Königskinderweg
Schnelsen, seit 1948, Märchenmotiv
Siehe auch: Geschwister-Mendelssohn-Stieg, Gretelstieg, Reichardtstraße, Ricarda-Huch-Ring.
Siehe auch: Grillparzerbrücke, Uhlenhorst, seit 1960: Franz Grillparzer (1791-1872), Dichter.
Siehe auch: Humperdinckweg, Bahrenfeld, seit 1957: Engelbert Humperdinck (1854-1921), Opernkomponist.
Siehe auch: Gerhart-Hauptmann-Platz, Altstadt, seit 1946: Gerhart Hauptmann (1862-1946), Schriftsteller.
Siehe auch: Rilkeweg, Groß Flottbek, seit 1950: Rainer Maria Rilke (1875-1926), Dichter.
Siehe auch: Schillerstraße, Altona-Altstadt (1859 und 1950): Friedrich von Schiller (1759-1805), Dichter.
Siehe auch: Thomas-Mann-Straße, Bramfeld (1961): Thomas Mann (1875-1955), Schriftsteller.
Siehe auch: Hänselstieg, Schnelsen (1970): Märchengestalt.
Siehe auch: Grimmstraße
Vor 1948 hieß die Straße Gärtnerstraße. Bereits in der NS-Zeit sollte die Straße im Zuge des Groß-Hamburg-Gesetzes in Königskinderweg umbenannt werden, da nun das bisherige Staatsgebiet Hamburg um benachbarte preußische Landkreise und kreisfreie Städte erweitert worden war und es dadurch zu Doppelungen bei Straßennamen gekommen war. Bedingt durch den Krieg kam es nicht mehr zu dieser Umbenennung und es blieb bis 1948 bei Gärtnerstraße. (vgl.: Staatsarchiv Hamburg 133-1 II, 26819/38 Geschäftsakten betr. Straßennamen B. Die große Umbenennung hamb. Straßen 1938-1946. Ergebnisse der Umbenennung in amtlichen Listen der alten und neuen Straßennamen vom Dez. 1938 und Dez. 1946)
Die Verkehrsfläche ist nach dem Märchen „Die beiden Königskinder“ der Gebrüder Grimm benannt. Im Märchenatlas ist das Märchen wie folgt beschrieben: „Ein sechzehnjähriger Königssohn ist im Wald jagen, als er einen großen Hirsch vor sich sieht, den er vergeblich zu erschießen versucht. Aus den Sternen wurde bei seiner Geburt geweissagt, dass er mit sechzehn Jahren von einem Hirsch getötet würde. Trotz der ungünstigen Zeichen verfolgt er den Hirsch, bis er sich schließlich ganz allein mit dem Hirsch außerhalb des Waldes wiederfindet. Anstelle des Hirsches steht plötzlich ein großer Mann vor ihm – ein fremder König, der zu ihm sagt, dass er schon lange hinter ihm her sei und nimmt den Königssohn mit zu seinem Schloss. Dort angekommen verlangt der fremde König von dem Königssohn, dass dieser eine Nacht bei der ältesten Tochter des fremden Königs wacht. Zu jeder vollen Stunde würde der fremde König kommen und nach dem Königssohn rufen. Sollte dieser nur ein einziges Mal keine Antwort geben, also eingeschlafen sein, würde er ihn töten. Doch wenn der Königssohn die Prüfung bestehe, würde er die Tochter des fremden Königs zur Frau bekommen.
Der Königssohn besteht die Prüfung dank des großen, steinernen Christophorus, der statt seiner antwortet, nachdem er eingeschlafen ist. Doch der fremde König verweigert ihm die älteste Tochter und verlangt ihm stattdessen die gleiche Prüfung noch einmal ab, diesmal im Schlafgemach der zweiten Tochter. Die Prüfung verläuft wie beim ersten Mal, doch wieder ist der König nicht bereit, sein Versprechen zu halten. Die dritte Nacht verbringt der Königssohn im Zimmer der jüngsten Tochter, und wieder antwortet statt seiner ein steinerner Christophorus, während er selber schläft. Auch dies ist dem König nicht genug.
