiner pastoralen Verantwortung: ‚‘Um falschen Vorstellungen über die mündlich und schriftlich von der Gräfin Adeline Schimmelmann auch dieser Tage in unserer Stadt kolportirten angeblichen Verfolgungen Seitens ihrer Verwandten nach Möglichkeit vorzubeugen, halte ich als ein Pastor der hiesigen Gemeinde und seit langen Jahren mit den in Frage stehenden Verhältnissen genau bekannt, mich für berechtigt und verpflichtet, der Gemeinde gegenüber diese angeblichen ‚Verfolgungen‘ für lauter Unwahrheiten zu erklären.‘ Der Geistliche griff zur gleichen Erklärung, die auch von den Verwandten Schimmelmanns vorgetragen wurde. ‚Ich würde, wie an jenem Abend, auch hier die behaupteten Verfolgungen in schärferen Ausdrücken bezeichnen, wenn ich die Gräfin nach ihren eigenen Aeußerungen, wie nach ärztlichen Gutachten nicht für krank halten müßte‘. (…)“. [7]

Unterstützung erhielt Adeline von Schimmelmann durch den Diakon August B. Ueberwasser, der als Buchdrucker und Buchhändler arbeitete und Adeline von Schimmelmann als gute und glaubwürdige Christin darstellte. [8]

Ruth Albrecht und Regina Wetjen erläutern: „In der Wandsbeker Kontroverse vom Februar 1903 stellte Überwasser dem Votum Brodersens drei Tage später eine ausführliche Antwort entgegen, die versucht, den Verdacht, dass die Gräfin nicht zurechnungsfähig sei, durch umfangreiches Material zu entkräften. Dazu gehört der Abdruck von Stellungnahmen, die in Dänemark im Herbst 1894 publiziert wurden. Ferner verweist er auf das vertraute Verhältnis Kaiser Wilhelms I. zu Schimmelmann. Das Hauptargument für die Integrität der Gräfin liegt darin, dass ihr Buch ‚Streiflichter‘ nicht verboten worden sei, sondern vielmehr eine große Anzahl von Lesern finde. Überwasser begründet seine Verteidigung Schimmelmanns damit, dass diese die Reichsgottessache vertrete und von daher aus seiner Sicht Anspruch auf Unterstützung habe. (…)

Die in der Presse ausgetragenen Kontroversen trugen anscheinend nicht dazu bei, dass Adeline Schimmelmann ihren Aufenthalt in Hamburg abbrach oder von anderen Veranstaltern als desavouiert betrachtet wurde. Eventuell förderten die in Wandsbek vorgetragenen Anschuldigungen vielmehr ihre Anerkennung in freikirchlichen Kreisen, da sie dem Muster der verfolgten aufrechten Christen entsprach. Vom 23. bis zum 25. Februar 1903 fanden öffentliche religiöse Versammlungen in der Kapelle der Baptisten in der Tresckowstraße 7 statt. (…) Die positive Rezeption Schimmelmanns von Seiten der Baptisten (…), verweist darauf, dass ihre Anliegen teilweise mit den freikirchlichen Anliegen übereinstimmten. Ihr Aufruf zur Bekehrung und ihre Nivellierung konfessioneller Begrenzungen stießen hier auf Entgegenkommen, während sie sich dadurch von der traditionellen lutherischen Position zunehmend entfernte.“ [9]

Ihre: „theologische Botschaft beschränkt sich auf die schlichte Aufforderung, so wie sie zu glauben – alles andere werde sich dann von selbst ergeben. Entsprechend dieser Maxime war es ihr auch nicht wichtig, ihre Evangelisationen in das christliche Netzwerk Hamburgs einzubinden. Sie organisierte ihre Veranstaltungen weder in Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden noch mit anderen Gruppen der Hansestadt. Die von ihr angesprochenen und zur Bekehrung aufgeforderten Zuhörer verwies sie auf eine individuelle Frömmigkeit, soziale Strukturen lagen nicht in ihrem Blick. Die von Schimmelmann propagierte Form der Frömmigkeit beruhte auf Gebet, Bibellektüre und einer engen Bindung an Christus; darüber hinaus erteilte sie keine weiterführenden Ratschläge, wie ein solches Leben zu gestalten sei.“ [10]