Es folgen weitere Prüfungen: Der Königssohn muss jeweils in einer einzigen Nacht einen ganzen Wald fällen, einen Teich vom Schlamm befreien und schließlich einen Berg von Dornbüschen befreien und darauf ein Schloss bauen. Für jede dieser Aufgaben gibt ihm der fremde König entsprechende Werkzeuge, doch sie sind alle aus Glas und zerbrechen beim ersten Handschlag. Der Königssohn ist verzweifelt, denn wenn er die Aufgabe nicht erfüllt, soll er getötet werden. Doch die jüngste Königstochter, die ihm zur Mittagszeit Essen bringt, kommt ihm jedes Mal zur Hilfe. Sie tröstet und streichelt ihn, sodass er einschläft. Dann ruft sie eine Schar von ‚Erdmänneken‘ (Zwerge) herbei und befiehlt ihnen, die von ihrem Vater gestellte Aufgabe zu erfüllen.
Auch nachdem der Königssohn diese drei weiteren Prüfungen bestanden hat, steht der fremde König nicht zu seinem Wort. Diesmal redet er sich damit heraus, dass er zuerst die beiden älteren Töchter verheiraten müsse. In der darauffolgenden Nacht laufen die beiden Königskinder – der Königssohn und die jüngste Tochter des fremden Königs - gemeinsam fort. Als das Mädchen bemerkt, dass der Vater sie verfolgt, rettet sie sich und ihren Geliebten mit einer Verwandlung. Sie verwandelt ihn in einen Dornbusch und sich in eine Rose, die mitten im Dornbusch blüht. Der Vater kehrt zurück zu seinem Schloss, wo ihm die Königin sagt, was es mit der Rose und dem Dornbusch auf sich hat.
Er nimmt die Verfolgung wieder auf. Diesmal verwandelt das Mädchen den Jungen in eine Kirche und sich in einen Pastor, der von der Kanzel predigt. Wieder kehrt der fremde König unverrichteter Dinge heim, woraufhin die Königin selbst die Verfolgung aufnimmt. Das Mädchen verwandelt den Jungen in einen Teich und sich in einen Fisch, der darin herumschwimmt. Die Königin trinkt den ganzen Teich leer, um an den Fisch zu kommen, doch davon wird ihr übel und sie spuckt das Wasser wieder aus und kommt zu der Erkenntnis, die beiden Königskinder ziehen zu lassen. Zum Abschied schenkt sie ihrer Tochter drei Nüsse mit dem Hinweis, dass diese ihr helfen werden, wenn sie sich in höchster Not befindet.
Kurz bevor die beiden Königskinder das elterliche Schloss des Königssohns erreichen, lässt der Junge seine Braut in einem Dorf zurück, wo sie auf ihn warten soll, damit er sie angemessen mit Wagen und Dienern zum Schloss bringen kann. Doch kaum hat ihm die Mutter zuhause mit einem Kuss begrüßt, vergisst er schlagartig seine im Dorf wartende Braut (…). Alleingelassen bleibt der Königstochter nichts anderes übrig, als sich als Magd bei einem Müller zu verdingen.
Die Mutter sucht ihrem Sohn indessen eine andere Braut aus. Doch mithilfe der Nüsse kann die Königstochter die Hochzeit mit der falschen Braut verhindern. In jeder dieser Nüsse befindet sich ein wunderschönes Kleid, mit dem sie in die Kirche geht, um der Trauung beizuwohnen. Die falsche Braut wird dermaßen neidisch, dass sie ihr Jawort verschiebt. Sie bekommt von der Unbekannten das Kleid gegen das Versprechen, dass die Unbekannte (die Königstochter) vor der Tür des Bräutigams schlafen darf. Nachts erzählt sie ihm alles, was sie zusammen erlebt haben. In der dritten Nacht dringen ihre Worte endlich an sein Ohr, und er erinnert sich an seine wahre Braut.“ (Karen Lippert: Der Märchenatlas, unter: www.maerchenatlas.de/deutsche-maerchen/grimms-marchen/die-beiden-koenigskinder/)
Antike Ahninnen der „Königskinder“ sind zwei Liebende aus der griechischen Mythologie, wie sie der Dichter Musaios im 6. Jh. v. Chr. aufgezeichnet hat: Hero, die Priesterin der Aphrodite in Sestos an der Meerenge Hellespont, heute als Dardanellen bekannt, und Leander aus Abydos, einer damals bedeutenden Hafenstadt. Da sie ihre Liebe nur heimlich leben konnten, durchschwamm Leander jede Nacht diese Meerenge, geleitet durch Lichter, die Hero heimlich aufgestellt hatte. Doch eines Nachts löschte der Sturm diese kleinen Leuchtfeuer der Liebe, Leander verlor die Orientierung und ertrank. Als Hero am nächsten Morgen seine Leiche entdeckte, stürzte sie sich ins Meer.
Dieses kleine Epos über eine tragisch endende, große Liebe wurde seither in etlichen Kunstwerken neu erzählt, in einigen Variationen des Stoffes ist es eine neidische Priesterin oder Nonne, die das Licht verlöschen und Leander ertrinken lässt, wie etwa in einer Volksballade, in der es in der ersten Strophe heißt:
„Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb,
sie konnten zusammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.“
Das Schicksal dieser Königskinder wird zeittypisch bearbeitet, z. B. in Friedrich Schillers (siehe: Schillerstraße) Ballade „Hero und Leander“, in Franz Grillparzers (siehe: Grillparzerstraße) Trauerspiel „Des Meeres und der Liebe Wellen“ oder in Fanny Hensels (siehe: Geschwister-Mendelssohn-Stieg) dramatischer Szene für Singstimme und Orchester „Hero und Leander.“
Dabei werden den Liebenden geschlechtsspezifische Handlungsräume zugewiesen: Hero muss als Priesterin eingeschlossen und keusch leben - und auf den Geliebten warten. Dieser muss erst eine lebensgefährliche Mutprobe wagen, also in der Nacht durch die Meerenge schwimmen, um Liebe und Sexualität zu genießen.
Eine andere Perspektive auf dieses sagenhafte Paar entwickelt Elsa Bernstein alias Ernst Rosmer (1866-1949) in ihrer Dichtung „Königskinder“, die sie für Engelbert Humperdinck (siehe:Humperdinckweg) zu einem Libretto für die Oper „Königskinder“ umarbeitete.
Als Tochter des Wagnermitarbeiters, Dirigenten und Musikschriftstellers Heinrich Porges (1837-1900) kam sie früh mit dessen Mythenwelten und antisemitischer Haltung in Berührung. Ihre Eltern waren jüdischer Herkunft und ließen ihre zwei Töchter protestantisch taufen. Verheiratet war sie mit dem Rechtsanwalt und späteren Justizrat Max Bernstein (1854-1925), der Sozialisten verteidigte und das Sozialistengesetz bekämpfte, sich für Demokratie, Rechtsstaat und soziale Gerechtigkeit einsetzte und gegen den „Völkerwahnsinn genannt Krieg“.
Das Ehepaar Bernstein veranstaltete in München einen „kultivierten, intellektuellen Salon“, wie sich Katia Mann erinnert, die dort ihre Bekanntschaft mit Thomas Mann (siehe: Thomas-Mann-Straße) festigte. Außerdem trafen sich hier Prominente wie Rainer Maria Rilke (siehe: Rilkeweg), Ricarda Huch (siehe: Ricarda-Huch-Ring), Ludwig Ganghofer Franz von Stuck etc. bis heute.
Märchenhaft waren die Entstehungsbedingungen der Königskinder nur bedingt. Heinrich Porges hatte seinem Freund Engelbert Humperdinck, mit dem er zusammen etliche Wagner-Opern auf die Bühne gebracht hatte, das neueste Mädchendrama von Elsa zum Lesen gegeben mit der Frage, ob er dazu nicht Musik komponieren wolle. Humperdinck, der gerade zu einer Aufführung von Hänsel (siehe: Hänselstieg) und Gretel (siehe: Gretelstieg) unterwegs war, las das Buch in der Bahn und war sehr angetan. Als Melodram mit gesprochenen Texten wurden die Königskinder 1897 im Münchner Hoftheater mit Erfolg uraufgeführt; es folgten darauf noch Aufführungen an rund 130 Bühnen. Als durchkomponierte Oper gingen die Königskinder dann am 28. Dezember 1910 in der Metropolitan Opera in New York über die Bühne und wurden gefeiert als „die Krone des nachwagnerianischen Opernschaffens“. Engelbert Humperdinck war dazu eigens mit Frau Hedwig mit dem Dampfer „Kaiser Wilhelm der Große“ angereist.
Geraldine Farrar, die Sängerin der Gänsemagd, wurde auch sehr gelobt wegen ihrer virtuos dressierten Gänse.