Diese Einstellung zum Christentum und das auch noch von einer Frau in öffentlich gehaltenen Reden verkündet, war ganz und gar nicht im Sinne der Lutheraner und wohl auch nicht in dem des Pastors Brodersen. Denn, die: „Position der traditionellen Lutheraner zeichnete sich um die Jahrhundertwende durch eine klare Ablehnung jeder Tätigkeit von Frauen aus, die sich zu sehr dem Bereich der Verkündigung und damit den Aufgaben des ordinierten Pfarramts annäherte. In den Gruppierungen der Aufbruchbewegungen hingegen waren die Konfliktlinien differenzierter. Grundsätzlich galt hier, dass alle zum Bezeugen ihres Glaubens aufgefordert sind. Dadurch öffneten sich für Frauen an vielen Stellen neue Betätigungsfelder in Sonntagschulunterricht, Schreiben und Verteilen erwecklicher Literatur wie Lieder und Bekehrungsberichte sowie durch vielfältiges soziales Engagement. In manchen Gruppierungen konnten sich Frauen als Gemeindeleiterinnen etablieren, einige machten sich einen Namen als Rednerinnen, Evangelistinnen und Missionarinnen. Allerdings votierte keine der deutschen Gruppen – anders als in England oder Amerika – für ein uneingeschränktes Rede- und Predigtrecht von Frauen. Die strenge Orientierung an der Bibel führte zu einem unausweichlichen Konflikt mit dem paulinischen Diktum aus 1 Kor 14,34. S. 407f.“ [11]

Scharf kritisierte Adeline von Schimmelmann die „Damen der Gesellschaft“, die sich in christlicher Nächstenliebe hervortaten, indem sie z. B. Vorsitze in wohltätigen Vereinen einnahmen. So äußerte sie: „Die deutsche hochgestellte Dame arbeitet meist nur durch Vereine, in denen sie patronisierend wirkt. Mit eigener Person sich aber der Arbeit im öffentlichen Leben zu unterziehen und ohne Mittelspersonen selbst die Schäden bessern, retten helfen, oder gar vom Evangelium sprechen zu wollen, wie es in England und Amerika so oft geschieht, wird als unverzeihlicher Bruch des gesellschaftlichen Anstandes angesehen.“ [12]

Adeline von Schimmelmann kritisierte auch die Arbeit der Diakonissen „als unwürdige Sklavenexistenz. Die von ihr propagierte und auch ausgeübte Selbständigkeit stand den als Hausgemeinschaft konzipierten Diakonissenanstalten, die auf dem Gehorsam der einzelnen Schwestern basierten, diametral entgegen. In ihren ‚Streiflichtern‘ präsentierte die Gräfin folgende Analyse: ‚Es giebt nur einen Weg, auf welchem einer vornehmen Dame erlaubt ist, wirklich christliche Arbeit zu thun. Setzt euch eine weiße Haube auf und stellt euer geistiges Leben und eure Individualität unter die absolute Herrschaft- nicht Christi – sondern eines Diakonissenhauspastors und die einzige Sphäre, die christlichen Damen persönliche, direkte Arbeit erlaubt, steht euch offen. Da ich keinen Ruf in mir fühlte, meinen Mitmenschen unter so sklavischen Bedingungen zu dienen, und da ich mich entschlossen hatte, nur die Führerschaft Christi anzuerkennen, nahm ich mein Recht, Gott zu dienen, wie Er mich führen würde, allein in Anspruch, Ihm allein zu folgen, für Sein Reich zu arbeiten und zu kämpfen, sei’s auch durch Verfolgung und Leiden.‘“ [13]

„1909 musste sich Gräfin Schimmelmann einer Operation unterziehen; bis zu ihrem Lebensende ließ sie sich mehrere Male im Henriettenstift in Hannover sowie im Krankenhaus ‚Bethesda‘ in Hamburg behandeln. Die letzten Wochen ihres Lebens verbrachte sie in Hamburg in der Einrichtung ‚Zoar‘“ [14] an der Eppendorfer Landstraße 19, wo sie verarmt starb, denn ihr karitatives Engagement hatte sie sowohl an ihre körperlichen Grenzen geführt als auch in den finanziellen Ruin getrieben.

Nach Adeline Schimmelmann ist bisher noch keine Straße in Hamburg benannt worden. Dagegen gibt es seit 1965 eine nach Pastor Ernst Brodersen (1854-1913) benannte Straße in Wandsbek.