Im künstlich märchenhaft gewebten Königskinder-Stoff, in dem sich auch Elemente des Jugendstils und Symbolismus nachweisen lassen, wird auch Gesellschaftskritik deutlich: Ein junges Mädchen, uneheliches Kind einer Henkerstochter und eines Henkersknechtes, der ihren Beinahe-Vergewaltiger umgebracht und dafür zum Tode verurteilt wurde, wächst bei einer alten, weisen und zauberkundigen Frau im Wald auf. Das junge Mädchen, das diese Frau für ihre Großmutter hält, hütet Gänse. Als eines Tages ein Königssohn im Jägerdress vorbeikommt, erfahren beide die Liebe auf den ersten Blick. Der Königssohn schenkt der Gänsemarkt eine Krone; sie will ihn begleiten, doch der Zauber der Hexe hält sie zurück. Er zieht verständnislos weiter. Kurz darauf erscheinen drei Bürger der Stadt Hellabrunn, um die Hexe um Rat zu fragen, denn eine Königin oder ein König werden gesucht. Die Hexe rät:
"So macht Eure Ohren lang!
Solche Wahrworte mögt Ihr den Bürgern sagen:
Wenn morgen die Mittagsglocken schlagen,
und Ihr zum Hellafeste bereit
auf Anger und Wiese versammelt seid –
der erste, der schlendert zum Stadttor herein,
er sei ein Schalk
oder Wechselbalg,
der mag Euer König sein."
In Hellabrunn wird der Königssohn von der Wirtstochter umworben und verdingt sich als Schweinehirt. Unterdessen hat der Spielmann die Gänsemagd über ihre wahre Herkunft aufgeklärt, worauf sie die Hexe verlässt, die sie verflucht. Hellbrunn erwartet die Ankunft des Königs, doch die Wut ist groß, als um zwölf im Stadttor die Gänsemagd, die Gänse und der Spielmann erscheinen. Königssohn und Gänsemagd, die sich endlich wiederhaben, werden verjagt, der Spielmann ins Gefängnis geworfen und die Hexe verbrannt. Am Schluss sterben die vertriebenen Königskinder. Sie hatten im verlassenen Hexenhaus ihre Krone gegen ein Brot eingetauscht, – das ihnen die zufällig anwesenden Holzhacker und Besenbinder reichen. Es handelt sich jedoch um ein tödliches Zauberbrot, das den beiden schönste Träume beschert. Mit Bildern höchsten Glücks schlafen sie miteinander im Schnee ein und erfrieren, wo sie vom klagenden Spielmann entdeckt werden.
Das Operntextbuch Königskinder war ein großer buchhändlerischer Erfolg. Doch mit Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten geriet die betagte und erblindete Dichterin Elsa Bernstein in den Fokus der Verfolger. Ihr Pseudonym Ernst Rosmer schützte das Büchlein, 1941 war das 191.000ste Exemplar erschienen, bis 1943 sind noch Opernaufführungen nachweisbar. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde Elsa Bernstein zusammen mit ihrer Schwester Gabriele Porges aus der Münchener Wohnung in der Brienner Straße vertrieben. Sie kamen in kleineren Wohnungen unter und wurden schließlich 1942 in das KZ Dachau verschleppt und von da aus in die Prominentenhäuser im KZ Theresienstadt. Gerhart Hauptmann (siehe: Gerhart-Hauptmann-Platz), in dessen Arbeitszimmer eine Adolf-Hitler-Büste stand, wie etliche ZeitzeugInnen berichten, sah sich nicht veranlasst, sich für seine Bekannte – er hatte im literarischen Zirkel der Bernsteins verkehrt - und angeheirateten Verwandten Elsa Bernstein einzusetzen. Elsa Bernsteins Tochter Eva (1894-1986), Geigerin und nach dem Zweiten Weltkrieg Professorin an der Musikhochschule in Hamburg, war verheiratet mit Klaus Hauptmann, einem Sohn von Gerhart Hauptmann.
Elsa Bernsteins Tochter Eva (1894-1986), Geigerin und nach dem Zweiten Weltkrieg Professorin an der Musikhochschule in Hamburg, war verheiratet mit Klaus Hauptmann, einem Sohn von Gerhart Hauptmann. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus lebte Elsa Bernstein bis zu ihrem Tod bei ihrer Tochter und ihrem Ehemann Klaus Hauptmann. Im selben Haus lebte auch Ivo Hauptmann (siehe: Ivo-Hauptmann-Ring).
Text: Birgit Kiupel